Homeschooling in Deutschland – Pro und Contra
Homeschooling als pädagogisches Modell ist in Deutschland ein kontroverses Thema. Es bedeutet, dass einige Familien ihre Kinder gerne zuhause bilden möchten. Dabei stoßen sie teilweise auf vehementen Widerstand seitens der Politik. Zum Start der Homeschooling-Serie wird die Frage gestellt: Was für Argumente gibt es für und gegen das Homeschooling?
Hintergrund: In Deutschland gilt die Schulpflicht
Deutschland gehört in der Europäischen Union zu einem der wenigen Länder, in denen die allgemeine Bildungspflicht in einer Schulpflicht spezifiziert ist. Das bedeutet, dass alle gemeldeten Kinder eine Schule besuchen müssen. Homeschooling ist nicht erlaubt. Einige Eltern wehren sich gegen diese Art der staatlichen Einflussnahme. Sie befürchten eine Einschränkung der freien Entwicklung und Lernfreude ihres Kindes. Teilweise sprechen auch religiöse oder ethische Gründe gegen den Besuch einer Schuleinrichtung. Auf der anderen Seite befürchten Gegner des Homeschoolings die Förderung einer Parallelgesellschaft, in der die Kinder isoliert werden.
Gerichtliche Entscheidungen zur Schulpflicht in Deutschland
Immer wieder kommt es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Homeschooling. Generell gilt, eine Ausnahme von der Ausbildung in der Schule ist nur in streng geregelten Sonderfällen möglich, z.B. bei einer Krankheit, die den Schulbesuch unmöglich macht. So mussten Eltern im Jahr 2009 in Bremen dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts folgen. Auch wenn sie der Meinung sind, dass ihre Kinder sich in der Schule nicht wohlfühlen und sie zuhause besser unterrichtet werden können, müssen die Eltern ihre Kinder in die Schule schicken.
2011 wies der Europäische Gerichtshof die gemeinschaftliche Klage von fünf deutschen Baptisten-Familien ab. Sie wollten ihre Kinder nicht zum Sexualkunde-Unterricht in die Schule schicken, worauf ein Bußgeld gegen sie verhängt wurde. Die Familien waren der Meinung, dass der Unterricht mit den religiösen Wertvorstellungen nicht übereinstimmt und damit das Recht auf freie Religionsausübung einschränkt. Zahlen mussten sie dennoch.
Aktuelle Entscheidungen
Mitglieder der christlichen Sekte „Zwölf Stämme“ erhielten 2006 die Zustimmung zur Errichtung einer privaten Ergänzungschule, die unter strengen Auflagen und nach Lehrplan 32 Kinder unterrichten durfte. Davon ausgenommen waren die Fächer Religion und Sexualkunde. 2013 wurde die Genehmigung entzogen, da die Behörden feststellten, dass es keine geeigneten Lehrer mehr für die Schule gab. Es wurde berichtet, dass die Eltern ihre Kinder nun selbst unterrichteten. Im September 2013 wurden dann 40 Kinder aus den Familien geholt und dem Jugendamt übergeben. Unter anderem gab es Vorwürfe, die Eltern hätten ihre Kinder geschlagen. Nach einem Bericht Ende April 2015 erhielten ehemalige Mitglieder ihre Kinder wieder, nachdem sie ausgestiegen waren.
In anderen deutschsprachigen Ländern sieht es anders aus
In Österreich gibt es eine Unterrichtspflicht. Homeschooling ist also möglich, wenn die Kinder offiziell dafür angemeldet sind. Zum Ende des Schuljahres legen die Schulkinder externe Prüfungen (Externistenprüfungen) ab. Bestehen sie diese nicht, müssen sie im folgenden Schuljahr eine staatliche Schule besuchen. Außerdem müssen sie zu Beginn des Schuljahres in der Schule in der Nähe ihres Wohnortes persönlich vorstellig werden. In Österreich werden derzeit rund 2000 Kinder zuhause unterrichtet.
In der Schweiz können Lehrerinnen und Lehrer Hausbesuche durchführen. Sie müssen dafür je nach Region mit oder ohne Lehrdiplom ausgezeichnet sein. Der Unterricht orientiert sich am staatlichen Bildungsplan.
Begriffsüberblick: Homeschooling, Hausunterricht, Freilernen, Unschooling, Deschooling
Es gibt neben dem international bekannten Begriff „Homeschooling“ weitere Ausdrücke, die in eine ähnliche Richtung gehen. Die wichtigsten sind „Hausunterricht“, „Freilernen“, „Unschooling“ und „Deschooling“. Der klassische Hausunterricht meint die pädagogische Betreuung der Kinder durch Lehrerinnen und Lehrer, die ins Haus kommen oder pädagogisch gebildete Eltern. Freilerner verfolgen einen eher philosophischen Ansatz, nachdem Kinder nicht zum Lernen eines bestimmten Stoffes gezwungen und nicht von Erwachsenen beurteilt werden sollen. Unschooling entspricht diesem Prinzip weitestgehend und ist die englische Bezeichnung dafür. Deschooling als Konzept versucht, diese klassischen Strukturen und Mechanismen der Schule durch ein „Verlernen“ aufzubrechen. Ein weiteres Konzept ist das selbstbestimmte Lernen, das sowohl als Hausunterricht als auch in Kombination mit einem Schulbesuch erfolgen kann. Dieses Konzept weist individuelle Charakteristiken auf.
