Selbstbestimmte Bildung braucht Freiheit
Karen Kern ist ehemalige Lehrerin, berät in der Kern-Bildung und ist beim BVNL e.V. aktiv. Wir haben im Rahmen unserer Homeschooling-Serie mit ihr über unterschiedliche Bildungskonzepte, selbstbestimmte Bildung und ihre Erfahrungen in England gesprochen.
Frau Kern, Sie haben fünf Kinder, davon drei Söhne. Alle drei haben sich entschieden, selbstbestimmt zu lernen. Wie kam es dazu?
Frau Kern: „Mein Mann und ich hatten uns schon während des Studiums mit dem Thema ‚Selbstbestimmte Bildung‘ auseinandergesetzt, aber vor allem im schulischen Kontext. Unser jüngster Sohn ist auf eine freie Alternativschule gegangen. An dieser Schule gab es keinen Unterricht und er konnte dort überwiegend seinen Interessen nachgehen. Hausaufgaben gab es nicht. Die beiden anderen Söhne haben mit 11 und 14 Jahren gesagt, dass sie sich nicht mehr weiter in der Schule bilden wollen. Der ältere Sohn wurde jahrelang in der Schule gemobbt. Trotz Gesprächen mit Lehrern, therapeutischen Maßnahmen und mehreren Schulwechseln hat sich die Situation nicht verbessert, sondern nur verschlimmert. Unser jüngerer Sohn empfand die Schule als Zeitverschwendung, er sagte klar, dass er zu Hause in eigener Verantwortung besser lernen kann. Ebenso empfand er die sozialen Strukturen in seiner Klasse als nicht förderlich. Seine Bemühungen, hier etwas zu verbessern, waren erfolglos, das Mobbing wurde von Lehrern nicht ernst genommen und von den Mobbern nicht eingestellt. Einige Lehrer verhielten sich auch regelmäßig demütigend und abwertend gegenüber den Schülern. Unser jüngster Sohn schloss sich den beiden Älteren an, als seine Schullaufbahn an der Alternativschule, einer Grundschule, beendet war.“
Wie sah der Lernalltag bei Ihnen aus?
Frau Kern: „Jeder Tag sah anders aus. Es gab keine von uns Eltern vorgegebenen Aktivitäten oder Unterricht. Jeder ist seinen Interessen nachgegangen und es gab immer wieder gemeinsame Aktivitäten. Jeder in unserer Familie liest gerne, daher waren Bücher unentbehrlich. Wir hatten selbst sehr viele, sind aber auch regelmäßig in die Bibliothek gegangen. Wir hatten keinen Fernseher, aber es wurden oft DVDs geschaut, meist gemeinsam. Sehr viel wurde mit dem Computer gearbeitet. Unsere Söhne haben an verschiedenen Vereinstätigkeiten teilgenommen, Kurse besucht und wir sind viel in Museen, zu Ausstellungen, Vorträgen, Konzerten etc. gegangen. Wichtig waren unser gemeinsames Abendessen und unsere sonntäglichen Familienkonferenzen. Unsere Abendessen wurden genutzt, um über alle möglichen Themen zu diskutieren – über Gott und die Welt, die Vielfältigkeit der Themen war immens und hat mich immer wieder erstaunt. Auf Autofahrten kamen immer wieder sehr intensive Gespräche zustande. In den Familienkonferenzen haben wir gemeinsam unsere Woche organisiert und Probleme, wenn es welche in der Vorwoche gab, besprochen. Unsere Söhne waren es schon gewohnt, selbst nach Informationen zu suchen. Zu uns kamen sie, wenn sie nicht mehr weiter wussten. Dann haben wir gemeinsam nach Antworten gesucht; in Fachbüchern, im Internet, Zeitschriften etc.“
Welche Medien kamen für Ihre Kinder beim Lernen zum Einsatz?
