Der Uracher Plan: Freies Lernen auf dem Prüfstand

Der Uracher Plan – ein pädagogisches Rahmenprojekt – verspricht ein freies Lernen für Kinder und Jugendliche: Enge Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Eltern, verschiedene Lernorte, dem Interesse des Kindes individuell angepasste Lerninhalte sowie eine Mischung aus gemeinschaftlichem und häuslichem Unterrichten soll mit diesem Plan garantiert werden. Ob das Konzept jedoch den schulrechtlichen Anforderungen genügt, ist nicht unumstritten und wird derzeit noch verwaltungsgerichtlich geklärt. Wir haben mit einer Mutter gesprochen, deren Kinder eine freie Schule in Baden-Württemberg mit diesem Unterrichtskonzept besuchen.

So klappt's mit dem Lernen – jetzt im Video anschauen!

An der Freien Schule Brigach wurde die Beschulung der Kinder und Jugendlichen nach dem Uracher Plan durch das Regierungspräsidium Freiburg untersagt. Geduldet wird diese hingegen weiterhin an der Dietrich Bonhoeffer Internationalen Schule in Laichingen (eine Ergänzungsschule in Baden-Württemberg). Hierher kommen die 17 Schülerinnen und Schüler der 2. bis 10. Klasse einmal in der Woche und werden in einer heterogenen Lerngruppe nach dem Uracher Plan unterrichtet. Sonst lernen die Kinder zu Hause, wo sie regelmäßig von einem Lernbegleiter oder einer Lernbegleiterin besucht werden. Weitere Unterrichtsstunden finden in einem virtuellen Klassenzimmer statt.

Der älteste Sohn von Jael Rüger-Küstner hat mithilfe dieses Unterrichtsmodells im Alter von 15 Jahren einen externen Hauptschlussabschluss erlangt. Die Mutter hat uns Rede und Antwort zum Uracher Plan gestanden.

Können Sie ein paar Sätze zu der grundsätzlichen Ausrichtung des Uracher Plans sagen?

Jael Rüger-Küstner: „Wir beklagen, dass in Deutschland der Bildungsbegriff nur im Umfang des schulischen Wissens wahrgenommen wird. Für den Uracher Plan, der konsequent von einem mehrdimensionalen Bildungsbegriff ausgeht, ist Bildung als Zusammenhang von Lernen, Wissen, Können, Wertbewusstsein, Einstellungen und Handlungsfähigkeit zu verstehen. Er will verhindern, dass Wissen und Handeln auseinanderklaffen und eine sogenannte Werteerziehung nur angeheftet wird. Darüber hinaus bleibt bewusst, dass jeder gewählte Lernprozess eine inhaltliche Deutung und Bewertung der Lebenswirklichkeit mit einschließt.
Insofern ist der Alltag unserer Schülerinnen und Schüler wesentlich freier gestaltet. Sie haben viel mehr Zeit und Muße (= lat. schola, ursprüngliche Bedeutung von „Schule“), um ihre jeweiligen und ihrer Begabungsentwicklung entsprechenden Interessen zu kultivieren und zu vertiefen.”

Wie sieht der Lernalltag eines Schülers oder einer Schülerin des Uracher Plans aus?

Jael Rüger-Küstner: „Gehen wir von dem Besipiel aus, ein Kind hat ein besonderes Interesse an Dinosauriern entdeckt. Auch wenn dieses Thema für das Alter des Kindes nicht auf dem Bildungsplan steht, wird es vom Lernbegleiter bzw. Lehrer und den Eltern unterstützt. Man geht mit ihm in die Bücherei und leiht Bücher zum Thema aus, besucht ein Museum und bearbeitet das Thema Dinosaurier aus allen Blickwinkeln. So kann ausgehend von der Interessenslage des Kindes der Kompetenzerwerb in verschiedenen Fächern, z. B. Deutsch, Geschichte, Biologie usw., für den Schüler oder die Schülerin kurzweilig kombiniert werden.”

Mit welchen Materialien wird in der Schule und zu Hause gelernt?

Jael Rüger-Küstner: „Da wir, wie oben angedeutet, viel Wert auf individuelles Lernen legen, spiegelt sich dies auch in der Wahl des Materials wider. Jedes Kind hat sein eigenes Lernmaterial, das auf den jeweiligen Lernstil, die Begabungsentwicklung und Interessenslage jedoch unabhängig von Klassenstufen und Schulformen angepasst ist. Die Lehrer behalten allerdings dabei den Überblick, wo welches Kind in Bezug auf die Kompetenzen des Bildungsplanes steht. Jedoch nutzen wir nicht nur Schulbücher. Sehr beliebt sind auch Materialien aus der Nachhilfe, da diese besser und verständlicher aufbereitet sind, oder außerschulische Lernorte, wie z. B. Museen und Büchereien, aber auch Online-Kurse, Erklärvideos, Lernprogramme und ,Fachpersonen’.”

Der Uracher Plan sieht die staatliche Schule als eine künstliche Welt an, die nichts mit der Lebenswirklichkeit zu tun habe. Wie definieren sie Lebenswirklichkeit?

Jael Rüger-Küstner: „Mit Lebenswirklichkeit meinen wir die Situationen, die das Leben jeden Tag mit sich bringt und die wir nutzen, um uns weiterzuentwickeln und zu lernen. Das macht jeder Mensch ganz von allein. Man lernt, was man braucht, was einen interessiert, was einen begeistert. Unsere Kinder sehen z. B. bei einem Spaziergang die frischen Frühlingsblumen und wollen wissen, welchen Namen sie haben. Aufbau und Entwicklung von Pflanzen, Chlorophyll usw. wird somit nicht einfach theoretisch im sterilen Klassenzimmer erklärt, sondern draußen vor Ort und auch unter Zuhilfenahme von externen Fachleuten.”