Expertenstimmen zum Homeschooling
Herr Prof. Volker Ladenthin, Professor für Bildungswissenschaften der Universität Bonn und Ulrich Pfaff, Berichterstatter der Kultusministerkonferenz für Schulrecht, haben die Frage beantwortet:
„Ist Homeschooling eine sinnvolle Alternative zum klassischen Schulunterricht?“
Prof. Volker Ladenthin, Professor für Historische und Systematische Erziehungswissenschaft der Universität Bonn:
„Was geschieht mit Eltern, die ihren Kindern mit eigener Hilfe eine optimale, passende Bildung zukommen lassen möchten? Müsste der Staat diese Eltern nicht unterstützen, weil diese Eltern den Staat entlasten? Das häufigste Argument ist, dass Kinder frühzeitig Gemeinschafts- erfahrungen machen müssten: Was wohl die 500.000 schulischen Mobbingopfer zu diesem Argument sagen? Ein selbstsicherer Staat braucht seine Bürger nicht zum Glück zwingen. Er stellt Möglichkeiten bereit, hilft denen, die sich allein nicht helfen können und vertraut jenen, die nachweisen, dass sie etwas gut können oder gar besser als er.“
Ulrich Pfaff, Berichterstatter der Kultusministerkonferenz (KMK) für Schulrecht:
„Ein Kind kann vielleicht auch durch Homeschooling schulisches Wissen erwerben. Was ihm aber entgeht, sind eine qualifizierte Schulbildung und soziale Koedukation (Gemeinschaftserziehung) in der Schule, wie sie in einem Land wie unserem unverzichtbar sind. Eltern, die ihr Kind zuhause unterrichten wollen, gehören meist kleinen religiösen oder weltanschaulichen Gruppen an. Der Staat schützt solche Lebensweisen auch bis zu einem gewissen Maße. Er darf aber verlangen, dass die Kinder in der Schule jungen Menschen anderer Prägung begegnen. Nur so kann gegenseitiger Respekt wachsen.“
Was halten Sie vom Homeschooling? Wir freuen uns auf Ihr Feedback!
Titelbild: ©antoniodiaz/shutterstock
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weil solche Dinosaurior solche positionen noch besetzten wird sich nur nach ihre pension etwas bewegen lassen. Oder sollen wir ihn einladen mit 10 Schüler von seinem System und mit 10 Freibildner/homeschooler ein experiment machen welche gruppe mehr „respekt“ hat? http://www.bildungbewegen.ch
Vielen Dank Herr Prof. Volker Ladenthin!
zu Herrn Ullrich Pfaff und denen, von denen Sie berichten:
Mit den Worten von HG Butzko: „Sagen Sie bitte, wo Sie sich die letzten 10 Jahre herumgetrieben haben? In welchem Paralleluniversum befanden Sie sich? Ich weiß nicht, in welcher Realität Sie sich befinden, aber für sowas musste Christoph Daum mal eine Haarprobe abgeben.“
Man soll Misstände wahrnehmen, klar benennen und nicht ignorieren!
Ein Kind kann in der Schule schulisches Wissen erwerben, aber gebildet wird es dort nicht bzw. nicht mehr. Was dem Schulkind entgeht, sind eine ausreichende Bildung und echtes Mitgefühl und Liebe, vielleicht sieht es in unserem Land jetzt so aus wie es aussieht und es wird noch schlimmer kommen. Eltern, die ihr Kind zuhause unterrichten wollen, gehören meist nicht kleinen religiösen oder weltanschaulichen Gruppen an, sondern kommen aus der Mitte der Gesellschaft und machen sich Sorgen! Warum sind alle Freien Schulen und Waldorfschulen so überfüllt und mit undenkbaren Wartelisten bestückt? Eltern und Kinder haben das Recht darauf, dass die staatliche Schule sie so respektiert wie sie nun mal sind, das tut sie aber nicht!
Respekt verlernt man in der Staatsschule und nicht nur dass, man den Respekt verlernt, man verlernt auch die Liebe und die Liebe zur Freiheit.
Wir wollen Kinder, die in Liebe und Freiheit aufwachsen und lernen können. Kinder, die ihr Potential ausschöpfen können… erst durch unsere Kinder ist eine bessere Gesellschaft möglich – und das wollen wir doch.
Wenn „Respekt voreinander“ das einzige Ziel ist, das die momentane Staatsschule nennt, dann kann ich nur traurig rufen: Halt – Stopp – nein!.
Sie erziehen hier keine Menschen zu Respekt, sondern zu Gehorsam – zu gehorsamen Staatsdienern. Dieser unser Staat hat einen übersteigerten Kontroll- und Überwachungstick, der den Menschen und den Schülern kein Vertrauen entgegenbringt. So etwas kann nur nach hinten los gehen… daher ist es richtig, dass der Widerstand der Eltern in Deutschland wächst gegen eine Schulpflicht ohne Ausnahmeregelungen.
Herr Ullrich Pfaff, ich muss sagen, Sie und die Ihren, für die Sie berichten, haben Ihr Klassenziel vielleicht erreicht, aber sie sind ein zu altes Semester – denn unser Klassenziel – nämlich die Entklassifizierung der Gesellschaft – können sie mental (noch) nicht erreichen.
Ich finde es ein Armutszeugnis, dass es in Deutschland nicht gestattet ist Homeschooling anzuwenden. Es auf Sekten zu beschränken ist ein sehr einseitiges Bild. Gerade hochbegabte Kinder, Schüler mit ADHS etc. haben große Probleme in unser „SYSTEM“ zu passen. Oft gibt es gar nicht das Personal, um diese Schüler in diesem System angemessen zu unterrichten.
Wenn es halbjährliche Prüfungen gibt, die offiziell abgelegt werden müssen und damit den Lernstand überprüfen, halte ich diese Lernmethode für absolut richtig und wichtig. Eben für die Kinder die auch auf Biegen und Brechen nicht in die Kiste passen, in die sie gefälligst passen sollen.
Mehr Bildungsqualität, mehr Personal, mehr Geld für Bildung und diese Diskussion wäre nicht notwendig.