„Wir lassen uns scheiden!” – und was passiert mit dem gemeinsamen Kind?
Die Scheidung der Eltern stellt die familiäre Entwicklung vor neue Herausforderungen. Sie fordert Bewältigungs- und Anpassungsleistungen vom Kind.
An die Situation und den Umständen einer Scheidung gehen Eltern mit anderen Bedürfnissen heran als Kinder, dies muss man sich immer vor Augen halten. Für letztere stellt eine Scheidung zunächst keine Lösung, geschweige denn Erlösung dar, was dazu führt, dass sie sich eine Rückführung des vorherigen Zusammenhalts ersehnen. Eine Hoffnung, die viele Kinder über einen langen Zeitraum verfolgen, was eine normale Reaktion darstellt. Rein aus entwicklungsbedingter Perspektive haben Kinder ganz andere Fähigkeiten als Erwachsene, die Umstände hinlänglich zu erfassen und zu reflektieren. Auch liegt die Beeinflussung der Situation kaum in ihrer Hand. Eine Scheidung stellt für die meisten aller Kinder einen sehr belastenden Einschnitt dar: die Veränderungen werden nicht erwünscht, kommen oft plötzlich, es müssen Verluste in Kauf genommen werden und man hat als Kind kaum Kontroll- und Einflussmöglichkeiten. Kinder sind hier Akteure einer Handlung, die in deren Fortlauf stagnieren, im Wunsch, unbeteiligt am Geschehen zu sein.
Entscheidungen bedürfen Erklärungen ‒ für alle Beteiligten
Trifft man den endgültigen Entschluss, sich scheiden zu lassen, quält einen parallel vehement die Frage: Was passiert mit unserem Kind und in erster Instanz natürlich, wie teile ich jenem den Entschluss mit? Die Diplom-Psychologin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Eva-Maria Schevel gibt den Rat:
„Prinzipiell lässt sich sagen, dass man sich so bald wie möglich mit seinen Kindern zusammensetzen sollte, um mit ihnen zu reden. Kinder spüren zumeist sehr früh, dass etwas nicht in Ordnung ist, auch wenn man es als Elternteil noch so sehr zu verbergen sucht. Klarheit und jemanden, mit dem man über die Gefühle und Gedanken zur neuen Situation sprechen kann, sind für die betroffenen Kinder hilfreicher, als eine künstlich aufrechterhaltende Normalität, bei der die Kinder spüren, dass etwas nicht stimmt.“
Kinder sind nicht dumm und realisieren mehr, als man oft denkt. Bereits lange vor einer Scheidung spüren Kinder, dass etwas anders ist, selbst wenn man versucht, Konflikte nicht vor ihnen auszutragen. Ob man will oder nicht, es herrscht eine angespannte Atmosphäre und das spüren Kinder. Diese Situation versetzt sie in Angst und vermittelt ihnen gleichzeitig die Hoffnung auf Besserung. Ein Hin und Her also, das nicht zu befördern ist. Klare Botschaften sind die Devise und Kinder haben ein Recht auf Antworten.
Wichtig ist also, keine in sich schon getroffene Entscheidung zu lange hinauszuzögern und nach außen zu verbergen. Damit tut man seinen Kindern keinen Gefallen, vor allem, wenn man dann seine Auseinandersetzungen vor den Kindern austrägt. Diese geraten dann oft in Loyalitätskonflikte, arbeiten sich in die Rolle eines Schiedsrichters ein, die eine viel zu hohe Bürde darstellt und Kindern eine unnötige zusätzliche Belastung auferlegt, die sie nicht aushalten können und auch nicht sollten. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, kann eine Scheidung auch für Kinder eine Entlastung sein. Allemal ist es besser, als ein Schauspiel zu fabrizieren, bei der mit aller Gewalt versucht wird, den Schleier zu wahren, auch wenn bereits jeder verstanden hat, dass die Märchenstunde vorbei ist. Ein Ende mit Schrecken ist einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen! Auf Grund der Alters- und Persönlichkeitsstrukur ist es natürlich schwierig, hier spezifische Antworten darauf zu geben, wie man seinem Kind dies genau vermittelt. „Mit Kleinkindern rede ich als Elternteil natürlich anders als mit einem jugendlichen Kind. Das ist abhängig davon, was das Kind schon begreifen und wie man es dem Kind begreiflich machen kann. Mit jüngeren Kindern ist es sinnvoller, konkrete Beispiele zu geben, was es bedeutet und was sich nach einer Trennung in ihrem Leben ändert, während es bei Jugendlichen auch möglich ist, abstrakter und tiefgehender zu besprechen, was ihre Ängste und Sorgen zur Trennung der Eltern sind“, erklärt die Diplom-Psychologin.
