Schulphobie: Ist wirklich die Schule das Problem?
Die Schulphobie drückt sich zwar ähnlich aus wie die Schulangst. Ihre Ursache liegt jedoch im Elternhaus. Was Lehrende trotzdem tun können, erläutern zwei Kindertherapeuten.
Worum geht’s?- Was ist eine Schulphobie
- Schulphobie erkennen
- Wut – ein Gesicht der Schulphobie
- Die Autonomie des Kindes stärken
- 7 Tipps für Lehrkräfte
- Hilfe bei Schulphobie: Buchtipps
Angst ist ein lebensnotwendiger Mechanismus, der in jedem Menschen steckt. Er schützt uns vor Gefahren, wie z. B. vor Höhe, Dunkelheit oder etwas Unbekanntem. Bei manchen wächst die Angst jedoch ins Irrationale und entwickelt sich zu einer Angststörung bzw. Phobie. Möchte ein Kind nicht zur Schule gehen, könnte eine Schulangst vorliegen. Geht es bei dieser Angst aber gar nicht um den Schulalltag, sondern um die Trennung von einer Bezugsperson, sprechen Expertinnen und Experten von Schulphobie.
Was ist eine Schulphobie?
© LeManna/shutterstock.com
Im Gegensatz zur Schulangst, bei der Kinder sich vor Situationen in der Schule fürchten, handelt es sich bei der Schulphobie um eine Trennungsangst, die eindeutig in der Familiendynamik zu verorten ist. Schulphobische Kinder leiden unter einer krankhaften Angst, sich von ihren Bezugspersonen (meistens von der Mutter) zu trennen – auch aus Angst, dieser Bezugsperson könne etwas zustoßen.
Was sind die Ursachen?
Besonders häufig kommt diese Angststörung bei überbehüteten Kindern vor: „Im zweiten Lebensjahr fangen Kinder an, sich von der Mama zu lösen. Wenn die Mutter jedoch eine zu große Angst aufweist, wenn sie ihr Kind zu sehr behütet und festhält, entwickelt das Kind kein ausgeprägtes Selbstvertrauen, keine Fähigkeit sich durchzusetzen und keine ausreichende Selbstwirksamkeit”, erklärt Psychotherapeut Dr. Hans Hopf. Die dadurch entstehende Trennungsangst bei den Kindern zeige sich besonders häufig im Alter von 10 bis 12 Jahren in einer Schulphobie. In diesem Alter trifft die beginnende Pubertät auf den Wechsel in die weiterführende Schule, ein Grund, warum viele Kinder in der fünften Klasse Schulangst entwickeln.
Dr. Udo Baer
Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut, Mitbegründer und Geschäftsführer der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Vorsitzender der Stiftung Würde und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP). Darüber hinaus ist er als Buchautor und Referent tätig.
In der Pubertät steht als Entwicklungsaufgabe die Loslösung von den Eltern und somit eine Autonomieentwicklung an, vor der diese Kinder zusätzlich Angst haben. Sie haben oft nicht ausreichend Erfahrung darin gemacht, Situationen und Dinge alleine bewältigen zu können. Sie haben dementsprechend nicht genügend Selbstwirksamkeit entwickelt. Kinder an der Schwelle zum Teenager brauchen ihre Bezugspersonen, um sich unterstützt und sicher zu fühlen, haben aber gleichzeitig die Entwicklungsaufgabe, sich zu lösen und eigene Wege zu gehen.
Schulphobie erkennen
„Die Angst vor der Schule ist meistens sehr nebelig und kaum zu greifen“, erklärt Diplom-Pädagoge und Buchautor Dr. Udo Baer. „So ist es wichtig, diese Angst zu konkretisieren und die verschiedenen Quellen zu differenzieren.“ Genau wie bei der Schulangst auch, kann die Schulphobie zu körperlichen Beschwerden führen.
Körperliche Anzeichen für Schulphobie | Psychische Anzeichen für Schulphobie |
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Kopfschmerzen | Wutausbrüche |
Bauchschmerzen | Gereiztheit |
Übelkeit | Verschlossenheit |
übermäßiger Harndrang | depressive Verstimmungen |
Durchfall | – |
„Bei Kindern mit einer Schulphobie liegt kein objektiver Grund vor, dass sie den Schulbesuch ängstlich verweigern, denn die Schulphobie ist eine Trennungsangst, die nur auf die Schule verschoben wird“, sagt Baer. Die Schule nehme hier lediglich eine Stellvertreterfunktion ein.
