Bob Blume: „Das Referendariat ist ein Synonym für Dauerkritik“
Deutschlehrer Bob Blume ist ein gefragter Blogger und Twitterer. Referendar*innen liegen ihm besonders am Herzen. Ihnen hat er jetzt ein Buch gewidmet.
Herr Blume, Sie haben das „Abc der gelassenen Referendare“ veröffentlicht. Warum braucht es dieses Buch?
Bob Blume: „Ich habe seit drei Jahren mit Referendar*innen zu tun. Gleichzeitig weiß ich aus meiner eigenen Zeit im Referendariat, welche Dynamiken in der Diskussion mit den anderen Referendar*innen entstehen können. Das Referendariat ist für viele ein riesengroßer Raum unkontrollierbarer Elemente. Der Versuch, diese auf einmal zu kontrollieren, führt zu Stress. Im ungünstigsten Fall kann das bewirken, dass sich die Referendar*innen gegenseitig unter Druck setzen.
Dank meines Blogs Bob Blume habe ich diesen Bedarf für ein solches Abc deutlich vor Augen. Dort werden die ‚kontrollierbaren‘ Themen am meisten nachgelesen: Wie bereite ich den Unterricht vor? Wie schreibe ich eine Sachanalyse? und ähnliches.
Für mich war es während des Referendariats am wichtigsten, die Dinge, die auf einen einprasseln, relativieren zu können. Darüber wollte ich ein kleines Büchlein schreiben. Im besten Fall ist es ein Trostspender, nachdem man lange ausatmen kann und sich ein bisschen weniger gestresst fühlt. Das wäre perfekt!“
Welche Probleme begegnen Ihnen häufig, wenn Sie sich mit Referendar*innen – online und offline – austauschen?
Bob Blume: „Ich kann drei herausgreifen: Ein Problem ist, dass die Institution Schule nicht vorausgeplant werden kann. Dass Referendar*innen ins kalte Wasser geschmissen werden, ist eine Folge dieser fehlenden Planbarkeit. Sie haben das Gefühl, dass sie sofort zum Olympiaschwimmer werden müssen und versuchen dann, alles auf einmal zu beherrschen. Dabei kann man einfach nur scheitern.
Das zweite Problem ist, dass das Referendariat ein Synonym für Dauerkritik ist. Die wenigsten Studierenden haben während des Studiums gelernt, richtig mit Kritik umzugehen. Im Referendariat werden sie dann dauerhaft kritisiert und müssen reflektieren. Das führt zu Stress.
Schließlich kommt als drittes Problem hinzu, dass die Referendar*innen ständig im Seminar aufeinander sitzen, sodass sie sich immer miteinander vergleichen. Entweder hat ein*e Mitreferendar*in eine Stunde ganz toll vorbereitet und man selbst hat sie gerade so zusammengekriegt. Oder es werden Horrorgeschichten über andere Schulen erzählt. Dagegen kann man sich sehr schwer wehren.
Diese drei Probleme knallen Referendar*innen als große Welle vor den Kopf. Man muss lernen, damit umzugehen und zu verstehen, dass man nicht alles kontrollieren kann. Dass man einen Schritt vor den anderen setzen muss, um voranzukommen.“
Das klingt, als hätten Sie selbst auch diese Erfahrung machen müssen.
Bob Blume: „Absolut. Ich dachte, ich könnte mich von diesem Druck freimachen. Konnte ich aber nicht. Sicherlich gibt es Naturtalente, die den Druck ausblenden können. Aber ich habe vieles von dem, was ich als ex negativo in dieses Büchlein packe, auch erlebt. Im Umgang mit den Schüler*innen habe ich mich immer sehr wohlgefühlt. Aber an einem Abend in der Woche habe ich mich nicht wohlgefühlt. Das war Abend nach dem Seminartag. Das werfe ich aber niemandem vor. Es gab keine toxischen Menschen, die mir Böses wollten. Vielmehr war es diese Dynamik, dass man in einem Moment großer Hilflosigkeit, Aufregung oder Ohnmacht mit anderen spricht, denen es genauso geht. Diese Dynamik führt oft zu einer Verstärkung dieses Effekts.“
Was raten Sie Lehramtsstudierenden, damit ihr Referendariat „gelassener“ läuft?
