Meine erste Klassenfahrt „auf der anderen Seite“ – Teil 3

Referendarin Franzi ist am Ende der Klassenfahrt auch am Ende ihrer Kräfte. Im dritten Teil erzählt sie vom chaotischen Abschluss ihrer kurzen Reise.

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Pädagogische Mission
Jeden Schüler und jede Schülerin ins richtige Bett zu bekommen ist, wie mir scheint, die eigentliche pädagogische Mission, die wir während dieser Klassenfahrt verfolgen. Bis wir uns einer fadenscheinigen Nachtruhe gewiss sind, ist es kurz vor eins und wir Lehrerinnen und Lehrer erlauben uns, auch ins Bett zu gehen. Ich putze mir die Zähne im Herbergswaschraum, der versiffter ist als eine Festivaltoilette. Ich danke einer höheren Macht, dass ich hier nur eine Nacht verweile. So bin ich nicht zu einer Dusche gezwungen.
Ich krieche in meinen Schlafsack und verabschiede mich aus dem Tag. Den Wecker stelle ich auf sechs Uhr. In meinem Zimmer ist es so dunkel, dass ich keine Umrisse erkenne. Der bedeckte Himmel lässt kein Sternenlicht hindurch und künstliche Lichtquellen sind in Brandenburg rar gesät.

Nach kurzen Nächten
Ungelogen: Als der Wecker klingelt, erwache ich aus dem tiefsten Tiefschlaf und könnte schwören, dass ich keinesfalls mehr als eine halbe Stunde geschlafen habe. Die Angst wieder einzuschlafen und von einer Meute wilder Schülerinnen und Schüler aus dem Bett geworfen zu werden, lässt mich entgegen meiner Gewohnheit sofort aufstehen. Im Badezimmer, das am Morgen noch genauso eklig ist wie am Abend, mache ich mich so vorzeigbar, wie es geht. Dann wecke ich die Schülerinnen und Schüler, die mit mir Frühschicht haben.
Alles ist leiser am Morgen. In ihrer letzten Nacht haben die Schülerinnen und Schüler wenig geschlafen und so trotten sie sehr gemächlich an den gedeckten Tisch. Nur nebenher bekomme ich mit, dass Daniel schon wieder Ärger bekommen hat. Vor den Augen meines Kollegen ist er am Morgen aus dem Mädchenschlafzimmer gekrochen. Wie hormongesteuert kann man sein? Und wie dämlich? Ich kann mir keine der beiden Fragen beantworten.

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Küchenreinigung
Nach dem Frühstück machen wir uns ans Aufräumen. Unser Zug geht um elf Uhr. Da mein Zimmer sehr unbeschadet davon gekommen ist, erkläre ich mich bereit, die Küche sauberzumachen. Es wäre natürlich pädagogisch wertvoll, die Schülerinnen und Schüler an dieser Reinigungsaktion zu beteiligen. Aber die Küche ist klein. Und die Schülerinnen und Schüler groß, faul und unbeweglich. Ich beschließe, dass sie sich lieber mit der Reinigung ihrer Zimmer befassen mögen. Diese haben alle Zuwendung nötig, um in einer Stunde an die Herbergsleitung übergeben werden zu können. Ich hoffe wirklich, dass ich in meiner pädagogischen Laufbahn noch mit etwas mehr Geduld beschenkt werde. Sonst mache ich „demnächst auch noch die Hausaufgaben meiner Schülerinnen und Schüler oder schreibe ihre Klausuren“. Das ist ein freier Kommentar meines Kollegen zu meinem Tatendrang bei der Küchenreinigung. Die Wahrheit ist aber auch: Ich habe keine Lust, den Zug zu verpassen, weil in der Küche schmutziges Geschirr steht. Lieber erledige ich die ganze Arbeit allein, als auch nur eine überflüssige Stunde in der umgangssprachlichen Walachei und ohne Handyempfang zuzubringen. Was meinen Wunsch nach Erreichbarkeit und die daraus resultierenden Entzugserscheinungen betrifft, bin ich kein Stück besser als meine Schülerinnen und Schüler.

Schlachtfelder und Sheriff-Gang
Weil es heute wie aus Kannen gießt, bietet uns ein Mitarbeiter der Jugendherberge an, uns zum Bahnhof zu fahren. Das würde uns eine weite Wanderung ersparen. Zur Bedingung macht er die absolute Reinheit aller Zimmer um 10:15 Uhr. Als er diese Beschränkung ausgesprochen hat, verabschiede ich mich innerlich vom warmen Autositz, denn um 9:45 Uhr sehen die Zimmer der Schülerinnen und Schüler noch immer aus wie Schlachtfelder und niemand gibt sich Mühe, etwas daran zu ändern. Einzige Ausnahme: Martin. Der stark übergewichtige Junge mit Basecap bewegt sich plötzlich in einer solchen Geschwindigkeit in seinem Zimmer umher, dass es binnen kürzester Zeit sauber ist. Die Aussicht auf eine bequeme Autofahrt hat Superkräfte in ihm ausgelöst. Mit einem Stock bewaffnet und in einem sehr überzeugenden Sheriff-Gang zieht er jetzt durch die Gänge und kontrolliert die anderen Schülerinnen und Schüler beim Aufräumen. Diejenigen, die ihm zu langsam sind, brüllt er an: „RÄUM AUF! Wenn ich hier um viertel elf nicht vom Boden essen kann, komme ich heute Abend zu dir nach Hause und kack dir aufs Kopfkissen!“ Ich weiß, ich sollte ob seines Tonfalls einschreiten. Aber was soll ich sagen: Der Spruch hat mich belustigt und er hat vollbracht, was wir Pädagoginnen und Pädagogen nicht schaffen konnten – Die Schülerschaft räumt endlich auf.

Nachbereitung
Ein paar Minuten später sitzen wir im Auto Richtung Bahnhof. Wieder eine Zeit danach im Zug nach Berlin. Ich bin völlig ausgelaugt und würdige jede peinliche Aktion meiner Schülerinnen und Schüler nur noch mit einem entnervten Blick. Zumindest bemühe ich mich, so zu schauen. Was mein Gesicht tatsächlich macht, habe ich nicht mehr unter Kontrolle. Als wir die Schülerinnen und Schüler vor der Schule wieder ihrem Schicksal überlassen, bin ich unglaublich erleichtert. Eine so große Last wie die der zweitägigen Verantwortung für ein Dutzend Pubertierender habe ich noch nie tragen müssen. Ich seufze erlöst und nehme mir vor, zu Hause direkt zu googeln, ob ich als Lehrperson für schwangere Jugendliche, deren segenreiches Wunder während einer Klassenfahrt entstanden ist, unterhaltsrechtlich belangt werden kann. Ich mache mich auf den Heimweg und trage meine Gitarre auf dem Rücken, die schwere Tasche auf der rechten Schulter, den Schlafsack auf der linken. Als ich nach Hause komme, bin ich zum Googeln zu müde. Ich lege mich auf die Couch und sinke in einen tiefen Schlaf.

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Titelbild: © Piotr Marcinski/shutterstock.com