Der Montagsfluch: Eine Exkursion endet in Scherben
Um dem grauen Schulalltag zu entfliehen, organisiert Lehrer Maximilian Lämpel Exkursionen. Doch was letzte Woche als entspannter Ausflug geplant war, entpuppte sich als eine Aneinanderreihung von unglücklichen Zwischenfällen.
Montagsflucht
Letzte Woche war ich mit der 8c für eine Exkursion im Museum. Im Vorfeld hatte ich dem Museumspädagogen gesagt, es käme nur ein Montag infrage, da ich nur zwei Stunden unterrichten müsse und somit in der Schule entbehrlich sei. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Genau genommen war es eine glatte Lüge, denn seit Anfang des Halbjahres muss ich jeden Montag acht Stunden am Stück unterrichten. Das ist zu viel, finde ich. Deshalb habe ich mir Strategien zurechtgelegt, wie ich der Schule am Montag aus dem Weg gehen kann. Gestern habe ich die Variante „Exkursion“ ausprobiert. Ich plane, das in den nächsten Monaten regelmäßig zu machen. Da ich vier Klassen in der Sekundarstufe I und vier Grundkurse in der Sekundarstufe II unterrichte, kann ich in den nächsten Monaten also theoretisch acht Montage mit Exkursionen verplanen. Irgendein Rahmenlehrplanbezug wird sich immer finden. Und in dieser Stadt gibt es mehr potenzielle Exkursionsziele, als es Montage bis zu den Sommerferien gibt.
Ein Start mit Tücken
Gut gelaunt fuhr ich also letzte Woche zum Treffpunkt. Kein normaler Acht-Stunden-Unterricht-Montag, kann ja nur ein guter Tag werden, dachte ich. Leider fehlten dann aber zur vereinbarten Zeit drei Schüler. Sie hatten am falschen S-Bahnhof gewartet. Keine Ahnung, wie man Ost- und Westkreuz verwechseln kann. Aber jetzt weiß ich, wie lange es dauert, wenn man auf Schüler wartet, die von einem zum anderen Ende der Stadt fahren müssen. Währenddessen rief ich den Museumspädagogen an, um unsere Verspätung anzukündigen. Ich kann ja verstehen, dass dadurch deren ganzer Tagesplan durcheinander gebracht wurde, hätte es aber vorgezogen, nicht angeschnauzt zu werden.

Scherben durch Vollidiot
Ähnlich unerfreulich ging es weiter: Obwohl meine Ansage vorher sehr deutlich gewesen war, hatte nur gut die Hälfte der Klasse ein Zwei-Euro-Stück für die Schließfächer dabei. Nervige zehn Minuten musste ich das Personal bequatschen, bis schließlich eine Lösung gefunden und alle Jacken und Taschen in einen extra Raum eingeschlossen wurden. Mittlerweile war ich vom Museumspersonal genauso genervt wie von der 8c. Ich hoffte aber, dass mein Ärger verfliegen würde, sobald die Führung und der dazugehörige Workshop beginnen würden. Noch hoffte ich.
Kurz nachdem es endlich versprach, interessant zu werden, ging der Verdruss weiter. Hätte ich mir denken können. Nico war ja dabei. Der ist seit jeher ein zuverlässiger Verdrussgarant. Aus undurchsichtigen Gründen schubste er Ehad so kräftig gegen eine Vitrine, dass diese erst bedrohlich wankte und dann umfiel. Es ist mir vollkommen unverständlich, warum diese Vitrine nicht fester verankert war. Zum Nachfragen kam ich aber nicht, denn es gab sofort ein Riesentheater. Der Museumspädagoge hüpfte in heller Aufregung herum und fragte mich aufgebracht, warum ich die Klasse nicht im Griff habe. Weil meine Laune längst im Keller war, deeskaliert ich nicht sofort, sondern erkundigte mich, ob er erwarte, dass ich meine Schülerinnen und Schüler anleine. Wie dem auch sei. Da lag er nun also zwischen Vitrinenscherben, der Wikingerschmuck. Zum Glück stellte sich schnell heraus, dass das nur Repliken waren, aber der Schreck saß tief. Vielleicht ja auch bei Nico, hoffte ich. War aber nicht so: Statt sich um die Scherben zu kümmern oder wenigstens zu fragen, ob er helfen könne, ließ er sich von der pubertären 8c feiern und versuchte sich an Scherben-bringen-Glück-Sprüchen. „Nico ist echt ein Vollidiot“, dachte ich bei mir, und ein bisschen diplomatischer sagte ich das am Abend auch seinen Eltern. Denen war das immerhin sehr unangenehm.
Wo ist Ehads Smartphone?
Nach dieser Unterbrechung ging es weiter. Nicht nur unterschwellig wurde uns vermittelt, dass das hier nicht harmonisch laufen würde. Das Programm war kürzer als angekündigt und die Stimmung eisig. Leider schien Nico die Situation amüsant zu finden und stellte während des Workshops eine dämliche Frage nach der anderen und genoss, wie sich der Museumspädagoge provozieren ließ. Ob es nicht sein könne, höhö, dass die Wikinger auch aus Scherben Schmuck gemacht hätten? Als Reaktion gab es berechtigte moralische Zeigefingervorträge über den Wert von Kulturgütern, aber der Redner wurde von der Klasse immer weniger ernst genommen. Bald verschwanden wir, man hatte uns keines Abschiedsgrußes gewürdigt. Als wir dann schließlich am S-Bahnhof ankamen, rief Ehad, sein Smartphone sei weg. Ja, und dann sind wir alle zusammen zurück zum Museum: „Huhu, wir sinds nochmal, es fehlt ein Smartphone“. Ich weiß nicht, ob Ehad es bei seinem Vitrinencrash verloren hatte, nicht mal, ob er jemals eines besessen hat, aber ignorieren wollte ich ihn nicht und nun standen wir da. Wie erwartet hielt sich die Wiedersehensfreude auf Seiten des Museums-Personals in Grenzen. Man empfahl uns nochmal alles abzulaufen und im Müll zu suchen. Das Smartphone blieb verschwunden.
Ich kam abends zu dem Schluss, dass ich meine Montagsflucht-Strategie überdenken muss. Vielleicht ziehe ich doch einen Acht-Stunden-Tag vor. Der endet wenigstens ohne Scherben. Und ich kann mich weiterhin in den Museen der Stadt blicken lassen.
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