Macht und Ohnmacht: Sekretärin und Sprachassistentin

Sekretärinnen sind das Herz einer jeden Schule. Ohne sie geht nichts. Deshalb stellt man sich besser gut mit ihnen. Weil Maximilian Lämpel das macht, bekommt er manchmal Aufgaben übertragen.

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Sekretärin = die Allwissende

Unsere Sekretärin heißt Frau T. und gilt als freundliche ältere Dame. Ich mag Frau T. sehr, nicht nur weil sie wirklich sehr nett ist und immer ein Teller mit Keksen auf ihrem absurd großen Schreibtisch steht. Mir gefällt besonders, dass sie zuverlässig meine Fehler ausbügelt: Sie guckt nochmal über sämtliche Formulare und macht mich auf Termine aufmerksam, an die mich nicht mal mein Kalender erinnert.
Deshalb muss man allen Schulmenschen raten: Stellt euch gut mit der Sekretärin. Dann seid ihr auf der richtigen Seite. Sie ist die Instanz, die den Laden im Innersten zusammenhält. Nicht nur hilft sie regelmäßig mit Büroklammern und überhaupt jedem erdenklichen Bürobedarf aus, sondern vor allem mit guten Worten und Informationen – Kommunikation ist das Wichtigste. Deshalb weiß Frau T. alles: Sie ist nicht nur bestens damit vertraut, wer in welcher Klasse Leistungen vom Staat bezieht. Sie hat auch die Privatadressen des ganzen Kollegiums im Kopf und kennt die Beziehungkonstellationen in Kollegium UND Schülerschaft. Außerdem hat sie alle Geburtstage im Blick und für Sperenzien des Senats immer eine adäquate Reaktion parat.
Da fällt mir auf, dass mir an allen Schulen bisher ausschließlich Sekretärinnen begegnet sind. Warum eigentlich denke ich beim Wort „Sekretär“ nur an alte Filme, Herrn Tauber oder Biedermeier?

Sekretärin = Chefin

Niemand arbeitet so lange an dieser Schule wie Frau T. Sie ist die rechte Hand des Schulleiters. Im Alltag scheint es oftmals, als sei sie die Chefin im Hintergrund, die alle Fäden zieht. An vielen zieht sie auch ganz unverblümt. So strahlt sie nicht nur Freundlichkeit und Güte, sondern auch jede Menge Weisheit und Kompetenz aus. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sie sich um den Vertretungsplan kümmert, wenn der neue stellvertretende Schulleiter mit dem alten System überfordert ist. Früher war es umgekehrt, der Alte war mit dem Neuen überfordert.
Frau T. hat zurzeit noch mehr zu tun als sonst. Deshalb delegiert sie viel. Neulich kam sie mit einer Bitte zu mir: Ob ich unsere neue Sprachassistentin Frau G. aus Paris schon kennengelernt hätte. Die sei seit drei Wochen an unserer Schule und stelle, nun ja, immer so viele Fragen. Der Schulleiter habe sie ins kalte Wasser geworfen. Sie brauche Orientierung. Ob ich mich mal mit ihr zusammensetzen könne. Kann ich.

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Madeleine im Wunderland

Weil Herbstferien sind, treffen wir uns im Café. Frau G. heißt Madeleine, studiert Germanistik in Paris und spricht so, wie man es von einer 22-jährigen Sprachassistentin, die seit drei Jahren Germanistik studiert, erwartet. Sogar meine 9b findet sie bezaubernd. Madeleine begleitet die Französischlehrerinnen und -lehrer, assistiert ihnen als lebendiges Wörterbuch und charmanter Sidekick. Gleichzeitig macht sie sich ein Bild vom deutschen Schulsystem. Mittwochnachmittags leitet sie eine AG, in der sie von Frankreich berichtet, Videos zeigt und alles von France Gall bis Cœur de Pirate spielt.
Jetzt erzählt sie mir, sie wisse manchmal nicht ganz, wo oben und unten sei und stolpere nur mit großen Augen durch das Schulgebäude und Berlin. Deshalb fragt sie mich lauter ulkige Sachen: Warum haben die Lehrerinnen und Lehrer hier zwei Fächer, die müssen ja doppelt so lang studiert haben wie die französischen Kolleginnen und Kollegen?! Stimmt es, dass hier alle Lehrerinnen und Lehrer gleich viel verdienen? Wie ungerecht! Die Logik hinter Klassenbüchern und Hausaufgabenheften sei total unlogisch. Auch nicht zu fassen, wie viel die Schülerinnen und Schüler im Unterricht redeten, ja regelrecht zum Diskutieren aufgefordert würden! Und Berlin, warum ist hier alles so günstig? Dieser Milchkaffee koste halb so viel wie in Paris! Und incroyable, wie viele „Ipster“ und wie wenig Anzugträger sie hier überall sehe. Warum ist das so?

„Ase“

Weil sie ihre Sprachkenntnisse vertiefen will, stellt sie außerdem viele Fragen zu Grammatik und überhaupt allem, was mit der deutschen Sprache zu tun hat. Ab und zu habe ich eine Antwort. Sie will wissen, warum die luthersche Bibelübersetzung so wichtig für die deutschen Sprache gewesen sei. Das habe sie im Studium nicht verstanden. Wir plaudern ein bisschen über Luther, Flickenteppiche, Gutenberg und landen schließlich bei Redewendungen. Die sind zur Ergründung der Seele eines Landes bekanntlich ein probates Mittel. Am besten gefalle ihr die Sache mit dem „Asen“. „Asen?“, frage ich. „Ja, sagt man das eigentlich oft: ‚Da liegt der Ase im Pfeffer‘?“, fragt Madeleine zurück. „Haha, na ja“, sage ich, „nicht so oft.“ Das werde eher von älteren Herrschaften genutzt. Von Frau T. z. B., die benutze diese Wendung häufig. Ach Frau T., erwidert Madeleine, die sei so nett und habe ihr viel geholfen. In Frankreich gebe es solche Schulleiterinnen nicht. Ich kapiere nicht sofort, was los ist. Erst als sie ihren Gedanken ausführt, wird mir klar, dass Madeleine unsere Sekretärin Frau T. wirklich für unsere Schulleiterin hält.
Tja, kann ich gut verstehen, weil: siehe oben.

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Titelbild: © marco mayer/shutterstock.com