Was Jugendliche denken, wenn sie nichts sagen

Paul David Bühre ist 15, geht in die 10. Klasse und ist ein ganz normaler Schüler. Mit einer Ausnahme: Er hat ein Buch geschrieben. In Teenie Leaks (Was wir wirklich denken, wenn wir nichts sagen) klärt er Erwachsene u. a. über Pornokonsum und Gruppendynamiken im Teenageralter auf.

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Ein täglicher Kampf

Laut Bühre ist jeder Tag im Leben eines Teenagers ein Kampf um Prestige und Anerkennung: „Ein Ringen um Ehre und Macht. So ähnlich wie bei Game of Thrones. Nur halt ohne Schwerter und Drachen, sondern mit WhatsApp und 1000-Meter-Läufen.” Entscheidend ist dabei, zu welcher Gruppe man gehört. Da wäre zum einen Gruppe A, die „oberhammer-geilste-krasseste Gangster-Antischul-Gruppe”. Wer hier drin ist, findet Lehrer scheiße, Eltern peinlich und sich und seine Gefährten ziemlich cool. Zocken, Serien und Markenklamotten sind Lebenselixier der superreifen Partymacher. In Gruppe A will jeder rein. Zur Überraschung des Autors ist auch er in dieser Gruppe vertreten.

Daneben gibt es die Gruppe B. Sie vereint jene, die es nicht in Gruppe A schaffen: „[…] also Spätpubertierende, Weicheier, Nerds.” Nerds werden aber an sich nicht als Feind angesehen, denn man braucht sie zum Lernen und Hausaufgabenabschreiben. Neben dem Aussehen kann man diese beiden Gruppen darin unterscheiden, dass B in der Pause Fußball spielt und völlig fertig wieder den Klassenraum betritt, in dem A schon die Pause über abgehangen hat. A findet Schule schon anstrengend genug und macht lieber nichts, was eh cooler ist.

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Neben Gruppe A und B, die ausschließlich durch männliche Teenager vertreten werden, bleibt da noch die weibliche Fraktion der Zehntklässler ‒ die Gruppe x47MKKD89SY: „Warum ich die alle in einen Topf schmeiße, ist ganz einfach: Bei den Mädchen ist alles in Bewegung. […] es ist ein Dschungel aus Lügen, Verschwörungen, Geheimnissen, Dramen, Tränen, Angst, Wut und einer Ladung Action, ein echter Thriller halt.”

Neben der Nützlichkeit der Gruppe B für A in Sachen Schulstoff, finden sie sich auch hier zusammen ‒ gegen das gemeinsame Feindbild Mädchen.

Warum die Lust fehlt, um zehn Uhr abends zu lernen

Im digitalen Zeitalter sollte es keine Lehrkraft mehr verwundern, dass „Berge” von Hausaufgaben über Gruppenchats gelöst werden. Damit man keine „Sechs to go” kassiert, wird sich aber schon angestrengt, nicht alles wortwörtlich abzuschreiben.

Bühre gibt zu bedenken, dass Lehrer nicht vergessen sollten, dass sie nicht das einzige und wichtigste Fach unterrichten: „Zwar ist eine kleine Aufgabe in Mathe noch zu schaffen, aber wenn dann noch die Erörterung in Deutsch, der Essay in Ethik, die Vokabeln und die Grammatik in Latein dazukommen und man sowieso bis halb vier Schule hat, dann noch Sport macht, kann es schonmal vorkommen, dass man keine Lust mehr hat, um zehn Uhr abends noch Physik zu machen […]. ”

Das verrufene „Bulimie-Lernen” ist auch Bühre nicht fremd. Gelernt wird meist nur für die nächste Arbeit. Bekommt man diese zurück, ist die Hälfte des Gelernten schon wieder vergessen. „Vielleicht ist das auch der Sinn von Schule, dass man sich daran gewöhnt, dass viel Arbeit, die man sich im Leben macht, keinen Spaß macht und niemanden etwas bringt.”