Aber nicht nur das Wie und Wann ist in dieser Situation entscheidend, man sollte sich auch auf die Frage nach dem Warum vorbereiten und das von Seiten der Kinder, hat man diese für sich doch schon längst beantwortet. Dabei steht man natürlich vor dem Konflikt: Wie ehrlich kann ich zu meinen Kindern sein?
„Da es um einen Paarkonflikt geht, der zu einer Trennung führt, finde ich es wichtig, hier ganz klar zwischen Elternebene und Paarebene zu trennen. Je nach Alter kann man dem Kindern (gemeinsam) berichten, was zur Trennung geführt hat, allerdings möglichst sachlich und ohne Schuldzuweisungen. Einseitige Erklärungen eines Elternteils, die das jeweils andere Elternteil „verteufeln“, bringen die Kinder in eine auswegslose Situation, weil sie beide Elternteile lieben und durch die gegenseitigen Anschuldigungen nicht wissen, zu wem sie halten und was sie machen sollen. Das führt zu Loyalitätskonflikten und ist für die Kinder emotional schwer zu bewältigen“, so Schevel. Weiter rät sie: „Wichtig ist hier ein wertschätzender Umgang der Eltern miteinander, ein klares gemeinsames Wahrnehmen der elterlichen Sorge und eine klare Trennung zwischen der Paarebene, auf der man sich getrennt hat und der Elternebene, auf der man immer noch gemeinsam im Team zusammenarbeiten sollte.“
Die Reaktion der Kinder
Wie Kinder auf eine Scheidung reagieren, ist unterschiedlich und von Alter und Reife abhängig und damit auch vom Reflexionsgrad der Realisierung der Umstände. „Die Reaktionen der Kinder und Jugendlichen sind so individuell, wie ihre Lebensgeschichte und Persönlichkeit individuell sind“, gibt auch Schevel zu bedenken. Die Reaktionen sind zunächst als spezifische Bewältigungsversuche zu verstehen und nicht als Verhaltensstörung.
Gab es jedoch vor der Offenlegung gegenüber dem Kind bereits vermehrte Konflikte oder Gewalt, so können diese durchaus Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen beim Kind hervorrufen, welche sich, anfänglich noch als normale Reaktion zu bewerten, verfestigen können, wenn diesen nicht richtig begegnet wird. Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin weiß: „Es kann zu Rückschritten in der Entwicklung kommen, so kann ein Kind, was schon sauber und trocken war, zum Beispiel wieder in die Hose machen. Kinder können mit extraversiven, also nach außen gerichtetem, Verhalten, wie Wutausbrüchen und verbalen und körperlichen Aggressionen reagieren, aber ebenso mit introversiven Verhalten, wie sozialem Rückzug und Depressionen.“
Wichtig ist, die Gefühle des Kindes zu akzeptieren und ihnen die Freiheit zu geben, diese ausdrücken zu können. So schwer das Eltern auch fallen mag, vor allem, weil der Umgang damit nicht der einfachste ist, ist dies oft der bessere Weg der Verarbeitung, als wenn das Kind die Trennung einfach so hinnimmt, bzw. den Anschein macht, damit klar zu kommen, dies aber ein vermeintliches „in sich Hineinfressen” verbirgt, was später zu noch mehr Problemen führen kann. Man muss seinem Kind Zeit geben, man hat als Elternteil die Entscheidung, sich zu trennen, ja schließlich auch nicht von heute auf morgen beschlossen. Auch die Bereitschaft, immer für ein Gespräch offen zu sein, sollte dem Kind vermittelt werden, auch wenn es noch auf Abwehr schaltet.
