Warum nur 10 Prozent der Lehrer wirklich gut sind

Der „geborene Lehrer“ zu sein, schien lange Zeit genau das: Eine Eigenschaft, die man entweder besitzt oder nicht. Studien belegen jedoch etwas anderes.

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Es gibt nur wenige Dinge, die das Leben eines jungen Kindes so beeinflussen wie der Unterricht, den es genießt. Die Expertise und die Leidenschaft der Lehrkraft sind so wichtig, dass andere Faktoren, wie etwa das Lernumfeld, die Klassenstärke oder die vorhandenen Lehrmaterialien, dahinter zurücktreten.
Problematisch ist, dass sich die wenigsten Lehrerinnen und Lehrer dazu in der Lage sehen, ihren Unterricht so durchzuführen, wie sie es gern würden. Studien konnten zeigen, dass das drastische Folgen hat.

Dreimal so viel gelernt

So fand Eric Hanushek, Wirtschaftswissenschaftler der US-amerikanischen Universität Stanford, heraus, dass die zehn besten Prozent der Lehrkräfte des Landes den Lernenden in einem Schuljahr den Lernstoff von anderthalb Jahren vermittelten. Am unteren Ende hingegen lernten die Kinder, die vom ineffizientesten Zehntel der Lehrkräfte unterrichtet würden, nur etwa ein halbes Jahr an Lernstoff. Somit lernten die Kinder, die Glück hatten, dreimal so viel wie Gleichaltrige.

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Kinder bzw. deren Familien können dagegen nur wenig ausrichten. Es bleibt wohlhabenden Familien vorbehalten, die Versäumnisse schlechten Unterrichts durch einen guten „Ersatzlehrenden“ auszugleichen. Guter Schulunterricht hilft demnach vor allen Dingen Kindern aus armen Haushalten. Wenn gute Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler in der Grundschule adäquat unterrichteten, könnte dies sogar den Einfluss des Faktors Armut auf das Abschneiden bei Tests ausgleichen, so Hanushek weiter.

Feedback hilft Schülerinnen und Schülern am meisten

Ein sehr wichtige Arbeits- und Reflexionsgrundlage für Lehrkräfte sind die Ergebnisse der Hattie-Studie. Diese erschien zuerst 2013 und zog die Ergebnisse aus 65.000 Studien zusammen, die insgesamt 250 Millionen Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihres Lernerfolgs untersuchten. 2014 ergänzte Hattie seine Untersuchungen um den Faktor „Feedback geben“. Demnach sei es am effektivsten und gleichzeitig wenig kostenaufwendig, den Schülerinnen und Schülern regelmäßige Rückmeldungen zum Arbeitsfortschritt zu geben.

Es helfe ihnen außerdem, sich metakognitive Lernstrategien anzueignen, also zu lernen, wie sie über ihr eigenes Lernen reflektieren können. Zusätzlich gibt Hattie den Hinweis, dass Lehrkräfte die Absichten ihres Unterrichts jederzeit klar kommunizieren sollten und der Unterricht im Aufbau einem Computerspiel gleichen sollte, bei dem das nächste Level nicht zu leicht, aber auch nicht zu schwer zu erreichen ist.

Eine Frage der Technik

Gutes Lehren kann also gelernt werden, wenn die richtigen Techniken bekannt sind und Lehrkräfte den Raum haben, diese zu vermitteln. So handelten viele Lehrerinnen und Lehrer falsch, weil sie es schlicht nicht anders wussten. Lehrende glaubten zwar oft, dass es sinnvoll sei, Kinder viel und häufig zu loben, sie in gleich starke Lerngruppen zu packen oder ihre Lerntypen zu beachten. Das seien jedoch keine guten Ideen. Auch die Lernenden sich selbst zu überlassen und keine Hilfestellung bei komplexen Übungen zu geben, sei keine gute Lehrmethode. Stattdessen müssten Wissen und kritisches Denken im gleichen Maß vermittelt werden.