Bob Blume: „Relativieren. Das ist das Wichtigste. Eine Stunde, die megamäßig daneben geht, bedeutet nicht, dass die Schüler*innen für ihr Leben gezeichnet sind. Relativieren bedeutet auch, dass man versucht, experimentierfreudig und offen zu bleiben und es als Chance begreift, wenn mal etwas nicht klappt. Übrigens bedeutet es auch, dass man nicht rumläuft wie der König, wenn es perfekt läuft. Ich rate dazu, immer wieder auch eine Google-Earth-Perspektive auf das einzunehmen, was man als Lehrkraft tut.
Am besten gelingt dieses Relativieren dadurch, dass man etwas anderes macht. Viele glauben, dass das Referendariat nur durch Dauerarbeit zu bewältigen sei. Da würde ich absolut nicht zustimmen. Wenn man Sport macht, sich mit anderen trifft oder mal ein gutes Buch liest, einen Film guckt oder in die Kneipe geht, gewinnt man Abstand. Man kann aus seiner Haut raus und das ist essenziell, damit man nicht am Rad dreht.“
Wer sich heutzutage nicht mit den Medienwelten der Schüler*innen auseinandersetzt, der hat im Lehrerberuf nichts zu suchen.
Wir haben bereits über Ihren Blog gesprochen. Außerdem sind Sie als Podcaster und auf Twitter, Instagram und Facebook aktiv. Meinen Sie, es ist wichtig für Lehrer*innen, sich mit dem Internet und seinen „Ausdrucksformen“ auseinanderzusetzen?
Bob Blume: „Es nicht zu tun, ist fahrlässig. Wer sich heutzutage nicht mit den Medienwelten der Schüler*innen auseinandersetzt, der hat im Lehrerberuf nichts zu suchen. Vor ein paar Jahren hätte ich das noch freundlicher formuliert. Mittlerweile ist es zu deutlich, dass die Digitalisierung, Automation und Social Media in jedem Teil unseres Alltags eine Rolle spielt, nur nicht in der Schule. Die Lösung des Problems ist nicht etwa, dass jeder mit iPads umgehen sollte. Sondern man muss sich zunächst eingestehen, dass Handys keine Telefone mehr sind, sondern Weltaneignungsassistenten. Das heißt, wenn ich mich als Lehrer bzw. Lehrerin verweigere, nehme ich einem*r Schüler*in die Chance, eine Haltung und ein Wertesystem zu entwickeln, das für alle Bereiche der Gesellschaft gilt – online wie offline.
Zentral ist, dass ein*e gute*r Lehrer*in heutzutage ein*e gute*r Lerner*in bleiben muss. Wenn man sich also dafür interessiert, was Schüler*innen tun, warum sie es tun und welche Fragen sie diesbezüglich haben, dann ist ein Riesenschritt getan. Nicht jeder muss ein Medienexperte sein. Ein bisschen beobachten, z. B. auf Twitter, ist aber nicht verkehrt.“
Wenn Sie als Referent auf Konferenzen oder Tagungen zum Thema digitale Schulbildung sprechen, was ist Ihr Eindruck: Haben deutsche Lehrkräfte Bock auf digitale Bildung?
Bob Blume: „Bereits vor drei Jahren habe ich einen Text geschrieben, der ‚Digitaler Dogmatismus und analoge Demenz‘ hieß. Darin zeige ich, dass es eine große Diskrepanz zwischen der Online- und der Offline-Lehrer*innencommunity gibt. In der Online-Lehrer*innencommunity gibt es viele, die enthusiastisch sind, sich austauschen und diskutieren wollen. Aber in einer ‚normalen‘ Schule haben nur zwei von hundert Lehrkräften mehr mit Social Media zu tun und fünf besitzen ein iPad. Die digitale Bildung ist noch nicht angekommen, aber ich spüre, dass sie langsam eine Breitenwirkung entfaltet. Das heißt, das ‚Neuland‘ wird besprochen, aber der Neuland-Begriff kann noch nicht ad acta gelegt werden.“
Sie selbst sind pro digitale Bildung. Wie wirkt sich das auf Ihren Fachunterricht aus?