Generell verschwinden die meisten Auffälligkeiten im Laufe von ein paar Wochen oder Monaten. Dabei kann helfen, den Zustand des Aufruhrs nicht ewig hinauszuzögern, sondern schnell wieder in eine, wenn auch neue, Routine im Alltag zu gelangen, die aber ebenso der Kontinuität förderlich ist. Zuvor sollte man in Erfahrung setzen, wie das zukünftige Leben aussehen wird, ohne den Fokus zu sehr darauf zu lenken, welche Veränderungen eintreten werden, sondern auch davon zu erzählen, was alles erhalten bleibt. Konkrete Informationen ermöglichen es dem Kind, sich besser auf die neue Situation einzustellen. Generell stellen Kinder in den meisten Fällen viele Fragen, vor allem in Bezug auf die Veränderungen, die eintreten werden. Das macht unbedingt notwendig, alles Wichtige mit dem Partner vorher zu klären: Bei wem bleibt das Kind?; Wer verlässt den gemeinsamen Wohnort?; Wie sollen die Besuchszeiten geregelt werden?; etc.. Es ist jedoch auch wichtig, Kindern ein gewisses Mitspracherecht einzuräumen. Auch wenn es nur Kleinigkeiten sind, zeigt man damit seinem Kind, dass es den Umständen nicht machtlos gegenüber steht. Auch bei der heiklen Frage, wo das Kind bleiben soll oder möchte, ist darauf Rücksicht zu nehmen, so Schevel: „Das kommt natürlich auch wieder auf das Alter des Kindes an. Generell halte ich es für sinnvoll, die Kinder in die Entscheidung mit einzubeziehen, ihnen aber nicht die Entscheidung „aufzubürden“. Kleinkinder und auch ältere Kinder sind nicht in der Lage, alle Konsequenzen ihrer Entscheidung abzuschätzen und wie in anderen Bereichen auch, ist es hier die Aufgabe der Eltern, abzuschätzen, was langfristig für ihre Kinder am Besten ist.“
Wichtig ist vor allem, dass sich das Kind nicht verantwortlich für die Trennung fühlt, was gerade bei Jüngeren oft der Fall ist. Diese beziehen viele Dinge auf ihre eigene Person und sehen Verbindungen, wo keine sind. Dem Kind muss daher immer wieder klar gemacht werden, dass es keinerlei Schuld an den Umständen trägt.
Alltagsmama und Wochenendpapa
In den meisten Fällen leben die Kinder nach der Scheidung bei der Mutter, was für jene natürlich eine Mehrbelastung und großen Kraftakt bedeutet, den Alltag nun alleine mit dem Kind zu meistern. Der Elternteil, welches auf Besuchszeiten angewiesen ist, sollte stets darum bemüht sein, den Kontakt zu dem Kind aufrecht zu erhalten und Zuverlässigkeit im Umgang mit Besuchszeiten zu wahren.
Wie man die Besuchszeiten letztlich regelt „(…) kommt auf viele Faktoren an. Die Wohn- und Lebenssituation der Eltern, die Arbeitssituation, das Alter der Kinder, der Wohnsitz und die Entfernung zwischen den Wohnungen der Eltern und auch zwischen den Wohnungen und der Schule, die Einigkeit bezüglich alltäglicher Regeln, wie Essens- und Schlafenszeiten. Generell halte ich es für wichtig, dass ein Kind einen strukturierten und geregelten Alltag hat, in dem es in der Lage ist, seine sozialen Kontakte zu Freunden zu pflegen. Es ist sicherlich auch von der Lebenssituation der Eltern abhängig, was wie umsetzbar ist. Diese Entscheidung sollte man möglichst so treffen, dass das Kind einen regelmäßigen Alltag hat, mit gleichen Zeitabläufen und gleichen Regeln. Das ist natürlich leichter umsetzbar, wenn ein Elternteil den Alltag mit dem Kind bestreitet, was aber nicht bedeuten soll, dass es nicht auch möglich ist, einen wöchentlichen Wechsel zu machen, der gut klappen kann, es sind nur viel mehr Absprachen nötig. Einen täglichen Wechsel halte ich persönlich für noch schwieriger.”
