Löhrmann: „Die Technik soll dem Menschen dienen, nicht umgekehrt“

Für die Schulministerin von NRW, Sylvia Löhrmann, sind Schulen Orte ständiger Veränderungen. Man ist nie am Ziel, sondern immer auf dem Weg. Wie ihr Ministerium diesen Prozess begleitet, fasst sie im Interview zusammen.

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Frau Löhrmann, was war Ihr Lieblingsfach in der Schule?
Sylvia Löhrmann: „Ich bin gerne zur Schule gegangen. Lernen war für mich nie Zwang oder Last. Ich habe die Schule eher als Tor zur Welt des Wissens empfunden. Im Studium habe ich dann Englisch und Deutsch gewählt.“

Was bedeutet Digitale Bildung im schulischen Kontext für Sie?
Sylvia Löhrmann: „Digitale Bildung bedeutet für mich, die Chancen der neuen Medien für das Lehren und Lernen zu nutzen. Genau genommen müssen wir von ‚Digitalisierung in der Schule‘ sprechen, denn digitaler werden die Instrumente, mit denen gelernt wird. Die Wissensaneignung bleibt ein höchst analoger Vorgang: ein Denkprozess in unseren Köpfen. Digitalisierung erweitert jedoch die Möglichkeiten der Aneignung von Wissen ungemein. Mit neuen Medien können wir Unterricht z. B. stärker individualisieren. Ihr Einsatz im Unterricht muss aber stets sinnvoll sein, das heißt in ein pädagogisches Konzept eingebettet sein. Die Technik soll dem Menschen dienen, nicht umgekehrt.“

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Was hat das Schulministerium NRW in diesem Zusammenhang bisher erreicht?
Sylvia Löhrmann: „Eine ganze Menge. Das beginnt damit, dass wir die Medienbildung und den Einsatz neuer Medien fächerübergreifend in allen Lehrplänen integriert haben. Digitale Bildung läuft nicht nur nebenbei, sondern mittendrin. Da die Digitalisierung aber zahlreiche Dimensionen hat, sind wir auch in vielen Richtungen aktiv: Beispielsweise haben Lehrerinnen und Lehrer Zugriff auf die so genannte learn:line NRW, einem riesigen Datenpool mit inzwischen rund 30 500 frei verfügbaren Lernmitteln. Wir haben den Medienpass NRW, eine Art Medienbildungführerschein, der übrigens 2015 auch den Deutschen Bildungsmedienpreis ‚digita‘ gewonnen hat. Daneben erproben wir z. B. digitale Schulbücher sowie Informatik an Grundschulen, und wir bieten an fast 20 Weiterbildungskollegs ein Online-Abitur.“

Wie bilden Sie Lehrer und Lehrerinnen entsprechend aus und weiter?
Sylvia Löhrmann: „Wir sehen digitales Lernen und Medienbildung als Schlüsselkompetenzen zum allgemeinen Bildungsauftrag der Schule. Deshalb sind sie in NRW ein fester Bestandteil in der Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Vermittelt wird dabei u. a., wie Schülerinnen und Schülern durch die digitalen Möglichkeiten vielfältige Themenzugänge und Bearbeitungsmöglichkeiten geboten werden können. Oder, wie Lehrkräfte Medienbildung sinnvoll in ihren Unterricht integrieren können. Auch wird der Nutzen des Einsatzes digitaler Medien für das Lernen in heterogenen und inklusiven Lerngruppen thematisiert – Lernformen, die in der Schule immer wichtiger werden. Wir schaffen also eine fundierte Basis, in der Vorbereitung auf das Lehramt wie auch im Arbeitsalltag der Lehrerinnen und Lehrer. Zu alledem passiert in den Schulen ganz viel: Wenn 38 Gymnasien in NRW das digitale Geschichtsbuch ‚mbook‘ erproben, machen nicht nur die Schülerinnen und Schüler neue Erfahrungen, sondern auch die Lehrkräfte.“