Dr. Hans Hopf
Kinder- und Jugendlichen- psychotherapeut, u.a. Thera- peutischer Leiter im Therapiezentrum Baiersbronn. Wissenschaftliche Veröffentlichungen mit den Schwerpunkten Aggression, Traum und spezielle Neurosenlehre; Gutachter für tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psycho- therapie bei Kindern und Jugendlichen. Tätig als Dozent und Kontrollanalytiker an den Psychoanalytischen Instituten Stuttgart, Freiburg und Würzburg. Ausgezeichnet mit dem Diotima-Ehrenpreis der deutschen Therapeutenschaft.
Wut ‒ ein Gesicht der Schulphobie
Kinder, die unter Schulphobie leiden, sind durchaus den Anforderungen der Schule gewachsen, weisen jedoch häufig schon früh soziale Ängste gegenüber anderen Kindern auf. Sie sind schüchtern, introvertiert bis depressiv und besitzen nicht die Fähigkeit, sich gegen andere Kinder durchzusetzen. Deswegen werden sie nicht selten zu Mobbingopfern. Hier verläuft dann die Grenze zwischen Schulangst und Schulphobie fließend.
Auch wenn schulphobische Kinder Fremden gegenüber schüchtern sind, können sie ihren Eltern gegenüber sehr fordernd werden. „Wenn die Kinder gezwungen werden, in die Schule zu gehen, werden sie sehr wütend und tyrannisieren ihre Eltern“, sagt Hopf. „Diese Tyrannei kann so extrem werden, dass das Kind die ganze Familie beherrscht.“ Hopf warnt, dass diese begleitende Wut oft nicht angesprochen, sondern immer nur das arme ängstliche Kind gesehen werde. „Es ist falsch, sich davon beeinflussen zu lassen, denn Mitleid unterstützt die kindlich-regressive Seite, klare Forderungen unterstützen hingegen die autonome Seite des Kindes, die unbedingt ausgebaut werden muss.“
Aspekte der Schulphobie | Erläuterung |
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Grund für Schulverweigerung | Angst vor Trennung von Bezugsperson |
Mögliche Ursache | Überbehütung oder Traumatisches Trennungserlebnis im Vorfeld |
Anzeichen |
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Empfehlung |
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Die Autonomie des Kindes stärken
Eltern mit trennungsängstlichen Kindern wird geraten, alles zu tun, was die Autonomie des Kindes fördert und es im Selbstvertrauen bestärkt. „Das heißt auch, dass das Kind die Schule wieder besuchen muss“, sagt Hopf. „Denn besucht das Kind die Schule nicht, kann es sich zu Hause behaglich einrichten. Dann werden die Ängste nicht erkennbar, sie erzeugen keinen Leidensdruck und können auch nicht bearbeitet werden.“ Darüber hinaus verschiebt sich das Problem nur, denn umso länger ein Kind nicht in der Schule war, desto größer wird die Angst vor dieser. Hier sollten Therapeutinnen bzw. Therapeuten und Eltern eng zusammenarbeiten und auf einen Schulbesuch pochen.
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Was Lehrkräfte bei einer Schulphobie tun können
Jede Lehrerin und jeder Lehrer sollte den Unterschied zwischen Schulangst und Schulphobie kennen und über diese Angststörungen aufgeklärt sein, findet Hopf. „Lehrerinnen und Lehrer bemühen sich heute sehr und wissen, wie angstfreier Unterricht aussieht“, so der Therapeut. Es käme jedoch nicht selten vor, dass die Angst eines Kindes auf den Lehrer oder die Lehrerin geschoben werde, hier sollte man sich nicht verunsichern lassen. „Heutzutage wird die Ursache häufig aus dem eigenen Umfeld verlagert“, berichtet der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Beim Verdacht auf eine Schulphobie sollten Lehrkräfte mit den Eltern sprechen und ihnen Hilfestellung anbieten. Eine mögliche Unterstützung wäre es z. B., wenn Lehrkräfte den Eltern eine gute Therapeutin oder einen guten Therapeuten empfehlen könnten.
7 Tipps für Lehrkräfte
Wenn Lehrerinnen und Lehrer bei einem Schüler eine Schulphobie vermuten, sollten sie aufmerksam werden. Unsere Tipps helfen Lehrkräften dabei, eine Schulphobie zu erkennen und das Kind bei der Überwindung zu unterstützen.
- Schulphobie ist nicht das Gleiche wie Schulangst.
- Bei Schulphobie liegt kein objektiver Grund für die Schulverweigerung vor.
- Kinder bleiben häufig ohne erkennbaren Grund über Wochen der Schule fern.
- Das Wichtigste bei Schulphobie: Das Kind muss wieder in die Schule gehen.
- Um den Wiedereinstieg zu erleichtern, kann das Kind zunächst nur wenige Stunden am Tag die Schule besuchen.
