„Bist du schwul, oder was?‟ Materialien und Projekte für eine Schule ohne Homophobie

Die ganze Schule weiß, dass Tanja auf Peter steht und Miriam mit Tom geht. Nur Anna und Luisa müssen ihre Beziehung verbergen und auch Stefan trifft sich nur heimlich mit Patrick. Denn obwohl unsere Gesellschaft als offen und tolerant gilt, herrscht an den meisten Schulen ein Klima, das von Vorurteilen, Unwissen und Ängsten gegenüber Homosexualität und Transsexualität geprägt ist. Dieses Klima zu ändern, hat sich die Initiative Schule der Vielfalt auf die Fahnen geschrieben. Interessierte Lehrerinnen und Lehrer können auf der Webseite der Initiative kostenlos Unterrichtsmaterialien und Ideen für Projekte finden. Im Vordergrund steht dabei Antidiskriminierung. Frank G. Pohl, Landeskoordinator von Schule der Vielfalt, erklärt in unserem Interview, wie sich Schulen für die Akzeptanz unterschiedlicher Lebensweisen einsetzen können.

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Wie viele Schulen nehmen an der Initiative teil?

Frank G. Pohl: „ Bis jetzt gibt es sieben Projektschulen. In diesem Schuljahr werden voraussichtlich zwei weitere Schulen ihre Selbstverpflichtung als Schule der Vielfalt erklären. Auch wenn dies als Erfolg zu werten ist, so ist die Zahl der teilnehmenden Schulen gemessen an der Gesamtzahl der Schulen in NRW gering. Neben der Notwendigkeit den Bekanntheitsgrad des Projekts weiter zu erhöhen ist, ist schon jetzt deutlich geworden, dass Schulen im Prozess auf dem Weg zur Projektschule intensive Beratung und Unterstützung benötigen.

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Über die Projektschulen hinaus bekommen wir regelmäßig Anfragen von Schulen, die gerne Info-Materialien haben möchten. Alle Schulen können unsere Materialien im Unterricht einsetzen, Aktionen durchführen oder Projekttage organisieren. Ich kann Ihnen zu dem Engagement dieser weiteren Schulen keine genauen Zahlen nennen, da die Schulen nicht verpflichtet sind, Berichte darüber an uns abzugeben.”

Für welche Klassen und Fächer eignet sich das Projekt?

Frank G. Pohl: „Der Einsatz der Materialien findet hauptsächlich in den Klassen acht bis zehn statt. Das Material ist nach Fächern und Jahrgangsstufen aufbereitet. Lehrerinnen und Lehrer setzen sie vor allem in den Fächern Sozialkunde, Geschichte und Politik ein. Wir bieten aber auch Materialien für die Fächer Englisch und Latein an, um deutlich zu machen, dass es ein Querschnittsthema ist. Es wird häufig als Sexualthema verstanden, aber es geht hauptsächlich um Antidiskriminierung. Das Projekt ist über das Thema Homophobie hinaus auch für viele andere Diskriminierungssituationen relevant. Denn gerade der tabuisierte Bereich von Homosexualität ist ein Zeichen dafür, wie es eigentlich in anderen Diskriminierungsbereichen an der Schule aussieht.”

Beziehen sich die Unterrichtsmaterialien nur auf Nordrhein-Westfalen oder können sie bundesweit verwendet werden?

Frank G. Pohl: „Die Materialien sind öffentlich zugänglich, d. h. alle im deutschsprachigen Raum können sie nutzen. Es gibt auch schon Rückmeldungen aus anderen Bundesländern und Nachfragen, z. B. aus Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, ob ihre Schule nicht auch Schule der Vielfalt werden könnte. Im Moment ist es noch so, dass dieses Projekt nur in NRW existiert. Es gibt aber schon lange Bestrebungen, dies in anderen Bundesländern einzuführen. Ich muss allerdings dazu sagen, dass Projektschulen Qualitätsstandards erfüllen müssen. Um zu gewährleisten, dass diese eingehalten werden, müsste es in anderen Bundesländern Verbände oder Beratungsstellen geben, die die Schulen in ihrer Arbeit beraten und unterstützen. Dies ist momentan leider noch nicht möglich, aber in absehbarer Zeit wird es die Schule der Vielfalt sicherlich auch in anderen Bundesländern geben.”

Welche Qualitätsstandards müssen die Projektschulen erfüllen?

Eine Schule der Vielfalt - Schule ohne Homophobie

Schule ohne Homophobie

Frank G. Pohl: „Das Wichtigste ist, und das erwähne ich immer am Anfang, dass die Schulen das Schild Come in – Wir sind offen am Schulgebäude anbringen. Das erwähne ich deswegen, weil es für einige Schulen auch heute noch ein Problem ist, ein Schild anzubringen, auf dem ‚lesbisch, schwul, bi, hetero, trans‛ steht, weil ein Teil dieser Begriffe als Schimpfwörter benutzt werden. Das kann zu Irritationen an Schulen führen. Da müssen wir erst einmal Aufklärungsarbeit leisten und erklären, was es überhaupt für ein Projekt ist. Die Kernaussage dabei lautet, dass es sich um ein Antidiskriminierungsprojekt handelt. Wenn die Botschaft bei den Schülern und Schülerinnen, Eltern sowie bei den Lehrkräften angekommen ist, ist es auch kein Problem mehr, das Schild anzubringen.