Mit dem Alter stellt sich jedoch eine Lockerung in der Regelmäßigkeitt ein. Wo es bei kleineren Kindern noch wichtig ist, regelmäßige Besuchszeiten zu verfolgen, sollten bei Älteren die Termine flexibel gestaltet werden, da diese bereits eigene Interessen verfolgen und gern am Wochenende auch was mit Freunden unternehmen wollen. Daneben sollten sich die Kinder auch beim „Nicht-Alltags-Elternteil“ zu Hause fühlen. Am besten wäre ein eigenes Zimmer, oder zumindest Platz, wo es seine Sachen verstauen und wenn möglich auch da lassen kann, um nicht jedesmal einen Koffer packen zu müssen. Auch ist hier wichtig, dass das Kind mit Regeln und Pflichten konfrontiert und vor allem nicht nur verwöhnt wird, auch wenn man es seltener sieht. Es sollte sich stets vor Augen gehalten werden, dass man ebenso weiterhin für die Erziehung verantwortlich ist. Es geht nicht darum, der Freitzeitelternteil zu spielen, sondern das Kind an seinem Leben teilhaben zu lassen und die Besuchszeit nicht nur mit attraktiven und teuren Betätigungen vollzustopfen, die lenken auch nur vom eigentlichen Zusammensein ab und können Momente der leisen Begegnung und Kommunikation blockieren. Zumal ist es dem anderen Elternteil gegenüber nicht fair. Schevel äußert dazu: „Da hat sicher jeder Elternteil eine eigene Umgehensweise. Vielleicht ist es hilfreich, sich immer wieder bewusst zu machen, dass es nicht darum geht „der Tollere“ zu sein, sondern die Sorge für das Wohlergehen des gemeinsamen Kindes gemeinsam zu tragen. Sicherlich fühlt es sich manchmal undankbar an, den Alltag mit all seinen Problemen zu meistern und dem Expartner das Wochenende mit tollen Unternehmungen zu überlassen. Aber es ist wichtig zu sehen, dass für das Kind beides wichtig ist. Und beides Vor- und Nachteile hat. Als „Alltagselternteil“ bekomme ich viel mehr von meinem Kind und seinem täglichen Leben mit, im positiven wie im negativen Sinne. Vielleicht ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass mein Kind das andere Elternteil eben „nur“ am Wochenende hat und es dann auch in der Natur der Sache liegt, dass sich mein Kind natürlich umso mehr auf diese Zeit freut, denn jedes Kind liebt und braucht Papa und Mama, auch nach der Trennung”.
Gerade in dieser Zeit brauchen Kinder die Nähe beider Eltern und die Sicherheit, sich derer Liebe gewiss zu sein, so groß die Probleme auch sein mögen. An der Liebe zum Kind darf sich nichts ändern und das muss vor allem dem Kind gegenüber immer wieder deutlich gemacht werden, von beiden Seiten. Das bedingt auch die Notwendigkeit, wenn nicht sogar Pflicht, den Kontakt zu dem getrennt lebenden Elternteil nie zu unterbinden. Damit einher geht auch, dass das Kind nicht als Waffe im Trennungprozess fungieren darf.
Ein Entschluss, den alle zu tragen haben, wenn nötig mit Hilfe
Viele Studien haben bereits darauf hingewiesen, dass es nicht die Scheidung selbst ist, von dem das Verhalten primär abhängig ist, sondern von der elterlichen Kompetenz damit umzugehen. Jede Trennung verläuft anders und es gibt keine Pauschalerklärung, Lösung oder Hilfestellung diese bestmöglichst für alle Beteiligten zu bewerkstelligen. Somit kann man auch nicht alle hier genannten Hinweise berücksichtigen und man ist kein Unmensch, wenn etwas mal nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hat. Reaktionen sind schließlich nicht vorhersehbar, auch nicht die der eigenen Kinder oder des Ex-Partners. Doch ist es wichtig, stets zu versuchen, als Elternpaar in Entscheidungen konform zu sein. Sollten jedoch Probleme aufkommen, mit denen man allein nicht mehr fertig wird, darf man sich nicht scheuen, professionelle Hilfe von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten oder Psychologinnen und Psychologen in Anspruch zu nehmen. Sinnvoll ist es auch, Lehrkräfte oder Erzieherinnen bzw. Erzieher über die Situation der Trennung und die nachfolgenden Entscheidungen zu informieren. Leistungsabfälle oder Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen der Schule oder des Kindergartens können so besser verstanden und reflektiert werden und es gelingt dort dann auch besser, adäquat darauf zu reagieren.
Titelbild: ©luckyraccoon/Shutterstock.com
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