Dejan Mihajlović: „Digitale Bildung beginnt zuerst im Kopf“

Dejan ist Lehrer und Bildungsenthusiast durch und durch. Um die digitale Bildung voranzubringen, muss man sich vor allen Dingen über ihre Potenziale austauschen, findet er.

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Steckbrief


Name: Dejan Mihajlović
Schule: Pestalozzi-Realschule Freiburg
Fächer: Chemie, Mathe, Geschichte, Philosophie/Ethik
Die Schülerinnen und Schüler von heute … sind genauso besonders wie die von gestern.
Die Schule von morgen … hätte ich schon gern heute.
Ich werde nie vergessen, wie … stolz ich war, als mein ehemaliger Schüler und aktives Mitglied der Schülervertretung mit 19 Jahren in den Gemeinderat der Stadt Freiburg gewählt wurde.

Dejan, deine Schule startet in diesem Schuljahr als eine von vier Pilotschulen mit der Plattform „aula“. Was kann man sich darunter vorstellen?
Dejan: „‚aula‘ ist ein Beteilungskonzept. Das heißt, die gesamte Schule kann mithilfe einer auf Liquid Democracy basierenden Plattform neue Ideen ausdiskutieren und live darüber abstimmen. Nicht nur Schülerinnen und Schüler und deren Lehrerschaft, sondern auch alle Eltern erhalten einen Account für ‚aula‘. Der Sinn ist es, den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, sich schnell, transparent und einfach am Schulgeschehen zu beteiligen. Je nachdem, welche Idee der Schüler oder die Schülerin verfolgt, kann er oder sie diese Idee der gesamten Schule oder nur der eigenen Schulklasse mitteilen. Es kann z. B. ein Vorschlag für den nächsten Klassenausflug oder die Unterrichtsgestaltung sein, der in den ‚Klassenraum‘ auf der Plattform gepostet wird. Wenn man z. B. eine neue Smartphone-Verordnung vorschlagen möchte, postet man es in den ‚Schulraum‘.“

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Wie sieht das in der Umsetzung aus?
Dejan: „Eine Grundvoraussetzung ist, dass Schüler- und Lehrerschaft geschlossen hinter dem Projekt ‚aula‘ stehen. Zu Beginn des Schuljahres wird zwischen der Schulleitung, den Lehrkräften, allen Schülerinnen und Schülern und den Eltern ein Vertrag geschlossen, der den rechtlichen Rahmen bildet.
Das aula-Konzept sieht wöchentlich eine Stunde vor, in der darüber diskutiert werden kann, was man in die Plattform posten möchte bzw. was es für neue Vorschläge gibt und wie man diese ausformuliert. Im Anschluss an eine ausgearbeitete Idee folgt die Abstimmungsphase. Wenn die Mehrheit der Betroffenen dem Vorschlag in ‚aula‘ zustimmen, muss die Idee umgesetzt werden.“

Woher stammt die Idee?
Dejan: „Das Projekt wird vom Verein politik-digitale e. V. unter der Leitung von Marina Weisband koordiniert und von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt. Aus den Bewerbern wurden vier Schulen unterschiedlicher Bundesländer und Schularten ausgewählt. Die Software und ein Handbuch werden im Anschluss an die Testphase als Open-Source-Software kostenlos verfügbar sein. Das finde ich sehr unterstützenswert. Wir starten in der zweiten Woche nach Schulstart mit der Einführung in die Plattform in den einzelnen Klassen.“

Welche Rolle übernimmst du in dem Projekt an deiner Schule?
Dejan: „Ich habe das Projekt über Twitter entdeckt und bei allen im Vorfeld beworben. Als Verbindungslehrer bin ich immer auf der Suche nach neuen Wegen, die Partizipation der Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Während der jetzt laufenden Testphase will ich weiter dafür werben, dass die aula-Stunde optimal umgesetzt wird. Außerdem möchte ich mich fortlaufend mit dem Kollegium austauschen. Über meine Erfahrungen werde ich bloggen, um mich mit zukünftigen aula-Schulen austauschen zu können.“

Bist du bei deinen Bestrebungen ein Einzelkämpfer oder ist dein Kollegium außergewöhnlich engagiert, um den Schulalltag zu verbessern?
Dejan: „Jeder Lehrer und jede Lehrerin ist ein Stück weit ein Einzelkämpfer. Aber an der Schule, an der ich seit einem Jahr unterrichte, bin ich Teil eines besonders engagierten Kollegiums. Es findet ein sehr reger Austausch statt. Jeder konnte auch im Vorfeld zu ‚aula‘ sagen, ob er oder sie die Idee gut findet oder Bedenken äußern. In einer offenen Diskussion konnte dann Marina Weisband die letzten Zweifel am aula-Vorhaben einiger Lehrerinnen und Lehrer auflösen.“

