DSG Berlin: „Wir können nicht nur Köttbullar essen!“

Jacob Chammon ist Schulleiter der Deutsch-Skandinavischen Gemeinschaftsschule Berlin. Die Schule zeichnet sich durch ein besonderes Konzept aus. Ein Besuch.

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Es ist Anfang Dezember, Vorweihnachtszeit. Im Sekretariat der Schule strahlt eine einzelne Kerze Besinnlichkeit aus. Hinter dem Empfangstresen sitzen und stehen vier Schülerinnen, die der Sekretärin aufgeregt von den Vorbereitungen zum großen Musical erzählen, das sie bald aufführen werden. „Und hast du auch eine Sprechrolle?“, fragt die Sekretärin das Mädchen mit dem geflochtenen Zopf. „Ja“, antwortet es stolz, während ihre Beine vom Tisch baumeln.

Das U-Bahn-Musical

In den anderen Räumen herrscht kreative Umtriebigkeit. Es wird geprobt, getanzt, geklebt und bemalt. Nächste Woche soll ein Musical an der Deutsch-Skandinavischen Gemeinschaftsschule Berlin (DSG Berlin) aufgeführt werden. Dafür arbeiten alle zehn Klassenstufen gemeinsam an diesem großen Projekt. „Es wird in der Berliner U-Bahn spielen“, erklärt Schulleiter Jacob Chammon lächelnd. Die Schulräume werden zu den Waggons der U-Bahn umgestaltet. Das hat auch praktische Gründe: Mittlerweile sind 150 Schülerinnen und Schüler plus 25 Lehrkräfte an der DSG Berlin. Viel mehr geht nicht. Da es keine Aula oder eine richtige Sporthalle gibt, fehlt der Raum für eine große Aufführung.

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Prinzip Projektarbeit

Solche großen klassen- oder jahrgangsübergreifende Projekte werden nicht ständig durchgeführt. Projektarbeit ist dennoch ein wichtiges Prinzip der Schule: Schon einzelne Inhalte werden zeitgleich in Deutsch, Mathe oder Englisch besprochen. So lernen die Schülerinnen und Schüler, sich Zusammenhänge zu erschließen.

Skandinavisch oder doch reformpädagogisch?

Als Schule in der Trägerschaft der Montessori-Stiftung wendet die DSG Berlin das an, was in Deutschland Reformpädagogik genannt wird. Aber eigentlich sei die Projektarbeit ein normales Phänomen an skandinavischen Schulen, findet Jacob Chammon. Das gehöre genauso dazu, wie den Schülerinnen und Schülern auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihnen gemeinsam Lernziele zu vereinbaren.

Es gibt auch ein paar Unterschiede zu einer skandinavischen Schule: In der DSG Berlin wird nach dem Berliner Rahmenlehrplan unterrichtet. Die Schülerinnen und Schüler werden von der ersten bis zur sechsten Klasse bilingual unterrichtet: deutsch-dänisch, deutsch-schwedisch oder deutsch-norwegisch. Außerdem werden in den Jahrgangsstufen eins bis acht keine Noten erteilt, sondern Lernziele mit den Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern vereinbart. Die Lehrerinnen und Lehrer schreiben zusätzlich Standberichte über jedes Fach. Erst ab Klasse neun werden Noten vergeben.

DSG Flaggen

Die DSG Berlin ist seit Mitte November eine anerkannte Ersatzschule in Berlin. Das bedeutet, sie führt seit diesem Schuljahr erstmals intern die MSA-Prüfung durch. Von dieser Auszeichnung erhofft sich Schulleiter Jacob Chammon zusätzliche Fördermöglichkeiten.

Die skandinavischen Sprachen und Kulturen sind zwei wichtige Aspekte, die in den Schulalltag einfließen. Aber man sei immer noch in Deutschland, bekräftigt der Schulleiter. „Wir wollen uns nicht als kleine skandinavische Schule abkapseln, sondern verstehen uns als Weltbürger. Die Schule verfolgt das Motto ‚ein Stück Berliner Vielfalt in Deutschland‘. Wir können nicht nur Köttbullar essen!“, erklärt der Däne lachend.

DSG Garderoben

Die Lehrerinnen und Lehrer

Das Lehrkollegium ist bunt gemischt. Einige skandinavische Kolleginnen und Kollegen kamen extra zur Gründung der Schule 2012 aus Skandinavien, andere wohnten bereits in Berlin. Es gibt auch Quereinsteiger unter den Lehrkräften. „Wir glauben, dass Unterricht viel mehr ist, als ein zweites Staatsexamen“, bekräftigt Jacob Chammon die Einstellung. Sie unterrichten teilweise zu zweit, wenn z. B. der Sprachenunterricht es erfordert. Durch die jahrgangsintegrierte Arbeitsweise werden drei Klassenstufen zusammengefügt. Man spricht sich im Team ab, wenn es mal schwierige Situationen gibt, mit denen ein einzelner Lehrer oder eine einzelne Lehrerin allein nicht zurechtkommt.

