Sommerferien: Über die letzten Tage vor der freien Zeit

Kurz vor dem Schuljahresende ist in der Schule nichts wie sonst. Referendarin Franziska dokumentiert den Ausnahmezustand.

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Vor meiner Schule steht ein Springbrunnen. Vor einer Woche ist er dem Streich einiger Abschlussklässler und -klässlerinnen zum Opfer gefallen. Sie fanden es lustig, eine Flasche Schaumbad darin zu leeren. Seit einer ganze Woche schaumt der Brunnen nun schon vor sich hin und bekommt regelmäßig Besuch einiger Obdachloser und Hundebesitzer, die ihn für ihre Reinigungszwecke nutzen. Gleichzeitig illustriert dieses abstruse Bild, wie anders es in der Schule gegen Ende des Schuljahres und zum Ende der Schulpflicht zugeht.

Ein Schatten ihrer selbst

In der zehnten Klasse ist nicht erst seit gestern die Luft raus. Seitdem die MSA-Prüfungen geschrieben wurde, können die Schülerinnen und Schüler nicht mehr. In die Abschlussarbeiten haben sie viel Energie gesteckt. Nun haben sie schlicht keine Lust mehr und sind müde. Teilweise sind sie ein regelrechter Schatten ihrer selbst. Vor wenigen Tagen hielt ich Mert auf dem Schulhof an. Er schulterte eine ungefähr 80 cm lange Metallstange und patrouillierte damit über das Schulgelände. Mert ist kein gewalttätiger Schüler, doch bei etwas, was von weitem wie eine Waffe aussieht, muss ich nachfragen. „Was hast du denn da?“, erkundige ich mich freundlich, als ich vor ihm stehen bleibe. Mert antwortet müde: „Das ist der Schuhlöffel von uns zu Hause!“ Verwundert hake ich nach: „Wozu nimmst du den mit in die Schule?“ „Ich hab mir heute Morgen die Schuhe angezogen und vergessen, ihn wieder aus der Hand zu legen“, gibt Mert zu. Ich kann mir ein kleines Lachen nicht verkneifen.

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Nochmal richtig Scheiße bauen

Seit zwei Wochen ist bei uns Notenschluss – an ihrer Jahresleistung können die Schülerinnen und Schüler nur noch durch extreme Ausfälle und Rettungsprüfungen etwas ändern. Die Lehrerinnen und Lehrer wissen das, wollen es die Schülerschaft aber keinesfalls merken lassen. Noch auf dem Flur fragt Daniel mich mit einem Augenzwinkern: „Frau F., was passiert, wenn ich jetzt nochmal richtig Scheiße baue? An meiner Note können Sie doch nichts mehr ändern, oder?“ Die Zeugnisse sind schon so gut wie gedruckt. Kein Lehrer und keine Lehrerin hat jetzt noch den Nerv für eine weitere Änderung. Ich weiß auch, dass Daniel nicht wirklich die Grenzen testet, seine Frage ist eher als Scherz zu verstehen. Dennoch antworte ich: „Wenn du nicht möchtest, dass ich mich bei der Abschlussfeier mit meinem Rotstift an deinem schönen Zeugnis zu schaffen mache, solltest du dich auch in den letzten Tagen bemühen!“ Meine Antwort hört Daniel schon nicht mehr. Grölend ist er mit einem Freund im Klassenraum verschwunden. Ich folge ihnen und versuche, den Unterricht zu beginnen.

Letzte Unterrichtsinhalte

Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, die Schülerinnen und Schüler noch für sinnvolle Aufgaben zu motivieren. Gemeinsam mit der Klassenlehrerin bespreche ich im Unterricht das Thema der ersten eigenen Wohnung mit den Schülerinnen und Schülern. Viele Ideen für meinen Unterrichtsköcher ziehe ich aus der Erinnerung an meine eigene Ratlosigkeit zum Ende der „Schonzeit Schule“. Wir schauen uns Wohnungsanzeigen an, besprechen die Vor- und Nachteile von Neu- gegen Altbauwohnungen und tauschen uns über nützliche und weniger nützliche Ikea-Möbel aus. Immerhin weiß ich jetzt, dass meine Schülerinnen und Schüler mir auf dem Wohnungsmarkt keine Konkurrenz machen werden. Zu unterschiedlich sind unsere Vorstellungen von einer netten Behausung. Als auch dieses Thema zum Ermüden gekommen ist, beschränken wir uns auf die Besprechung ganz wesentlicher Inhalte. Das bedeutet bei meinen Schülern und Schülerinnen: Wir planen die Zeugnisfeier und die letzten Klassenausflüge. Den Sinn einer Stell- und Bühnenaufgangsprobe verstehen die meisten von ihnen nicht: „Warum sollen wir in einer bestimmten Reihenfolge aufs Podium?“, „Wieso üben wir den Weg dorthin? Ey Frau F., – ich kann nicht erst seit gestern laufen!“ Erst als Gregor anmerkt, dass „die beim Fußball auch immer üben, wie sie ins Stadion laufen“ endet die Diskussion. Wenn Fußballspieler, die höchstangesehenen Mitglieder der Gesellschaft, das so tun, dann muss es wichtig sein. Nun sind die Jugendlichen vor ihrem großen Auftritt nervös. Sie tauschen sich über Outfits aus. Kaum vorstellbar, dass zwei Schülerinnen das gleiche Kleid tragen. Das hat ja auch schon bei den Oscars für Lacher gesorgt. So viel haben meine Schülerinnen und Schülern aus den Medien gelernt. Seit Wochen üben die Mädchen daheim auf ihren hohen Schuhen zu laufen. Den Jungen fällt jetzt auf, dass die Mädchen sie in diesen auf dem Abschlussfoto mitunter überragen und betteln um kleinere Absätze. Als Idee für ein passendes Lied zum Einmarsch bringt Jana ein: „Der Soundtrack von Transformers ist voll krass! Wollen wir den nehmen?“ Im Raum liegt eine gelöste Stimmung.

Wehmut zum Abschied

Gegen Ende der letzten Stunde werde ich etwas wehmütig. Es ist kaum vorstellbar, dass ich die meisten von ihnen nach der Zeugnisfeier vermutlich nicht mehr sehen werde. Ich nehme mir vor, keinen von ihnen zu vergessen und weiß doch, dass noch sehr viele Schüler und Schülerinnen auf mich warten. Bei jedem Schüler und jeder Schülerin habe ich im vergangenen Jahr gute wie schlechte Eigenschaften kennengelernt, jeden weiß ich auf seine bzw. ihre Weise zu schätzen. Nach der Stunde kommt Annina zu mir: „Frau F., werden Sie uns vermissen?“ Ganz ehrlich antworte ich: „Natürlich! In der Schule wird es ohne euch nächstes Jahr ganz anders sein!“ Annina denkt kurz nach und sagt in einem tröstenden Tonfall: „Nächstes Jahr kommt mein Bruder an diese Schule. Er ist ganz anders als ich. Voll Kleinkind und so. Aber so haben Sie wenigstens noch etwas von mir!“

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Gastautorin Franzi

Franziska studierte Sonderpädagogik und Deutsch auf Lehramt an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nun ist sie Referendarin an einer Integrierten Sekundarschule (ISS) im Berliner Zentrum. In den selten gewordenen Nächten mit etwas Schlaf träumt sie davon, selbsternannte Berufsexperten, die den Spruch „Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei“ proklamieren, mit dem Rohrstock über den Sportplatz zu jagen.


Titelbild: © Oleksandr Fediuk / Shutterstock.com