Von Mistschaufeln und einer Hundejagd – die 6a erzählt Abstruses aus den Ferien
Die Schule hat wieder angefangen und in den Ferien ist viel Spannendes passiert. Findet zumindest die 6a. Das muss sich Lehrer Maximilian Lämpel natürlich anhören.
England ist schön
Vor der ersten Stunde stehe ich mit Kollegin Frau C. am Kopierer. Sie ist Englischlehrerin in der 6a, in der ich gleich unterrichte, und sie erzählt mir kichernd, dass sie in den Ferien zwei Wochen auf den Spuren Rosamunde Pilchers wandelte: Cornwall, Pferde usw.
Als ich kurz darauf in die Klasse gehe, schnappe ich auf, wie sich drei Schülerinnen über die Ferien austauschen. Marlene war in England und sagt: „Also ich finde England schön!“, worauf Klara erwidert: „Also ich finde Englisch schön!“, was Tonia zum Anlass nimmt zu bekennen: „Also ich finde Frau C. schön!“ Das finde ich wiederum sehr niedlich und es bringt mich auf die Idee, die Klasse nach ihren besten Ferienerlebnissen zu fragen.
Was ist schon interessant
Auf die Frage, wer von spektakulären Erlebnissen aus den Ferien berichten möchte, reißen fast alle die Hände in die Luft und beginnen mit einer wilden Schnipserei. Aber leider folgt wenig Spektakuläres. Die Geschichten sind fast durchgehend langweilig. Ich stelle fest, dass die Kinder der 6a kein Gespür für Dramaturgie haben. Falls Eltern es seltsam finden sollten, dass ein Lehrer eine Stunde lang von den Ferien berichten lässt, werde ich das als Lernstandsdiagnostik mit anschließendem Methodentraining deklarieren. Letzteres ist jedenfalls fällig, denn die Berichte gehen ungefähr so wie der von Marvin: „… und dann saßen wir im Auto und dann hat Oma gesagt, dass sie schlafen will, aber ging ja nicht, weil Papa ja Musik gehört hat, das war so lustig, weil sie es trotzdem versucht hat, und dann hab ich gesagt, dass die Musik cool ist, das war so lustig, weil die Autobahn so laut war, dass man die Musik ja sowieso nicht gehört hat und dann hat Papa gesagt …“

Hunde und Pferde
Ähnlich unspannend und ermüdend klingt es bei den meisten Mitschülerinnen und Mitschülern. Erst als Hassan loslegt, werde ich wieder wach, denn er hat Ungeheuerliches zu berichten: Volle sechs Wochen hat er bei seinen Großeltern in der Türkei verbracht. Er kann zwar nicht sagen, wo diese leben, und er spricht eigentlich nicht wirklich Türkisch, aber wozu braucht man das schon – Geld verdienen hat trotzdem super geklappt. Geld verdienen? Ja, sagt Hassan, er habe tagein tagaus Hunde aus dem Bergdorf gejagt und dafür Geld bekommen. Zusammen mit seinen Cousins, Stöcken und Steinen. Das beschreibt er so anschaulich, dass ich ihn unterbrechen muss, weil sich erst Staunen und dann Entsetzen in den Gesichtern der Mitschülerinnen und -schüler abzeichnet. Deshalb erzählt er nun – es wird kaum weniger problematisch – dass seine Cousins dort in der Schule regelmäßig geschlagen werden und er deswegen sehr zufrieden mit seinen Lehrerinnen und Lehrern hier sei. Finde ich nachvollziehbar.
Dann ist Amelie dran. Sie hat sich drei Wochen um Pferde in Brandenburg gekümmert. Merkwürdigerweise sagt sie „kümmern dürfen“. Als ich ein bisschen nachbohre, stellt sich heraus, dass sie Geld bezahlen musste, um in einem Pferdestall zu schuften. Da stimmt doch was nicht. Kann es sein, dass es perfide Pferdebesitzer gibt, die die Zuneigung junger Mädchen zu den Tieren ausnutzen – Kinderarbeit und so – und sie dafür auch noch zahlen lassen? Habe ich da gerade einen Skandal aufgedeckt?
Nasenbluten
Während Amelie vom Ausmisten der Ställe berichtet (Nein nein, mit einem Besen geht das kaum, eine Schaufel ist viel besser!), bekommt Luca aus der letzten Reihe plötzlich Nasenbluten. Der blutet einfach alles voll. Mit Nasenbluten scheint er sich nicht besonders auszukennen: Er weint, ruft „Mein Blut!“ und rennt aufgeschreckt durch den Klassenraum, als verspreche dies Linderung. Während sich die meisten Mitschülerinnen und Mitschüler das seltsame Schauspiel mitleidig anschauen, reichen einige Taschentücher, andere wenige lachen. Ich versuche ihn zu beruhigen, aber er öffnet ein Fenster und hält seine Nase raus. Weil er vollkommen aufgelöst ist, halte ich ihn lieber fest. Man kann ja nie wissen. Als die Stunde kurz darauf um ist, bringe ich ihn, den immer noch Tropfenden, ins Sekretariat. Er will jetzt von seiner Mutter abgeholt werden. Weil Luca ein undurchsichtiger Typ mit der Ausstrahlung eines Kleinkriminellen ist, bin ich zunächst ein bisschen beunruhigt, weil ich ihn ja kräftig angefasst habe. Sowas kann heikel sein. Später aber bedanken sich die Eltern sehr herzlich.
Am nächsten Tag sitzt Kollegin C. im Lehrerzimmer neben mir. Ich erzähle ihr von Tonia. Kollegin C. freut sich und lacht. Und ich frage, ob sie sich zufällig erkundigt habe, wer die Pferde in Cornwall eigentlich pflege.
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