DSG Essensraum

Ein „normaler“ Schultag

Wer an der DSG Berlin in der siebten Klasse ist, lernt im Kurssystem. Ein normaler Schultag beginnt um 8.30 Uhr. Davon können andere Schülerinnen und Schüler Berlins nur träumen. Bis 10 Uhr wird im Klassenverband gelernt. Dann gibt es ein gesundes Frühstück in zwei Essenräumen, die mit Campingmöbeln eingerichtet sind. Weiß-blau und weiß-rot karierte Decken zieren die Tische. Auf jedem Tisch sind Teller, Besteck, Gläser und Karaffen mit Wasser bereitgestellt. Das machen die Schülerinnen und Schüler, die Küchendienst haben. Sie wischen auch die Tische ab und sorgen für Ordnung. Generell achtet der Schulleiter darauf, dass die Kinder achtsam mit ihrer Umwelt umgehen. Egal, ob sie laut werden oder Papierflieger durch die Gegend schießen. Jeder soll darauf achten, dass er andere nicht stört. Sollten sie das mal vergessen, weist er sie freundlich aber bestimmt darauf hin: „Ist das hier dein Papierflieger auf dem Boden? Kannst du ihn bitte wegräumen, wenn du ihn nicht mehr benutzt?“

Nach dem Frühstück sind die Schülerinnen und Schüler im Kurssystem. Sie wählen selbstständig Kurse oder Themen, die sie nachmittags in den „Lernbüros“ bzw. der „Freiarbeit“ bearbeiten. Das klingt ganz schön bürokratisch und ein bisschen ist es auch so: „Im Frontalunterricht sind sie passive Empfänger. Sie werden vom Lehrer oder der Lehrerin mit Wissen begossen und müssen es aufsaugen. Ein Lernbüro verändert die Haltung des Kindes. Es versteht, dass es arbeiten muss, um die Inhalte zu erschließen und sein Ziel zu erreichen. Es kann sich aber nicht dafür entscheiden, nichts zu tun“, erklärt der Pädagoge, der selbst 2011 zur Gründung der Schule aus Dänemark nach Berlin zog.

Digitale Medien im Unterricht

Jacob Chammon wird beim Thema digitale Bildung leidenschaftlich. Die Schule würde immer mehr mit digitalen Medien arbeiten. Es gäbe auch einen Klassensatz Tablets und interaktive Whiteboards in den Klassenräumen. Das Problem sei aber, dass das Schulgebäude Berlin-Tempelhof ursprünglich eine Förderschule war. Es ist für die Ansprüche des Unterrichts mit digitalen Medien ungeeignet. Es gibt z. B. viel zu wenig Steckdosen in den Klassenräumen. „Wir bauen erst langsam eine WLAN-Infrastruktur auf. Aber eine professionelle Lösung ist sehr teuer. Das ist an Schulen in Skandinavien ganz anders“, schwärmt er. Auch die Schüler- und Lehrerschaft sei bereit für den Unterricht mit digitalen Medien. Aber es gäbe kulturelle Unterschiede, die ihm seine Arbeit manchmal schwierig machten: „Es gab Eltern, die sich bei mir beschwert haben, ich solle doch das WLAN wieder von der Schule entfernen. Wieso diskutiert man im Jahr 2014 noch über so etwas? Für mich ist es eine Grundvoraussetzung des Lernens in unserer Zeit!“

Er fände übrigens nicht, dass Lehrerinnen und Lehrer Technikexperten sein müssten. Es gäbe genug Schülerinnen und Schüler, die das seien. „Wir kümmern uns um die didaktischen und pädagogischen Ziele, gestalten den Unterricht und geben Möglichkeiten, digital zu arbeiten. Dann finden die Schülerinnen und Schüler selbst heraus, wie sie die Aufgabenstellung lösen können. Das können sie! Wir sollten es als Lehrerinnen und Lehrer wagen, die Kontrolle zu verlieren.“

DSG Materialien

Die Angst der Eltern vor den dunklen Seiten des Internets

Der Schulleiter der DSG Berlin versteht nicht so recht, warum manche Eltern Angst vor einem Schul-WLAN haben. Wenn es um Themen wie Cybermobbing oder Downloads ginge, müsse man sich diesen offen stellen, sie diskutieren. „Wir können nicht nicht handeln, nur weil wir Angst haben!“, appelliert er. Natürlich habe man als Pädagoginnen und Pädagogen eine Verantwortung. Primär geht es in der Schule aber um Unterricht und die Möglichkeiten des Lernens. Auch Eltern müssten ihr Verhalten hinterfragen. Wer sein Kind am Wochenende stundenlang vor dem Handy parke, damit es spielt und nicht stört, könne nicht von der Schule verlangen, alleine den Umgang mit Medien zu vermitteln. Das ärgere ihn manchmal.

DSG Musical

Während die Schülerinnen und Schüler weiter fleißig kleben, basteln und ihre Choreografie für die große Revue proben, wird Jacob Chammon weiter Gespräche führen. Mit Förderern des Schulvereins, mit den Botschaften, den Schulbuchverlagen und anderen Unterstützern. Er will seinen deutschen, dänischen, norwegischen und schwedischen Schülerinnen und Schülern ein individuelles Lernen ermöglichen – mit digitalen Medien und mit Freiräumen, ohne Angst. Das sei ihm sehr wichtig. Nur dann habe man Erfolg.

DSG Schilde

Titelbild und alle Fotos: © Virginia Wegner