Hü und hott – über (in-)konsequente Eltern
Kinder brauchen verlässliche Eltern. Die gemeinsam hinter ihnen stehen und einer Meinung sind. Das glaubte Mama Henrike jahrelang.
Dann wurde ich Mutter, mein Mann Vater und alles kam anders …
Ich sehe mich als Begleiterin, Behüterin und vor allem Möglichmacherin für meine Kinder. Dazu gehört für mich, dass sie auf ihre Kindheit mit einem Gefühl zurückblicken können sollen, beschützt und umsorgt und vor allem, grenzenlos geliebt worden zu sein. Für den Mann an meiner Seite scheint die Kindheit unserer Kinder aber eher ein zwanzigjähriges Erziehungscamp zu sein.
Während aus meinem Mund so Sätze fallen wie: „Ich zähle jetzt bis drei! Eins, zwei, drei … ßig.“ – „Nun komm doch bitte!“ – „Wir kommen zu spät!“ – „Jetzt kommen wir wirklich gleich zu spät!“ – „Warte, ich ziehe dir eben die Schuhe an!“ – „Ich trage dich schnell zum Auto“, punktet mein Mann damit, dass er mit kurzen, knappen Befehlen die Kinder dirigiert.
Kinder oder Mütter dressieren
Oder sie „dressiert“, wie ich gelegentlich höhne. Es sei wie bei der Tierdressur! Und bei mir sei es wie bei den „Hottentotten“, argumentiert der Mann in meine Richtung. Alle Jungs würden mir auf der Nase herumtanzen! Ich sei so weich wie ein Muttibauch und überhaupt bräuchten Kinder Grenzen. Und ein „NEIN!“ täte ja wohl niemandem weh. Ich würde mich am lautesten beschweren über die endlosen Diskussionen wegen allem und jedem. Dabei wäre ich selber schuld daran! Denn wenn mein „Nein!“ in der Erfahrung der Söhne eigentlich bedeutet, dass sie nur mehr nachfragen, lauter bitten, drängender insistieren müssten, um ein: „Na gut, von mir aus!“ daraus zu machen, dann sei das einfach nur erlernt.
Fütterung der Raubtiere
Ein einfaches Beispiel, an dem sich unsere beiden unterschiedlichen Einstellungen zum konsequenten Erziehen ablesen lassen: Wenn ich mit dem Kleinsten vom Einkaufen zurückkomme, ist der pappsatt. Bereits an der Bäckereitheke hat er eine Brezel genascht und im Auto auf der Heimfahrt wurden noch zwei Äpfel aus dem Korb geangelt und verputzt. Wenn mein Mann mit dem Kind zum Einkaufen fährt, hat es danach Hunger. Weil der Mann klarstellt, er kaufe keine Brezeln zwischendurch und im Auto wird sowieso nicht gegessen. Wir essen zu Hause, basta!
Ich verstehe nicht, was an einer Einkaufsbrezel so verkehrt sein soll und genehmige mir selber auch gern eine. Außerdem halte ich nichts von Verboten nur einer Konsequenz wegen, die nie jemand hinterfragt hat. Ich bin eben anders.
Und die Kinder?
Erstaunlicherweise funktioniert unser unterschiedlicher Erziehungsansatz für die Kinder. Die wissen schon, dass sie im Vorfeld schnell noch eine Banane essen müssen, um unterwegs nicht zu verhungern, wenn der Vater mit ihnen einkaufen fährt. Das ist für sie überhaupt keine große Sache!
Wir Eltern haben hingegen jahrelang über die Vor- und Nachteile des jeweiligen „Erziehungsstils“ diskutiert. Jeder und jede war bemüht, das eigene Vorgehen als bestes zu verkaufen. Wir nahmen an, dass es ganz immens wichtig sei, dass wir zwei Elternteile gemeinsam an demselben Erziehungsstrang ziehen.
Nur das tun wir nicht. Mein Mann und ich, wir sind ein kontroverses Eltern-Team. Wir verfolgen jeweils unsere eigenen Prinzipien. Und das klappt mittlerweile für unsere Familie gut.
Dabei gibt es jedoch eine wichtige Regel für eine friedliche Koexistenz: Wenn der Eine oder die Eine etwas verboten oder erlaubt hat, dann ist das gesetzt und wird auch nicht infrage gestellt. Als Eltern diskutieren wir darüber niemals vor den Kindern!
Die heilige Inkonsequenzia, meine ganz persönliche Schutzpatronin, ist Zeugin, ich habe den großen Sohn befragt. Er ist jetzt bereits 18 Jahre uns beiden Elternteilen ausgesetzt: Einer sehr nachsichtigen und umsorgenden Mutter und einem strengen, auf Selbstständigkeit und Selbstfürsorge drängenden Vater. Ich wollte vom Sohn wissen, was besser gewesen sei. Was denn nun der ultimative Erziehungsstil sei?! Ich wollte hören, Kinder bräuchten nur Liebe und Küsse und so weiter. Natürlich wollte ich das hören!
Yin und Yang
Nun ja, die Antwort des Sohns hat mich überrascht. Es ist wohl wie mit dem Yin und Yang, er bräuchte beides, gab er an. Und dass ich ihm oftmals zu wenig Reibungsfläche geboten hätte in der Vergangenheit. Denn egal, womit er angekommen sei, ich fand sowieso alles super! Kritik aus meinem Mund kenne er gar nicht. Das sei wenig anspornend für ihn gewesen.
Für diese Dinge hatte er seinen Vater. Zu dem er allerdings niemals gehen würde, wenn es etwas zu besprechen gäbe, das auf der Gefühlsebene daherkäme. Dafür wäre ich wiederum die ideale Ansprechpartnerin – als Tränentrocknerin und Mutmacherin.
Die Erziehungs-Challenge geht weiter
Seit diesem Gespräch sind wir zwei Eltern friedlicher im Umgang miteinander und zuversichtlicher. Und wir achten erstaunlicherweise auch mehr den Part, den der jeweils andere in dieser Erziehungs-Challenge leistet.
Nehmen wir zum Abschluss das Dorf, das es sprichwörtlich braucht, um ein Kind großzuziehen. Möglicherweise ist damit auch eine große Bandbreite an menschlichen Kompetenzen und verschiedenen Vorgehensmodellen für eine bestimmte Sache gemeint. Vielleicht ist es gar nicht verkehrt, dass Kinder sehen, dass es nicht nur EINE richtige Vorgehensweise gibt, sondern mehrere Möglichkeiten. Oder?
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Titelbild: © Maria Sbytova/shutterstock.com
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