Sehnsucht nach Wissen, das weiterhilft

Jugendliche haben die Digitalisierung mehr als verinnerlicht, doch an Schulen sucht man sie, laut Bühre, vergeblich. Nur zwei Jahre Unterricht mit Programmen wie PowerPoint oder Word lassen vieles vermissen. „Was ist mit Programmieren? O. k., vielleicht kennen sich die Lehrer mit so etwas nicht so gut aus, aber warum holt man dann nicht Leute, die das können? Handwerken, Kochen, Nähen ‒ all das fehlt auf einem Gymnasium auch. Darstellendes Spiel und Sport sind die einzige Abwechslung im Stundenplan eines Schülers”, beklagt der Jungautor.

Bühre sehnt sich nach Wissen, das ihm wirklich weiterhilft. Ansonsten möchte er doch bitte verstehen lernen, wozu er diesen ganzen Schulstoff überhaupt braucht.

Nehmen Sie sich ein Beispiel an Walter White

Kennen Sie die Serie Breaking Bad? Darin können Sie laut Bühre ein Vorbild finden. Begeistert berichtet er von dem Chemielehrer Walter White. In einer Szene erklärt White seiner Klasse, warum Chemie wichtig ist. Diese Szene hat dem jungen Autor zum ersten Mal nach zwei Jahren quälendem Chemieunterricht gezeigt, dass dieses Fach doch ganz interessant sein kann.

Und Bühre ist Fan davon, wenn Lehrer Geschichten erzählen. Die merkt man sich besser. Ansonsten findet er Schule deshalb ganz cool, weil man dort jeden Tag seine Freunde trifft. Durch den Unterricht quält man sich zwar, aber man ist damit nicht allein. Geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid.

Mobbing: Was helfen soll, aber nichts bringt

Mobbing ist kein einfaches Thema und sollte nicht unterschätzt werden. In Teenie Leaks kommt diese Problematik zu kurz und wird auch etwas lapidar abgehandelt. Aber man kann von einem Teenager, der von jenem Thema scheinbar nicht betroffen ist, auch nicht zu viel Reflexion und pädagogische Ratschläge erwarten. Was Bühre anmerkt, sollte jedoch zu bedenken geben: „Eltern oder Lehrer oder gar Streitschlichter, wie es sie an manchen Schulen gibt, werden nur selten hinzugezogen. Durch die Trampel wird es meistens nur noch schlimmer, und die Feinde hassen einen nur noch mehr.”

Er empfindet es eher als Belastung, ständig irgendwelche Zettel zu unterschrieben, um zu belegen, dass man sich an die Regeln hält. „[D]iese Unterschrift erscheint mir ein bisschen wie eine Art Ausrede für die Schüler und die Schule. Wieso Mobbing? Nein, Mobbing gibt es hier nicht! Steht auf einer Urkunde in der Eingangshalle, und alle haben es unterschrieben.”

Jungsein 2.0


Teenie Leaks

Teenie Leaks ©Ullstein

Wer Antworten auf das Verhalten wirklicher „Sorgenkinder” sucht, wird in diesem Buch nicht fündig. Dennoch schafft der Bilderbuchjunge Bühre, ein interessantes Abbild seiner Genration zu zeichnen. Er beobachtet seine Umgebung mit gebotenem Abstand und berichtet sachlich und erhellend. Wer, wie Lehrkräfte, einen täglichen Umgang mit der rätselhaften Spezies Teenager hegt, bekommt mit Teenie Leaks eine durchaus unterhaltsame Lesekost geboten.

Hier geht’s zu Lese- und Hörproben.

  • Erzählendes Sachbuch (Gesellschaft, Erziehung, Ratgeber)
  • Ullstein Verlag
  • 192 Seiten




Titelbild: ©Chris Tefme/shutterstock.com