- Da oft die enge Bindung zur Mutter das Problem ist, können Lehrkräfte den Vater bitten, das Kind zur Schule zu bringen.
- Alternativ können auch eine Freundin oder ein Freund das Kind zur Schule bringen.
Hilfe bei Schulphobie: Buchtipps
Kinder mit Schulphobie brauchen Unterstützung von ihren Eltern und von ihren Lehrkräften. Weitere Informationen zum Thema inklusive hilfreichen Tipps, gibt es in einschlägiger Fachliteratur. Wir haben hier ein paar Beispiele aufgelistet.
Wie Jule ihre Angst verliert. Ein Kinderfachbuch über Psychotherapie
von Hans Hopf und Eva Gebhardt
„Jule ist zehn Jahre alt und gut in der Schule. Doch als sie sich eines Morgens von ihrer Mama verabschiedet, setzt sich plötzlich ein Gedanke in ihrem Kopf fest: Was wäre, wenn Mama etwas passiert? Diese Angst beherrscht Jule so sehr, dass ihr im Schulflur ganz schlecht wird und sie nach Hause rennt. Nachdem Jule drei Wochen nicht zur Schule gegangen ist, überweist sie der Kinderarzt an einen Psychotherapeuten. Jule staunt, dass es dort eher so aussieht wie in ihrem Kinderzimmer und nicht wie in einem Untersuchungsraum. Zusammen mit ihren Eltern geht sie jetzt regelmäßig zur Therapie – und nach und nach verschwindet ihre Angst.
Der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut Hans Hopf verdeutlicht Kindern am Beispiel der Schulangst den Verlauf einer psychotherapeutischen Behandlung. So ist das Buch auch bei anderen Krankheitsbildern von Kindern und Jugendlichen einsetzbar.“
Verlag: Mabuse
Schulangst und Schulphobie: Wege zum Verständnis und zur Bewältigung. Hilfen für Eltern und Lehrer
von Hans Hopf
„Schulangst ist weitverbreitet und eine reale Angst, etwa vor Prüfungen, vor Beschämung, Verletzung oder Bestrafung. Mobbing und Bullying sind Ausdruck dieser Atmosphäre im sozialen Raum Schule. Aber auch Prüfungs- und Versagensängste plagen das moderne Kind. Ganz anders das Kind mit einer Schulphobie: Es hat Angst, die Schule zu besuchen, obwohl kein objektiver Grund dafür zu erkennen ist. Es leidet meist an Trennungsangst, die mit vielen seelischen und körperlichen Symptomen verbunden ist.“
Verlag: Brandes & Apsel
Keine Angst vor der Schule: Was Eltern tun können
von Bernhard Schön (Herausgeber), Udo Baer (Autor), Waltraut Barnowski-Geiser (Autor)
„Leistungsdruck und Versagensängste, Unsicherheit und soziale Konflikte in der Klasse und auf dem Schulhof – Schulangst ist inzwischen weit verbreitet. Schon in der Grundschule reagieren viele Kinder mit wachsender Angst auf den zunehmenden Stress. Kurz und verständlich werden die verschiedenen Gesichter, die Schulangst annehmen kann, beschrieben und ebenso ihre Quellen. Mit zehn konkreten Hinweisen, wie Eltern ihrem Kind helfen können, seine Schulangst zu überwinden, bietet das Buch praktische Hilfestellung. Und die Autoren geben den Eltern gleich zu Anfang wichtige Hinweise, was man tun muss, damit es gar nicht erst zur Schulangst ihres Kindes kommt. Gesichter der Schulangst • Chronisches Unbehagen und schlechte Laune • Krankheit, vor allem montags und vor Klassenarbeiten • Niemand kommt zum Geburtstag, keine Freunde in der Klasse • Verstummen Quellen der Schulangst • Überforderung beim Übergang zu neuen Schulen • Überforderung durch allgemeinen Druck • Einsamkeit (durch Wegzug der Freunde, Schulwechsel, Mobbing) • Konkrete Ängste (vor älteren Schülern) • Beschämung und Scham Hilfe gegen Schulangst • Konkret schauen und ernst nehmen • Druck vermindern • Lernfreie Zonen • Gemeinsam gegen Beschämung angehen • Schuldgefühle ansprechen • Sicherheiten schaffen, Stärken ausbauen • Wenn keine Worte helfen: Musik, Tanz, künstlerische Gestaltung“
Verlag: Beltz kinder kinder
Titelbild: © Maria Sbytova/shutterstock.com
Foto von Dr. Udo Baer: © Udo Baer
Foto von Dr. Hans Hopf: © Hans Hopf
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Hallo,
ich stelle bei uns in der Grundschule fest, dass sich die Fälle von Schulphobie häufen. Die Kinder sind häufiger Mädchen und leistungsstark. Die Kinder beschreiben ein irrationales Gefühl der Angst, die Türschwelle zum Klassenzimmer zu überqueren. Dabei sind sie in der Klasse gut integriert und werden stets von den Klassenkamerad:innen unterstützt. Sobald die Eltern sich verabschiedet und das Schulhaus verlassen haben, ist es etwas leichter für das Kind. Im Klassenraum selbst wirken die Kinder ganz normal und kehren zu ihren Routinen zurück.
