Bob Blume: „Das Referendariat ist ein Synonym für Dauerkritik“

Deutschlehrer Bob Blume ist ein gefragter Blogger und Twitterer. Referendar*innen liegen ihm besonders am Herzen. Ihnen hat er jetzt ein Buch gewidmet.

So klappt's mit dem Lernen – jetzt im Video anschauen!

Herr Blume, Sie haben das „Abc der gelassenen Referendare“ veröffentlicht. Warum braucht es dieses Buch?
Bob Blume: „Ich habe seit drei Jahren mit Referendar*innen zu tun. Gleichzeitig weiß ich aus meiner eigenen Zeit im Referendariat, welche Dynamiken in der Diskussion mit den anderen Referendar*innen entstehen können. Das Referendariat ist für viele ein riesengroßer Raum unkontrollierbarer Elemente. Der Versuch, diese auf einmal zu kontrollieren, führt zu Stress. Im ungünstigsten Fall kann das bewirken, dass sich die Referendar*innen gegenseitig unter Druck setzen.

Dank meines Blogs Bob Blume habe ich diesen Bedarf für ein solches Abc deutlich vor Augen. Dort werden die ‚kontrollierbaren‘ Themen am meisten nachgelesen: Wie bereite ich den Unterricht vor? Wie schreibe ich eine Sachanalyse? und ähnliches.

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Für mich war es während des Referendariats am wichtigsten, die Dinge, die auf einen einprasseln, relativieren zu können. Darüber wollte ich ein kleines Büchlein schreiben. Im besten Fall ist es ein Trostspender, nachdem man lange ausatmen kann und sich ein bisschen weniger gestresst fühlt. Das wäre perfekt!“

Welche Probleme begegnen Ihnen häufig, wenn Sie sich mit Referendar*innen – online und offline – austauschen?
Bob Blume: „Ich kann drei herausgreifen: Ein Problem ist, dass die Institution Schule nicht vorausgeplant werden kann. Dass Referendar*innen ins kalte Wasser geschmissen werden, ist eine Folge dieser fehlenden Planbarkeit. Sie haben das Gefühl, dass sie sofort zum Olympiaschwimmer werden müssen und versuchen dann, alles auf einmal zu beherrschen. Dabei kann man einfach nur scheitern.

Das zweite Problem ist, dass das Referendariat ein Synonym für Dauerkritik ist. Die wenigsten Studierenden haben während des Studiums gelernt, richtig mit Kritik umzugehen. Im Referendariat werden sie dann dauerhaft kritisiert und müssen reflektieren. Das führt zu Stress.

Schließlich kommt als drittes Problem hinzu, dass die Referendar*innen ständig im Seminar aufeinander sitzen, sodass sie sich immer miteinander vergleichen. Entweder hat ein*e Mitreferendar*in eine Stunde ganz toll vorbereitet und man selbst hat sie gerade so zusammengekriegt. Oder es werden Horrorgeschichten über andere Schulen erzählt. Dagegen kann man sich sehr schwer wehren.

Diese drei Probleme knallen Referendar*innen als große Welle vor den Kopf. Man muss lernen, damit umzugehen und zu verstehen, dass man nicht alles kontrollieren kann. Dass man einen Schritt vor den anderen setzen muss, um voranzukommen.“

Das klingt, als hätten Sie selbst auch diese Erfahrung machen müssen.
Bob Blume: „Absolut. Ich dachte, ich könnte mich von diesem Druck freimachen. Konnte ich aber nicht. Sicherlich gibt es Naturtalente, die den Druck ausblenden können. Aber ich habe vieles von dem, was ich als ex negativo in dieses Büchlein packe, auch erlebt. Im Umgang mit den Schüler*innen habe ich mich immer sehr wohlgefühlt. Aber an einem Abend in der Woche habe ich mich nicht wohlgefühlt. Das war Abend nach dem Seminartag. Das werfe ich aber niemandem vor. Es gab keine toxischen Menschen, die mir Böses wollten. Vielmehr war es diese Dynamik, dass man in einem Moment großer Hilflosigkeit, Aufregung oder Ohnmacht mit anderen spricht, denen es genauso geht. Diese Dynamik führt oft zu einer Verstärkung dieses Effekts.“