Frau Kern: „Bei uns kam alles zum Einsatz – am wenigsten wahrscheinlich noch klassische Schulbücher. Es wurden vor allem Comics, Romane, Sachbücher und Zeitschriften aus der Bibliothek entliehen. Viel wurde am Computer gespielt, ebenso wurde im Internet nach Informationen gesucht oder Foren genutzt, um Fragen beantwortet zu bekommen. Lernplattformen wie sofatutor gab es damals noch nicht, diese habe ich aber in meiner Beratungstätigkeit schon oft weiterempfohlen. Wichtig war bei allen Medien, dass sie für denjenigen, der sie suchte, passten. Was soll jemand mit einem Buch lernen, mit dem er dann nichts anfangen kann? Da ist es doch sinnvoller, etwas zu suchen, womit die Beschäftigung Spaß macht.“
Von den 10 Jahren, in denen Sie mittlerweile Erfahrung mit selbstbestimmter Bildung sammeln konnten, lebten Sie drei Jahre in England. War das selbstbestimmte Lernen ein entscheidender Faktor für Ihren Umzug?
Frau Kern: „Mein Mann und ich hatten schon seit 20 Jahren die Idee, ins Ausland zu gehen. Wir hatten verschiedene Vorbereitungen getroffen, aber es gab immer wieder einen Grund, nicht zu gehen. Zu dem Zeitpunkt, als wir schließlich gegangen sind, hatten sich unsere Söhne schon fünf Jahre selbstbestimmt ohne Schule in Deutschland gebildet. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt mehrere Bußgeldverfahren hinter uns, waren an der Gründung zweier Privatschulen beteiligt gewesen und waren der Auseinandersetzung mit den Behörden müde geworden. 2005 besuchten wir ein großes Home-Education-Festival in England und hatten das Gefühl, zu Hause anzukommen. Wir waren nicht mehr die Paradiesvögel, sondern ganz normal. Es gab ein breites Netzwerk an Home-Education-Gruppen und eine sehr gute Bildungsinfrastruktur. Daran wollten wir teilhaben.“
Welche Erfahrungen haben Sie in Bezug auf die Akzeptanz von Homeschooling in Deutschland und England gemacht?
Frau Kern: „Wenn wir damals in Deutschland erwähnten, dass unsere Söhne ohne Schule und auch ohne Unterricht lernten, rief das oft heftige Reaktionen hervor. ‚Die werden keinen Abschluss bekommen! Wie sieht dann ihre berufliche Zukunft aus?!‘ waren noch die harmloseren Bemerkungen. In England habe ich nie eine solche Reaktion erlebt. Entweder die Menschen kannten schon andere, deren Kinder auch Home Education machten oder sie haben einfach neugierig gefragt, wie wir das denn machen, vor allem, da wir ja beide arbeiten gingen.“
Welche Erfahrungen haben Sie in den Home-Education-Gruppen gesammelt?
Frau Kern: „Wir waren in mehrere Home-Education-Gruppen eingebunden. Es sind keine geschlossenen Gruppen und sie sind alle unterschiedlich organisiert. Einige Gruppen haben feste wöchentliche Treffen. Andere Gruppen organisieren Treffen, bei denen auch Unterricht stattfindet: Meist in Englisch, Mathe, Naturwissenschaften, Kunst oder Theater. In unserer örtlichen Gruppe gab es einen monatlichen Newsletter, in dem jede Familie ihre Angebote veröffentlichte. Es wurden soziale Treffen angeboten wie Treffen im Park oder Spieleabende, vielfältige Bildungsangebote, ein gemeinsamer Buchclub, eine Theatergruppe, Kochen und Backen, Geschichte oder Naturwissenschaften, etc. In England gibt es eine Vielfalt an außerschulischen Bildungsangeboten, die ich als noch üppiger empfinde als hier in Deutschland. “
Sie waren selbst einige Zeit als Haupt- und Grundschullehrerin tätig. Welche Vor- und Nachteile einer staatlichen Schule können Sie benennen?