Zu den Qualitätsstandards an sich gehört, dass Schulen regelmäßig Veranstaltungen, Aktionen und Fortbildungen durchführen. Bei den meisten Schulen besucht ein Jahrgang, meistens die achte oder neunte Klasse, ein Aufklärungsprojekt, wie z. B. von SchLAu. Deren Aufklärungsarbeit bezieht sich auf Antidiskriminierung, also was bedeutet es, lesbisch, schwul oder trans zu sein. Auch einzelne Lehrkräfte besuchen Fortbildungen. Die Schulen müssen zudem eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnen, dass sie sich gegen Homo- und Transphobie einsetzen und müssen ein bis zwei Lehrkräfte in der Schule benennen, die die Ansprechpersonen für das Projekt sind. Diese zwei Lehrer oder Lehrerinnen nehmen dann am jährlichen Vernetzungstreffen teil. Zu dem Vernetzungstreffen kommen nicht nur Lehrkräfte, sondern auch Schülerinnen und Schüler sowie Eltern aus ganz NRW zusammen, die gemeinsam Ideen sammeln und Aktionen austauschen.”

Wie ist das Feedback von Schulen bezüglich des Projekts?

Frank G. Pohl: „Schülerinnen und Schüler verstehen eigentlich als Erste, dass das Projekt notwendig ist, da gerade für sie Homosexualität als Tabu und Anlass zur Diskriminierung ziemlich präsent ist. Das ist Lehrerinnen und Lehrern teilweise gar nicht so klar. Bei Lehrkräften muss man öfter Beratungsarbeit leisten. Sie fragen sich z. B., ob es Probleme mit Eltern geben kann, wie man Aktionen am besten durchführt oder wie hoch der Arbeitsaufwand ist. Gerade der letzte Punkt ist wichtig zu klären. Aufgrund der hohen Arbeitsverdichtung sind Lehrerinnen und Lehrer auch ohne zusätzliche Projekte schon stark ausgelastet und wir wollen nicht, dass Schule der Vielfalt ein kurzlebiges Projekt ist, sondern vom Kollegium getragen wird.

Wo liegt die größte Herausforderung, dass Schulen frei von Homophobie werden?

Frank G. Pohl: „Die größte Herausforderung liegt in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte. Zum Thema Homo- und Transphobie finden deutschlandweit so gut wie keine Ausbildungen statt, weder im Studium noch im Referendariat. Wenn Lehrkräfte die entsprechenden Kompetenzen nicht erworben haben, ist es für sie auch viel schwieriger, in einem Bereich, der einerseits tabuisiert ist, andererseits scheinbar sofort mit Sexualität zu tun hat, kompetent auf homophobe Äußerungen zu reagieren oder kompetent Unterricht dazu zu gestalten.”

Würden Sie sich wünschen, dass das Thema Teil vom Curriculum wird?

Schule der Vielfalt: Frank G. Pohl, Landeskoordinator

Schule der Vielfalt: Landeskoordinator Pohl

Frank G. Pohl: „Das hängt davon ab, wie sensibilisiert und kompetent Pädagoginnen und Pädagogen ausgebildet sind. Ich kann Ihre Frage mal anders beantworten. Wenn das Thema nicht Teil des Curriculum ist, dann wird es häufig einfach vergessen. Auch in den Schulbüchern kann man das sehen. In NRW ist es so, dass wir seit 1999 die verpflichtenden Sexualrichtlinien haben, in denen geregelt ist, dass Lehrkräfte in der Lage sein müssen, die Akzeptanz von verschiedenen sexuellen und geschlechtlichen Identitäten im Unterricht deutlich zu machen und die gegenseitige Akzeptanz zu fördern. Es gibt diese Verpflichtung also bereits. Das Problem liegt also nicht darin, dass das Thema als Teil des Curriculum fehlt, sondern dass Lehrkräfte nicht die entsprechenden Kompetenzen haben.”

Wie reagieren Eltern darauf, wenn die Schule ihres Kindes „Schule der Vielfalt” wird? In Baden-Württemberg z. B. unterzeichneten 130.000 Personen eine Petition gegen sexuelle Vielfalt im Unterricht.

Frank G. Pohl: „In NRW ist das kein Konfliktthema. Sondern es gibt seit Jahrzehnten einen großen Konsens mit allen Parteien und auch mit den religiösen Verbänden. Alle tragen das Antidiskriminierungsprojekt Schule der Vielfalt mit. Trotz mancher Befürchtung gab es bei den Projektschulen keinen Rückgang der Schülerzahlen. Es ist nur wichtig, den Eltern in Gesprächen klarzumachen, dass der Ansatz Antidiskriminierung ist. Eltern verstehen sehr wohl, dass ihr eigenes Kind, wenn es möglicherweise lesbisch oder schwul ist, nicht diskriminiert werden soll und dass Kinder nicht nur zu Hause, sondern auch in der Schule beigebracht bekommen, nicht zu diskriminieren. Wir hatten hier noch nie negative Rückmeldungen von Eltern und ich bin auch vorsichtig mit Einschätzungen, dass die Mehrheit der Eltern in Baden-Württemberg Probleme damit hat. Ich gehe davon aus, dass das Gegenteil der Fall ist.”

Weitere Informationen

Weitere Informationen und Unterrichtsmaterialien zum Herunterladen befinden sich auf der Webseite von Schule der Vielfalt.

Die Initiative organisiert regelmäßig Veranstaltungen. Der nächste Fachaustausch zum Thema Regenbogenfamilien in Schule und Unterricht findet am 14. Mai 2014 in Köln statt. Die Teilnahme ist auch für Interessierte möglich, die nicht in NRW wohnen. Details zu der Veranstaltung finden Sie im Programmhinweis.


Fotos: ©Schule der Vielfalt