Was raten Sie Lehramtsstudierenden, damit ihr Referendariat „gelassener“ läuft?
Bob Blume: „Relativieren. Das ist das Wichtigste. Eine Stunde, die megamäßig daneben geht, bedeutet nicht, dass die Schüler*innen für ihr Leben gezeichnet sind. Relativieren bedeutet auch, dass man versucht, experimentierfreudig und offen zu bleiben und es als Chance begreift, wenn mal etwas nicht klappt. Übrigens bedeutet es auch, dass man nicht rumläuft wie der König, wenn es perfekt läuft. Ich rate dazu, immer wieder auch eine Google-Earth-Perspektive auf das einzunehmen, was man als Lehrkraft tut.

Am besten gelingt dieses Relativieren dadurch, dass man etwas anderes macht. Viele glauben, dass das Referendariat nur durch Dauerarbeit zu bewältigen sei. Da würde ich absolut nicht zustimmen. Wenn man Sport macht, sich mit anderen trifft oder mal ein gutes Buch liest, einen Film guckt oder in die Kneipe geht, gewinnt man Abstand. Man kann aus seiner Haut raus und das ist essenziell, damit man nicht am Rad dreht.“

Wer sich heutzutage nicht mit den Medienwelten der Schüler*innen auseinandersetzt, der hat im Lehrerberuf nichts zu suchen.

Wir haben bereits über Ihren Blog gesprochen. Außerdem sind Sie als Podcaster und auf Twitter, Instagram und Facebook aktiv. Meinen Sie, es ist wichtig für Lehrer*innen, sich mit dem Internet und seinen „Ausdrucksformen“ auseinanderzusetzen?
Bob Blume: „Es nicht zu tun, ist fahrlässig. Wer sich heutzutage nicht mit den Medienwelten der Schüler*innen auseinandersetzt, der hat im Lehrerberuf nichts zu suchen. Vor ein paar Jahren hätte ich das noch freundlicher formuliert. Mittlerweile ist es zu deutlich, dass die Digitalisierung, Automation und Social Media in jedem Teil unseres Alltags eine Rolle spielt, nur nicht in der Schule. Die Lösung des Problems ist nicht etwa, dass jeder mit iPads umgehen sollte. Sondern man muss sich zunächst eingestehen, dass Handys keine Telefone mehr sind, sondern Weltaneignungsassistenten. Das heißt, wenn ich mich als Lehrer bzw. Lehrerin verweigere, nehme ich einem*r Schüler*in die Chance, eine Haltung und ein Wertesystem zu entwickeln, das für alle Bereiche der Gesellschaft gilt – online wie offline.

Zentral ist, dass ein*e gute*r Lehrer*in heutzutage ein*e gute*r Lerner*in bleiben muss. Wenn man sich also dafür interessiert, was Schüler*innen tun, warum sie es tun und welche Fragen sie diesbezüglich haben, dann ist ein Riesenschritt getan. Nicht jeder muss ein Medienexperte sein. Ein bisschen beobachten, z. B. auf Twitter, ist aber nicht verkehrt.“

Wenn Sie als Referent auf Konferenzen oder Tagungen zum Thema digitale Schulbildung sprechen, was ist Ihr Eindruck: Haben deutsche Lehrkräfte Bock auf digitale Bildung?
Bob Blume: „Bereits vor drei Jahren habe ich einen Text geschrieben, der ‚Digitaler Dogmatismus und analoge Demenz‘ hieß. Darin zeige ich, dass es eine große Diskrepanz zwischen der Online- und der Offline-Lehrer*innencommunity gibt. In der Online-Lehrer*innencommunity gibt es viele, die enthusiastisch sind, sich austauschen und diskutieren wollen. Aber in einer ‚normalen‘ Schule haben nur zwei von hundert Lehrkräften mehr mit Social Media zu tun und fünf besitzen ein iPad. Die digitale Bildung ist noch nicht angekommen, aber ich spüre, dass sie langsam eine Breitenwirkung entfaltet. Das heißt, das ‚Neuland‘ wird besprochen, aber der Neuland-Begriff kann noch nicht ad acta gelegt werden.“