Wie können Sie Schulen bei der technischen Ausstattung und innovativen Medienkonzepten unterstützen?
Sylvia Löhrmann: „ Erster Ansprechpartner für die Schulen in Sachen IT-Ausstattung sind und bleiben die Schulträger. Das Land kann jedoch wirksame Hilfestellungen geben: Wir bieten durch die Medienberatung NRW oder durch das Programm ‚Moderne Schule‘ mit der NRW Bank, das den Schulträgern zinsgünstige Darlehen zur Modernisierung ermöglicht, ganz gezielte Unterstützung. Außerdem schaffen wir gerade mit LOGINEO NRW einen geschützten digitalen Arbeitsraum für alle Schulen. Mit diesen Maßnahmen unterstützen wir die Kommunen bei der Umsetzung ihrer spezifischen digitalen Infrastruktur. Denn von Ort zu Ort sind die Voraussetzungen völlig unterschiedlich – weshalb auch ein starres Ausstattungskonzept wenig weiterhilft.“

Was wünschen Sie sich außerdem für die Schulen?
Sylvia Löhrmann: „In diesem und im letzten Jahr hat das Land insgesamt 5 766 zusätzliche Stellen für die Beschulung von Flüchtlingskindern geschaffen. Allein das macht deutlich, dass digitale Bildung nicht die einzige Herausforderung ist, die unsere Schulen angehen. Gerade die Integration von Kindern und Jugendlichen aus den Fluchtgebieten meistern die Lehrkräfte und Schulleiterinnen und Schulleiter hervorragend. Aber natürlich ist das mit viel Engagement und Organisation aller Beteiligten vor Ort verbunden. Ich wünsche mir deshalb für jede Schule und den jeweiligen Schulträger, dass ihre dahingehenden gemeinsamen Bemühungen Anerkennung finden. Natürlich geht nicht alles auf einmal. Deshalb halte ich Kritik für verfehlt, wenn vor Ort die Bemühungen für eine verbesserte technische Ausstattung von Schulen kurzzeitig hinten an gestellt werden.“

Finden Sie, dass Handys weiterhin im Unterricht verboten sein sollten?
Sylvia Löhrmann: „Ein grundsätzliches Verbot gibt es nicht. Problematisch ist generell das, was das Lernen stört und wodurch sich Schülerinnen und Schüler zu Unrecht einen Vorteil verschaffen können. Eine Lösung in der schriftlichen Arbeit durch das Smartphone ist nichts anderes, als früher der Spickzettel. Und während des Unterrichts mit dem Klassenkameraden zu chatten, ist im Prinzip das Gleiche, wie ein Schwätzchen mit der Sitznachbarin – abgelenkt, ist abgelenkt.

Andererseits kann man Smartphones sinnvoll im Unterricht einsetzen, weil man mit ihnen Themen im Internet recherchieren kann. Es kommt also ganz darauf an, wozu das Smartphone benutzt wird. Klar ist, dass junge Menschen heute mit digitalen Endgeräten groß werden. Sie sind diejenigen, die in einer digitalisierten Welt leben werden. Darum ist die Debatte um einen klugen Umgang viel zielführender als ein pauschales Verbot.“

Die Schule von morgen ist für Sie:
Sylvia Löhrmann: „Eine Schule, die sich an den Realitäten orientiert. Sie lässt dabei niemals das große Ziel außer Acht, jedem jungen Menschen unabhängig von der sozialen Herkunft und der persönlichen Orientierung die gleiche Chancen zu bieten. Schulpolitik hat die bedeutende und verantwortungsvolle Aufgabe, den Schulen diesen Weg zu ebnen und ihn gemeinsam mit den Schulen zu gehen. Für die Herausforderungen auf dieser ‚Reise‘ brauchen wir pragmatische und zukunftsfähige Lösungen, keine überstürzten Handlungen, die sich als Luftschlösser entpuppen. Unsere Schulen befinden sich in einem ständigen Veränderungsprozess. Man ist nie am Ziel, sondern immer auf dem Weg. Meine Schule von morgen ist sehr gut durchdacht; sie ist vielfältig, leistungsstark und sozial gerecht – und sie ist auch in zunehmendem und sinnvollem Maße digitaler.“

Vielen Dank für das Interview!





Titelbild: © MSW/Ralph Sondermann