Sportlehrer für einen Tag – die Geschichte einer Läuterung

Die Arbeit von Sportlehrkräften hat Maximilian Lämpel bisher nur so mittelernst genommen. Bis er letzte Woche an einem Vormittag in einer Turnhalle sein blaues Wunder erlebte.

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Freizeitfach

Sport finde ich grundsätzlich super, egal, ob aktiv oder passiv. Und ich bin überzeugt davon, dass sich Schüler*innen viel bewegen sollten. Niemals würde ich die Existenzberechtigung des Faches Sport infrage stellen. Trotzdem wundere ich manchmal über das, was ich so von meinen Schüler*innen dazu höre. Die meisten mögen das Fach sehr. Das liegt sicher nicht zuletzt an unseren jungen Sportlehrkräften, die offenbar alles anders machen, als man das früher so machte. Kein Drill und ständig wird rumgetobt und gespielt. Wie gut ist das denn? Da ist zum Beispiel Kollegin M., die, wie sie sagt, ihr Hobby zum Beruf gemacht hat. Sport ist ihr Leben. Bei den Schüler*innen ist sie unheimlich beliebt, sie versprüht verlässlich gute Laune und auch im Lehrerzimmer wird sie für ihren Charme und Witz geschätzt. Wir verstehen uns ausgezeichnet. Es gibt mir aber irgendwie zu denken, mit welchen Worten sie von ihrem Fach schwärmt. Das sei einfach großartig, nicht nur, weil es ihr unheimlich Spaß mache, sondern auch weil sie weder mit Korrekturen noch mit Unterrichtsvorbereitung zu tun habe. Seit Jahren habe sie ihr bewährtes Repertoire und die Kinder seien happy.
Ähnlich verhält es sich mit Kollege E. Der sieht aus wie so ein Klischee-Surfer, ist aber vor allem erfolgreicher Volleyballer und erzählt jedem, der nicht bei drei auf den Bäumen ist, dass er Sportlehrer geworden sei, um viel Zeit für seinen Leistungssport zu haben. Freut mich voll für ihn, aber hm … irgendwas stimmt hier doch nicht.

Dienstag

Habe mir neulich aus Neugier mal den Rahmenlehrplan angesehen. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich wundere mich schon, um es mal vorsichtig zu sagen. Das klingt zwar alles sehr sinnvoll, aber nichts davon so, als könne sich da nicht auch eine x-beliebige sportliche Lehrkraft in ein paar Tagen einlesen: ich zum Beispiel. War in meiner Jugend schließlich mal ein paar Monate Fußball-Trainer. Solche anmaßenden Gedanken hätte ich normalerweise für mich behalten, man will ja die Kollegen und Kolleginnen nicht verärgern. Tja, aber dann kam der letzte Dienstag und es ward um meine Blauäugigkeit geschehen.
Kollege E. ist nicht nur Volleyballer, sondern auch Klassenlehrer der 8d und die ist im Lehrer*innenzimmer gefürchtet. Laut und wild, eigentlich das Übliche, aber eben zwei Umdrehungen härter als die Parallelklassen. Nach einem neuerlichen Mobbing-Vorfall erbat sich E. einen Projekttag. Da müsse jetzt mal professionell und mit externer Hilfe gearbeitet werden. Weil E. es so wollte, schickte man jemanden, der in seiner Arbeit den Schwerpunkt auf Sport setzt. Thorben-Fridolin, fünfundzwanzig Jahre alt, Sozialpädagoge. Mit Sport kann man ja so viel machen: Soziales Lernen, Teambuilding usw. Pädagogensprache trifft Gewinner-Vokabular. E. hatte mich gebeten, ihn als zweite Lehrkraft zu unterstützen. Gleich zu Beginn wurde ein Erwärmungsspiel gespielt. Kollege E. spielte mit und verletzte sich prompt so sehr, dass er mit Verdacht auf Bänderriss direkt ins Krankenhaus humpelte. Da stand ich nun mit diesem Thorben-Fridolin und weil der das ja beruflich macht, war ich voller Zuversicht. Mehr noch: Mit meiner aus vollkommener Ahnungslosigkeit gespeisten Arroganz nahm ich das auf die leichte Schulter und freute ich mich sogar auf die nächsten Stunden. Ganz schön naiv.

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Thorben-Fridolin

Thorben-Fridolin hatte sich gut vorbereitet und viele seiner Aufgaben und Spiele enthielten spannende und sicher sinnvolle Ansätze. Leider aber wirkte er jünger und damit unsicherer als so manche Abiturienten. Außerdem war er mit schwacher Stimme und noch schwächerem Nervenkostüm ausgestattet. Netter Typ, aber er hat seinen Weg noch nicht gefunden, sag ich mal. Hat die 8d natürlich gleich erkannt, denn niemand hat da so einen guten Riecher wie eine achte Klasse. Schon nach einer halben Stunde hatte ich den Eindruck, dass das gerade alles irgendwie entgleitet und ich jetzt mal laut werden muss.
Irgendwie haben wir dann die nächsten Stunden über die Bühne bekommen, aber, ich will nicht übertreiben, es war unfassbar anstrengend. Pausenlos agierte ich als Dompteur des Flohzirkusses und musste dafür sorgen, dass die Klasse das machte, was Thorben-Fridolin wollte. Als Kernproblem erwies sich für mich, dass die Schüler*innen in so einer Turnhalle nicht in Reih und Glied vor einem sitzen, wie es im Klassenraum ja im Prinzip üblich ist, sondern immer irgendwo rumwuseln. Nie hat man alle im Blick, fast immer passiert irgendwo irgendwas und immer, wirklich immer, wird gequatscht oder geschrien. Ruhig Sport zu machen, geht irgendwie nicht. Diese zugegebenermaßen vollkommen banalen Erkenntnisse führten zu einem ganzen Rattenschwanz an Problemen, die sich letztlich mit einem Wort zusammenfassen lassen: CHAOS. Nach drei Stunden war ich ziemlich fertig. Nach vier Stunden taten mir Hals und Ohren weh und nach sechs Stunden – das sogenannte Projekt war nun endlich vorbei – fuhr ich nach Hause und legte mich ins Bett.

Gesundheit

Am Abend googelte ich und las, dass es tatsächlich Konsequenzen haben kann, wenn man jahrzehntelang in Turnhallen Kinder und Jugendliche unterrichtet. Sportlehrer*innen leiden überdurchschnittlich oft an Burn-out und Hörschäden. Leuchtet mir seit letzter Woche vollkommen ein. Klassenverbände verhalten sich in Turnhallen, aufgepeitscht durch Bewegungsdrang, Wettbewerbslust und Hormone, nun mal gerne wie ein wildgewordener Kindergeburtstag. Allein diese absurde Lautstärke: Es ist mir schleierhaft, wie hier der Arbeitsschutz entweder nicht zu existieren oder eben nicht zu greifen scheint.
Kollege E. und Kollegin M. hatte ich nie über diese Dinge klagen hören, fällt mir gerade auf. Entweder sie reißen sich ganz schön zusammen oder, viel wahrscheinlicher, sie haben das halt richtig gelernt und können damit umgehen. Ich habe jetzt jedenfalls großen Respekt vor ihnen.

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Titelbild: © Shaiith/shutterstock.com