Sie selbst sind pro digitale Bildung. Wie wirkt sich das auf Ihren Fachunterricht aus?
Bob Blume: „Ich habe schon Themen mithilfe von Social Media umgesetzt: Z. B. habe ich mit meinen Schüler*innen ein historisches Ereignis nachgetwittert und im Deutschunterricht aus der Perspektive literarischer Figuren twittern lassen. Dafür haben wir übrigens vorab die Zustimmung der Eltern eingeholt. Aber mir geht es nicht um die Einbindung spezieller Plattformen. Es muss funktional sein, mir also eine Möglichkeit bieten, die ich sonst nicht hätte. Ein Beispiel wäre das eigenständig-verantwortliche Arbeiten, das ich mit meiner zwölften Klasse umgesetzt habe. Sie haben über sechs Wochen hinweg individuell gearbeitet, wobei sich die Schüler*innen aus einer Auswahl Themengebieten ein einzelnes Thema aussuchen konnten. Sie bearbeiteten es in Gruppen mit digitalen Werkzeugen und ich war als Lehrperson anwesend, habe Feedback gegeben, offene Fragen geklärt usw. Anschließend konnten die Gruppen das von ihnen erarbeitete Thema den anderen zur Verfügung stellen. Diese Form der Archivierung, der Präsentation und des Teilens sind für mich die Hauptgründe, warum digitale Medien und Geräte in den Unterricht gehören.“

Welche didaktische Methode würden Sie in diesem Zusammenhang gern noch ausprobieren?
Bob Blume: „Ich würde natürlich gern die Medien, die in der Lebenswelt von Schüler*innen relevant sind, im Unterricht einsetzen. Das ist aber datenschutzrechtlich problematisch. So könnte man z. B. in einer zwölften Klasse den Strukturalismus anhand von Instagram-Bildern nachprüfen. Oder man könnte untersuchen, inwiefern die Darstellung der kalifornischen Jugendkultur auf Instagram von dem abweicht, was im Lehrbuch oder im Internet steht. Wie sehen sich Jugendliche selbst bzw. wie wird auf Instagram kommuniziert? Auf den Punkt gebracht ist es das, was unter digital-affinen Pädagog*innen der Kern ihres Arbeitens ist, die 4K: Kommunikation, Kollaboration, kritisches Denken und Kreativität. So kann man und muss man auf die Gefahren digitaler Plattformen eingehen, z. B. Sogwirkung von automatisierten Videos, Grooming, Sexting. Aber diese vier zentralen Kompetenzen des digitalen Zeitalters können nur dann richtig entfaltet werden, wenn man lernt, kritisch mit Plattformen umzugehen und ihre produktive Seite kennenlernt. Das geht aber schlecht, wenn Twitter auf einer Blacklist steht und ich Twitter in der Schule gar nicht öffnen kann.

Noch ein Hinweis für Lehrer*innen, die sagen, sie haben kein WLAN in der Schule oder keine iPads in den Klassen. Auch dann kann ich einen Sascha-Lobo-Text lesen und schauen, wie Digitales mit der Gesellschaft zusammenhängt. Oder im Biounterricht YouTube-Videos verwenden, die man als Hausaufgabe problematisieren lassen kann. Der Umgang und die Reflexion digitaler Medien kann auch dann in den Unterricht gebracht werden, wenn es keine Voraussetzungen dafür gibt.“

Steckbrief


Name: Bob Blume
Schule: Windeck-Gymnasium Bühl
Fächer: Deutsch, Englisch, Geschichte
Die Schüler*innen von heute … lassen sich schwer über einen Kamm scheren. Wenn man sie ernst nimmt, ihnen Verantwortung überträgt und sie Lust haben, sich die Welt anzueignen, schlummert in ihnen enormes Potenzial.
Die Schule von morgen … schafft den Spagat, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit den Mitteln der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in gemeinsamer Arbeit zu ergründen und eine Bildung zu vermitteln, die den Einzelnen befähigt, nach seinen Interessen zu handeln.
Ich werde nie vergessen, wie … meine erste Klasse mit voller Stolz auf ihre Leistung über jenes Theaterspiel jubelte, das sie noch Wochen zuvor meinten, niemals aufführen zu können.