Flipped Classroom: Biologieunterricht mal andersrum – eine Reportage

Videos, Arbeitsaufträge, ein Lerncoach und eine motivierte, teamfähige und selbstständig arbeitende Klasse – das sind die Zutaten für eine erfolgreiche Flipped-Classroom-Unterrichtsstunde. Claudia Singer, Biologielehrerin an der Gebrüder Montgolfier Schule in Berlin, setzt das Flipped-Classroom-Konzept erfolgreich um. Eine Doppelstunde Biologie zum Thema Evolution sieht dann wie folgt aus.

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Mittwochmorgens um acht im Biologieunterricht

Flipped Classroom Gemont-Schule
Flipped Classroom in der 10c

Es ist acht Uhr morgens. Um diese Zeit klingeln viele Schulglocken zum ersten Mal am Tag – so auch die der Gebrüder Montgolfier Schule in Berlin-Schöneweide. Der „Gong“, der durch das Gebäude klingt, erinnert jedoch weniger an eine Glocke als an einen digitalen Handyklingelton – vielleicht ein erstes Zeichen dafür, dass der digitale Unterricht in dieser Schule bereits Einzug erhalten hat?

Draußen strömt das Wasser vom Himmel und drinnen die Schülerinnen und Schüler der 10 c in den Biologieraum 1318. Mittwochmorgens steht bei ihnen eine Doppelstunde Biologie bei Claudia Singer auf dem Stundenplan. Momentan behandeln sie das Thema „Evolution“. Frau Singer begrüßt ihre Schülerinnen und Schüler mit den Worten: „Herzlich wilkommen bei unserem heutigen Kongresstag zum Thema Zukunftsszenarien – Weiterentwicklung des Menschen.“

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Digitaler Unterricht im umgedrehten Klassenzimmer

Aber nicht nur dieses eher ungewöhnliche Szenarium des Kongresses unterscheidet den Biologieunterricht Claudia Singers von anderen. Denn ihr ist der Einsatz digitaler Medien im Unterricht wichtig. Sie ist eine der Lehrerinnen und Lehrer, die in Berlin an dem Flipped-Classroom-Pilotprojekt teilnehmen. Zusammen mit dem Schulleiter der Gebrüder Montgolfier Schule Jörg Freese hat sie bereits eine „geflippte“ Unterrichtsreihe zum Thema „Evolution“ konzipiert. Die Schülerinnen und Schüler dieses Biologieunterrichts eignen sich zu Hause Wissen mithilfe von Videos an und in der Schule wird dieses Wissen in praktischen Aufgaben angewandt – umgedrehter Unterricht also.

Aber auch zu Beginn einer Unterrichtsstunde nutzt die Biologielehrerin sofatutor-Erklärvideos. „Die Videos bieten einen guten Einstieg in ein Thema“, so Singer, „um so viele Schülerinnen und Schüler wie möglich abzuholen, ist es wichtig, verschiedene Eingangskanäle anzusprechen.“ Videos seien hier besonders effektiv, da sich Kinder und Jugendliche heute immer mehr mit dem Bildschirm beschäftigen und sich auch beim Lernen gerne auf dieses Medium fokussieren. „Um sich in ein Thema hineinzuarbeiten, sich Basiswissen und Definitionen anzueignen, sind die Videos sehr gut. Sie erklären kurz und knapp einen Sachverhalt, was Lehrerinnen und Lehrer oftmals nicht schaffen können“, erklärt Schülerin Antonia.

Die Lehrerin als Lerncoach

Lerncoach Flipped Classroom
Frau Singer als Lerncoach

Heute gibt es zu Beginn der Stunde kein Video. Die Technik macht einen Strich durch die Rechnung. Aber das ist kein Problem. Eine Powerpointpräsentation veranschaulicht den Schülerinnen und Schülern ihre Aufgaben für die Doppelstunde. Sie sollen sich in Gruppen zusammensetzen und ein Plakat entwerfen, das die Frage „Wie stellst du dir den Menschen der Zukunft vor?“ beantworten soll. Und das gehen die verschiedenen „Evolutionsforscherteams“ auch direkt an. Hier agiert die Lehrerin als Lerncoach, wie es das Flipped-Classroom-Konzept vorsieht. Sie begleitet die Schülerinnen und Schüler bei dem selbstständigen Aneignen von Wissen via Smartphone sowie den zuvor ausgeteilten Informationstexten und unterstützt bei der Bewältigung der Übungsaufgaben. Sie geht von Gruppe zu Gruppe, verrät Tipps und Tricks zum Gestalten der Plakate und beantwortet die aufkommenden Fragen der Schülerinnen und Schüler.

Video, Text, Arbeitsblätter – die Mischung macht’s

Die Klasse begrüßt das gemeinsame Erarbeiten des Themas. Sie haben sichtlich Spaß an der Aufgabe: Es wird gemalt, diskutiert, gegoogelt, gelesen, geschrieben und gebastelt. Nur Textarbeit und Frontalunterricht seien langweilig, aber immer nur Videos anzuschauen, würde mit der Zeit auch eintönig werden, sind sich die Schülerinnen Anu und Julia einig. Die Mischung aus Gruppen-, Text- und Videoarbeit gestalte das Lernen jedoch spannend und abwechslungsreich.

Das findet auch Frau Singer, die den Schülerinnen und Schülern zusätzlich zum Anschauen der Videos einen Arbeitsauftrag, z. B. das Erstellen einer Mindmap, als Hausaufgabe an die Hand gibt. Im Unterricht wird der Stoff dann in Gruppenarbeit angewandt. „Damit die Informationen durch das Video verarbeitet und verinnerlicht werden können, bearbeiten wir im Unterricht Transferaufgaben. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass jeder Schüler und jede Schülerin sich das Video angeschaut hat“, so die Biologielehrerin. Das sei jedoch bei reiner Textarbeit nicht anders. Und was bedeutet der Einsatz von Videos für die Unterrichtsvorbereitung und den Arbeitsaufwand? „Der Aufwand für die Lehrerinnen und Lehrer ist mit dem Verwenden von Videos im Unterricht nicht anders als das Arbeiten mit Texten“, so Singer. Der Unterschied bestünde nur darin, dass die Lehrkraft Videos anschaue, statt Texte zu lesen. Der Aufwand für das Anfertigen von Arbeitsblättern bleibe unverändert.

Über das Projekt

Das Projekt wird unterstützt vom ERASMUS+ Programm der Europäischen Kommission.

Präsentation der Ergebnisse

Am Schluss stellen alle Gruppen ihre Ergebnisse vor und die anderen Schülerinnen und Schüler dürfen diese bewerten. Von jedem Plakat wird ein Foto gemacht und an den Klassen-E-Mailverteiler geschickt, damit alle Schülerinnen und Schüler auf dem gleichen Wissensstand bleiben. Hausaufgaben gibt es an diesem Tag keine, denn die Schülerinnen und Schüler freuen sich auf ihre Klassenfahrt. Und dann kündigt die digital klingende Schulglocke den Pausenbeginn an.

Fotos: © sofatutor