Frau Kern: „Mein Fokus liegt auf dem Menschen selbst und seiner Bildung, nicht auf einem Vergleich von Systemen oder Bildungsangeboten. Lernen ist eine ganz persönliche Angelegenheit und ist dem Menschen angeboren. Selbstbestimmte Bildung kann überall stattfinden, sei dies nun zu Hause, in der Umgebung, auf Reisen oder in einer Institution. Bildung ist im Grunde auch nicht planbar. Keiner von uns kann in den Kopf eines anderen hineinschauen und sehen, was dieser gelernt hat.
Voraussetzung für selbstbestimmte Bildung ist Freiheit. Meine Erfahrung ist, dass Schülern an staatlichen Schulen wenig Freiraum zugestanden wird, um ihren eigenen Interessen nachzugehen. Mir waren die Freiräume, die sich auch Lehrer im staatlichen System durchaus nehmen können, aber immer noch zu gering. Daher habe ich mich persönlich gegen eine Lehrtätigkeit an einer staatlichen Schule entschieden. Und bei meinen Söhnen konnte ich gut nachvollziehen, dass sie in diesem Schulsystem nicht mehr weiterlernen wollten. Der Alltag war durchstrukturiert, sie mussten ständig Dinge lernen, die sie nicht interessierten und für das, was sie interessierte, blieb nicht genügend Zeit.“
Sie haben durch Ihre Beratungstätigkeit bei der Clonlara Schule und jetzt bei Kern-Bildung weitreichende Erfahrung im Umgang mit anderen Freilernern erlangt. Worauf achten diese Ihrer Meinung nach besonders in der Auswahl der Lernangebote?
Frau Kern: „Viele Freilerner nehmen gar nicht zwangsläufig ein spezifisches Angebot an, sondern richten sich nach den Interessen der Kinder. Ebenso ist unser eigenes Programm Kern-Bildung konzipiert. Wir haben kein feststehendes Programm, sondern richten uns nach dem, was unsere Klienten brauchen und welche Ziele sie haben. Wir betreuen junge Menschen, die sich auf die Externenprüfung für einen der drei Schulabschlüsse vorbereiten ebenso wie junge Menschen, die ihr berufliches Ziel ohne Abschluss anvisieren. Wir finden dann heraus, welches der für sie passende Weg ist, wie sie am besten lernen und welche Medien für sie stimmig sind, das können Schul- oder Sachbücher sein, aber ebenso Internetangebote wie z.B. sofatutor.“
Wie wichtig schätzen Sie den Einsatz digitaler Medien ein?
Frau Kern: „Für uns wäre das Lernen ohne digitale Medien nicht denkbar gewesen, bieten sie doch eine immense Vielfalt an Möglichkeiten zum Wissenserwerb, zum Einholen von Informationen und zum Austausch. Lernen bekommt hier dann auch wieder einen anderen Charakter, habe ich gemerkt. Vieles läuft spielerischer ab und es kommt zu einer anderen Fehlerkultur. Fehler müssen nicht mehr vermieden werden, sondern werden als Herausforderung gesehen, gerade in Computerspielen.“
Welche Möglichkeiten gibt es in Deutschland, wenn man selbstbestimmt zu Hause lernen möchte?
Frau Kern: „Die meisten Familien, die sich hier in Deutschland für diesen Weg entscheiden, gehen entweder ins Ausland oder gehen hierzulande in Deckung. Wenige Familien gehen den offenen Weg und setzen sich für die selbstbestimmte Bildung mit den Behörden auseinander. Es gibt nicht den richtigen Weg, jede Familie muss ihren eigenen Weg finden. Dabei können Gespräche und die Vernetzung mit anderen Freilernerfamilien und Organisationen wie der BVNL oder die Schulfrei-Community im Internet helfen.“
Vielen Dank für das sehr nette Interview!
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Titelbild: Syda Productions/shutterstock
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