Wichtige Techniken, um das Unterrichten zu verbessern, zielen darauf ab, die Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendlichen zu steuern, fand Lehrer, Buchautor und Bildungswissenschaftler Doug Lemov durch das Auswerten von Testergebnissen, Unterrichtsbesuchen und Videoauswertungen heraus. Er identifizierte 62 effektive Techniken, um den Unterricht fachunabhängig zu verbessern: So sei es wichtig, die Kinder an der Schwelle zum Klassenzimmer abzuholen, mit einer starken Stimme zu sprechen, dabei ruhig aufzutreten und sich nicht davon beirren zu lassen, wenn abgelenkte Schülerinnen und Schüler den Unterricht störten. Eine weitere Methode sei es, die Aufmerksamkeit der Kinder über Übungen zu aktivieren, in denen sie schnell und spontan zu einem Lernthema Stellung beziehen müssten.

Japan fragt nach dem „Wie“, nicht nach dem „Was“

Spannend war bei der Frage nach der richtigen Technik ein Vergleich mit Ländern, die z. B. in der PISA-Vergleichsstudie gut abschnitten. So fand James Stigler, Psychologieprofessor an der UCLA in den USA, heraus, dass in amerikanischen Klassenzimmer eher nach dem „Was“ gefragt würde, wohingegen japanische Lehrerinnen und Lehrer mehr nach dem „Warum“ und dem „Wie“ fragten, um nachzuvollziehen, ob die Schülerinnen und Schüler den Schulstoff verstanden hatten. Japan gehört traditionell zu den Ländern, die in der Vergleichsstudie besser abschneiden, worin Stigler einen Beleg für seine Beobachtungen sah.

So wies die OECD in der letzten Vergleichsstudie 2016 nach, dass „kognitive Lernstrategien“ sich häufig mit guten Testresultaten paarten. Dabei werden im Unterricht kurze Übungen durchgeführt, in denen die Lernenden Schreibaufgaben bearbeiten, die sie zum Lernen anregten.

Zu wenig Hilfe für neue Lehrkräfte

Es sei vor allen Dingen in der Ausbildung der Lehrkräfte immer wieder zu sehen, dass Universitäten nicht nachweisen müssten, ob ihre Studienprogramme effektiv seien, resümiert Hattie in seiner Studie über das Lehramtsstudium in Australien. Das Bild zeigt sich auch in anderen englischsprachigen Nationen und sogar in Finnland, das als vorbildlich in Hinblick auf die Lehrerausbildung gilt. Es würde zu wenig Klassenorganisation und Pädagogik vermittelt. Viele junge Lehrerinnen und Lehrer müssten sich diese Fähigkeiten über die ersten drei bis fünf Jahre der Unterrichtspraxis selbstständig erarbeiten. Das sei mühselig und führe eben häufig zu Techniken, die das Lernen und die Wissensvermittlung nicht verbesserten, sondern eher behinderten.

Wenig Chancen, sich zu verbessern

Unabhängig von der Berufserfahrung der Pädagoginnen und Pädagogen üben die meisten ihren Beruf hinter verschlossenen Türen aus und erhalten nur wenig Rückmeldung von anderen. Institutionell ist kaum noch Feedback vorgesehen, sobald Lehrende ihren Abschluss in der Tasche haben. Höchstens die Schulleitung kann sich dann bemühen, den Unterricht konstruktiv zu beurteilen. Das wollen jedoch die wenigsten Lehrkräfte. So unterliegen dann dem Irrglauben, sie würden wenig aufs Auswendiglernen und mehr auf die aktive Mitarbeit der Lernenden setzen. Umfragen unter Schülerinnen und Schülern deuteten jedoch auf das Gegenteil hin. Eine wirklich gute Lehrkraft muss also gleichermaßen Initiative zeigen, für das Fach brennen, Feedback an Lernende geben und sich eigenes aktiv einholen.


Kennen Sie weitere Techniken, die einen guten Unterricht Ihrer Meinung nach ausmachen? Schreiben Sie uns gerne einen Kommentar. Nehmen Sie auch an unserer Umfrage teil: Was macht eine gute Lehrkraft aus? Vielen Dank!

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