Als Lehrer ist es schwierig, die Kinder in den Raum hineinzubewegen, weil man natürlich nicht übergriffig werden will. Auch viele Lockmittel und Reden nützen manchmal wenig. Der Zeitdruck, unter dem Lehrer:innen zusätzlich noch stehen, beeinflusst den Weg zurück auch.
Gute Erfahrungen habe ich mit Eltern gemacht, die sich einig waren. Die Überzeugung muss da sein, dass in der Schule alles in Ordnung ist und, dass „Schulphobie“ eben ein reines Trennungsproblem ist. So wie die Eltern zur Arbeit gehen und gehen die Kinder zur Schule. Wenn diese Überzeugung nicht fest ist, fällt die Trennung schwer. Ich denke auch, wenn die Kinder erstmal erfahren, dass sie zuhause bleiben können, dann richten sie sich dort ein und es wird immer schwerer. Eine professionelle Begleitung ist zwingend notwendig und zwar nicht nur auf Kindesseite, sondern die gesamte Familie muss hier mit einbezogen werden.
Meiner Meinung nach hat die Häufung der Fälle mit der großen Verunsicherung in der Gesellschaft zu tun. Corona, Krieg und veränderte Lebensverhältnisse führen bei vielen Menschen zu dieser Verunsicherung. Die Nachrichten aus den Medien und die Unterhaltungen zu Hause bekommen auch die Kinder mit. Manche Kinder beschreiben eine Art Angst, dass den Eltern oder dem Zuhause etwas passieren könnte. Deswegen wollen sie lieber sicher gehen, dass sie selbst alles kontrollieren können, wenn sie zuhause bleiben und am besten alle Familienmitglieder auch da sind. Deswegen sind auch die Montage immer etwas Besonderes, weil sich die Kinder nach jedem Wochenende erstmal wieder schwer tun, die Trennung neu zu vollziehen. Das ist für die Kinder dann eine richtige körperliche Qual.
Ich bin sehr dankbar von der oben beschriebenen Unterscheidung zwischen Schulangst und Schulphobie erfahren zu haben. Denn Schulangst im Sinne des Leistungsdrucks oder des empfundenen Ausgeschlossenseins von den Mitschülern oder Lehrern beschreiben die Kinder überhaupt nicht. Es ist eher eine Ratlosigkeit – sie nehmen sich ganz fest vor, es zu schaffen und dann stehen sie vor der Türschwelle und kommen einfach nicht darüber.
Viele Grüße,
Göran
(Lehrer einer Grundschule)
Manchmal ist auch die fehlende Inklusion an Schulen das Problem. Schade, daß das hier nicht benannt wurde. Junge Menschen, die sich frei und offen äußern und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten bilden könnten und die nicht jede Sekunde ihres Aufenthaltes an der Schule damit rechnen müssen, unaufgefordert bewertet zu werden, hätten wohl weit weniger Probleme und würden nicht mit einer solchen Diagnose behaftet werden.
Dass die Lehrer-/innen vor allem in der Grundschule das Problem verursachen davon redet niemand. Hier muss gehandelt werden. Ich spreche aus Erfahrung da ich seit 8 Jahren in unserer GS solche Probleme nur kenne wie Ausreden: Das ist Erziehungssache der Eltern aber nicht der Schule usw. Aufsichtspflicht seitens der Schulen? Zu 90 % aller Lehrer sind solchen Aufgaben nicht mehr gewachsen um Probleme zu lösen. Wir als Eltern versuchen alles um unsere Kinder zu unterstützen, weiter zu entwickeln aber auf Kosten der Schulen die es nicht auf die Reihe bekommen? Hier bin ich so weit, dass ich diese Kosten eigentlich von den Schulen zurück verlangen müsste.
HALLO, ICH CH HABE SCUANGT
GRUSS FIONA
Liebe Fiona,
bitte sprich, wenn noch nicht getan, mit deinen Eltern oder einem Vertrauenslehrer bzw. einer Vertrauenslehrerin über deine Angst, damit sie dir helfen können.
Alles Gute wünsche wir dir.
Liebe Grüße
Katharina