„Was soll, kann und wird Bildung heute und morgen leisten?“, fragst du auf deinem Blog. Was bedeutet Schule in diesem Kontext für dich?
Dejan: „Es gibt zwei Felder, in denen ich versuche, die Schule voranzubringen. Eins ist das Feld rund um den Begriff der „digitalen Bildung“. Das zweite Feld ist die Partizipation. Um z. B. so ein Tool wie ‚aula‘ zur Partizipation einsetzen zu können, muss es im Vorfeld bereits Strukturen einer offenen Partizipation an der Schule geben. Man kann es der Schulgemeinschaft nicht überstülpen. Mithilfe dieses Tools kann man dann Prozesse und Fragen im Schulalltag transparenter und tatsächlich besser machen. Darauf gehe ich auf meinem Blog ein.“

Wie kann Partizipation an der Schule gelingen?
Dejan: „Die grundlegenden Faktoren für Partizipation an Schulen sind immer noch die gleichen: Es muss eine Schulleitung sowie Lehrerinnen und Lehrer geben, die sich das wünschen und Schülerinnen und Schüler, die es beigebracht bekommen. Das sehe ich als meine gesellschaftliche Aufgabe an. Wenn ich mir aktuelle Ergebnisse der Wahlen anschaue und sehe, was gewählt wird oder wie im Netz agiert wird, stelle ich fest, dass viele Menschen sich nicht als Teil der Gesellschaft empfinden. Das ist eine der großen Aufgaben von Schule. Da ist noch viel Luft nach oben.“

Als zweites Feld nennst du die digitale Bildung: Wie wichtig findest du es für Schüler und Schülerinnen in einer digitalen Lernumgebung aufzuwachsen?
Dejan: „Es ist wichtig, aber hat nicht die oberste Priorität. Die grundlegenden Dinge, die Schule leisten muss, sind nicht digital, z. B. Beziehungsarbeit. Das Potenzial der digitalen Bildung ist es, neue Wege zu gehen und Möglichkeiten zu nutzen, die es vorher nicht gab. Wenn ich z. B. kollaborativ arbeiten möchte, kann ich das jetzt wirklich erreichen. Wenn ich die Schule nach außen öffnen möchte, kann ich das wunderbar umsetzen, ohne auch nur den Klassenraum zu verlassen. Es geht also nicht darum, unbedingt etwas Neues zu haben. Man kann vielmehr Dinge, die man sich vorher gewünscht hat, durch die digitale Lernumgebung erreichen.“

Erkennst du Gefahren digitaler Bildung?
Dejan: „Ja, klar. Nicht jeder kann sich im Netz souverän bewegen. Das muss Schule entsprechend vermitteln. Datenmissbrauch, Urheberrechtsverletzungen oder Cybermobbing sind Gefahren, derer man sich bewusst sein muss. Oft scheint es so, als würden Lehrerinnen und Lehrer, die sich für digitale Bildung einsetzen, diese Aspekte vernachlässigen. Sie werden aber von ihnen durchaus thematisiert. Die verzerrte Wahrnehmung dieser Lehrkräfte entsteht dadurch, dass sie die Potenziale zu wenig kommuniziert sehen und deshalb aktiv bewerben. Ich sehe das als Folge einer lange Zeit zu einseitig negativen Berichterstattung.“

Was ist der dringendste Appell von deiner Seite, um eine digitale Lernumgebung im Schulgebäude zu ermöglichen?
Dejan: „Um überhaupt Prozesse in Gang zu bringen, ist nicht die vorhandene Technik entscheidend. Vor allen Dingen muss ein Umdenken in den Köpfen der Entscheider stattfinden. Digitale Bildung beginnt zuerst im Kopf. Wenn klar ist, was digitale Bildung erreichen kann und soll, können die notwendigen Strukturen geschaffen werden. Solange ist und bleibt es häufig ein Stückwerk.“

Du bist Vater von vier Kindern, politisch engagiert, Vollzeit-Lehrer und tauschst dich viel mit anderen Bildungsenthusiasten aus. Woher nimmst du die Motivation?
Dejan: „Meine Kinder sind meine Motivation. Ich möchte meinen Kindern eine Zukunft hinterlassen, die ihnen Perspektiven bietet. Dieser Antrieb wird durch den gleichen Wunsch für meine Schülerinnen und Schüler potenziert. Zusätzlich zehrt meine Motivation vom Web. Die anderen Bildungsenthusiasten da draußen sind mein täglicher Motor. Wenn ich bei Twitter sehe, was Kolleginnen und Kollegen machen und wir uns darüber austauschen, treibt mich das an.“

Titelbild: © Dejan Mihajlović/sofatur.com