Wird das an manchen Regelschulen nicht ähnlich gehandhabt?

Jael Rüger-Küstner: „Da gebe ich Ihnen Recht. Der Unterschied ist nur, dass solche Situationen im Uracher Plan viel stärker als Lerngelegenheit aufgegriffen werden. Die Familien sind nicht an ein festes Schema, an bestimmte Zeiten, an Klassenstufen und den entsprechenden Stoff gebunden und können somit individuell auf die Interessen der Kinder eingehen. Und die Kinder haben dadurch die Muße, sich ganz dem zu widmen, was sie gerade beschäftigt. Neben den beschriebenen Lernsituationen, lernen unsere Kinder natürlich auch Dinge, die ,auf dem Plan stehen’. Dafür gibt es feste Zeiten, zu denen treffen sie sich im virtuellen Klassenzimmer und bearbeiten bestimmte Themen. So treffen sie sich wöchentlich zu einem Deutschkurs. Auch english conversation findet virtuell zusammen mit Muttersprachlern statt, die Tipps geben und korrigieren.”

Die beschriebenen Lernsituationen setzen eine hohe Eigeninitiative und einen bestimmten Bildungstandard der Eltern voraus. Haben Schülerinnen und Schüler „bildungsferner” Elternhäusern eine Chance auf die notwendige Unterstützung beim Lernen zu Hause?

Jael Rüger-Küstner: „Zuerst einmal stellt sich da die Frage, was man mit ,bildungsfern’ meint, denn dieser Begriff ist ja nicht unumstritten. Für uns bedeutet Bildung mehr, als einen bestimmten Wissensstand in einer bestimmten Zeit zu erreichen. Deshalb möchte ich diesen Aspekt vielschichtiger sehen und keine Familien in dieses Raster ,bildungsnah’ und ,bildungsfern’ stecken. Was den Uracher Plan betrifft, so gibt es ganz klar eine Grundvoraussetzung: Ich würde es die ,Bildungsbegeisterung’ der Eltern nennen. Sie müssen offen sein, den Bildungprozess ihrer Kinder in Zusammenarbeit mit der Schule zu begleiten. Das ist wichtiger als z. B. ihre eigenen Schulabschlüsse.”

Diese „Bildungsbegeisterung” beansprucht viel Zeit, besonders bei den Lernphasen zu Hause. Ist es da überhaupt möglich, dass beide Elternteile arbeiten?

Jael Rüger-Küstner: „Ja, es stimmt, dass immer ein Elternteil für das Kind ansprechbar sein muss. Ob beide Eltern arbeiten können, hängt davon ab, ob diese z. B. ihre Arbeitszeit flexibel gestalten können oder ob andere Bezugspersonen wie z. B. Großeltern da sind.”

Und wie sieht es bei Alleinerziehenden aus?

Jael Rüger-Küstner: „Dort gilt das Gleiche. Das Ziel des Uracher Plans ist ja, dass alle Familien in Deutschland die Wahlfreiheit haben sollen, wie sich ihre Kinder bilden. Wenn es nun mehrere Familien an einem Ort gibt, die sich für dieses Lernen entscheiden, könnte ich mir als Mutter gut vorstellen, andere Kinder stundenweise zu betreuen, um berufstätige Eltern zu unterstützen.”

Die Schülerinnen und Schüler können eine externe Abschlussprüfung ablegen und damit z. B. den Hauptschulabschluss erlangen. In welcher Form finden sonst Leistungsüberprüfungen statt?

Jael Rüger-Küstner: „Die Leistungsüberprüfungen legt die jeweilige Schule fest und wertet sie nach dem jeweiligen Schulkonzept aus. Neben dem Portfolio der Schülerinnen und Schüler werden halbjährlich zur Leistungsüberprüfung in Mathe Rechentests und in Deutsch die Hamburger Schreib-Proben abgelegt. In der Sekundarstufe haben die jeweiligen Schüler und Schülerinnen an den landesweiten Vergleichsarbeiten für Baden-Württemberg teilgenommen. Die Ergebnisse waren bislang weit überdurchschnittlich.”

Zurzeit wird noch geklärt, ob der Uracher Plan den schulrechtlichen Anforderungen genügt, solange musste die Beschulung nach dem Uracher Plan in der Freien Schule Brigach eingestellt werden. Welche Maßnahmen werden ergriffen, um eine Genehmigung für den pädagogischen Rahmenplan zu erhalten?

Jael Rüger-Küstner: „Die Freie Schule Brigach musste tatsächlich die Unterrichtung nach dem Uracher Plan aufgeben, hat aber einen Antrag auf Genehmigung des Konzeptes gestellt.
Allerdings wird derzeit die Unterrichtung nach dem Uracher Plan an der Dietrich Bonhoeffer Internationalen Schule in Laichingen als Ergänzungsschule geduldet.
Auch hat die Landesvereinigung für dezentrales Lernen Baden-Württemberg einen Genehmigungsantrag für eine Grund- und Sekundarstufenschule gestellt. Die Anträge sind derzeit in der Entscheidungsfindung beim Kultusministerium.”

JTitelbild: Kennenlernen des Werkstoffs Speckstein © Jasmin Salazar Velez

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