Bob Blume: „Ich habe schon Themen mithilfe von Social Media umgesetzt: Z. B. habe ich mit meinen Schüler*innen ein historisches Ereignis nachgetwittert und im Deutschunterricht aus der Perspektive literarischer Figuren twittern lassen. Dafür haben wir übrigens vorab die Zustimmung der Eltern eingeholt. Aber mir geht es nicht um die Einbindung spezieller Plattformen. Es muss funktional sein, mir also eine Möglichkeit bieten, die ich sonst nicht hätte. Ein Beispiel wäre das eigenständig-verantwortliche Arbeiten, das ich mit meiner zwölften Klasse umgesetzt habe. Sie haben über sechs Wochen hinweg individuell gearbeitet, wobei sich die Schüler*innen aus einer Auswahl Themengebieten ein einzelnes Thema aussuchen konnten. Sie bearbeiteten es in Gruppen mit digitalen Werkzeugen und ich war als Lehrperson anwesend, habe Feedback gegeben, offene Fragen geklärt usw. Anschließend konnten die Gruppen das von ihnen erarbeitete Thema den anderen zur Verfügung stellen. Diese Form der Archivierung, der Präsentation und des Teilens sind für mich die Hauptgründe, warum digitale Medien und Geräte in den Unterricht gehören.“
Welche didaktische Methode würden Sie in diesem Zusammenhang gern noch ausprobieren?
Bob Blume: „Ich würde natürlich gern die Medien, die in der Lebenswelt von Schüler*innen relevant sind, im Unterricht einsetzen. Das ist aber datenschutzrechtlich problematisch. So könnte man z. B. in einer zwölften Klasse den Strukturalismus anhand von Instagram-Bildern nachprüfen. Oder man könnte untersuchen, inwiefern die Darstellung der kalifornischen Jugendkultur auf Instagram von dem abweicht, was im Lehrbuch oder im Internet steht. Wie sehen sich Jugendliche selbst bzw. wie wird auf Instagram kommuniziert? Auf den Punkt gebracht ist es das, was unter digital-affinen Pädagog*innen der Kern ihres Arbeitens ist, die 4K: Kommunikation, Kollaboration, kritisches Denken und Kreativität. So kann man und muss man auf die Gefahren digitaler Plattformen eingehen, z. B. Sogwirkung von automatisierten Videos, Grooming, Sexting. Aber diese vier zentralen Kompetenzen des digitalen Zeitalters können nur dann richtig entfaltet werden, wenn man lernt, kritisch mit Plattformen umzugehen und ihre produktive Seite kennenlernt. Das geht aber schlecht, wenn Twitter auf einer Blacklist steht und ich Twitter in der Schule gar nicht öffnen kann.
Noch ein Hinweis für Lehrer*innen, die sagen, sie haben kein WLAN in der Schule oder keine iPads in den Klassen. Auch dann kann ich einen Sascha-Lobo-Text lesen und schauen, wie Digitales mit der Gesellschaft zusammenhängt. Oder im Biounterricht YouTube-Videos verwenden, die man als Hausaufgabe problematisieren lassen kann. Der Umgang und die Reflexion digitaler Medien kann auch dann in den Unterricht gebracht werden, wenn es keine Voraussetzungen dafür gibt.“
Steckbrief
Name: Bob Blume
Schule: Windeck-Gymnasium Bühl
Fächer: Deutsch, Englisch, Geschichte
Die Schüler*innen von heute … lassen sich schwer über einen Kamm scheren. Wenn man sie ernst nimmt, ihnen Verantwortung überträgt und sie Lust haben, sich die Welt anzueignen, schlummert in ihnen enormes Potenzial.
Die Schule von morgen … schafft den Spagat, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit den Mitteln der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in gemeinsamer Arbeit zu ergründen und eine Bildung zu vermitteln, die den Einzelnen befähigt, nach seinen Interessen zu handeln.
Ich werde nie vergessen, wie … meine erste Klasse mit voller Stolz auf ihre Leistung über jenes Theaterspiel jubelte, das sie noch Wochen zuvor meinten, niemals aufführen zu können.
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Replik auf Bob Blumes Interview zu seinem Buch
Starker Tobak, den Herr Blume da präsentiert. Er ist mit seinen albernen Stellungnahmen aber ein Lieblingskind seiner Zeit. Wenn man heute als Lehrer irgendwo als vorbildlich, innovativ und schülerfreundlich gelten will, so muss man natürlich ins Horn der Digitalisierungsfanatiker stoßen. Keine Legitimierung ist zu absurd, um nicht der meist unnötigen Digitalisierung ein Loblied zu singen. Duckmäuserisch und systemkonform soll man also sein, wenn man Herrn Blume nach etwas im Lehrberuf zu suchen hat. Das geht leider schon seit einer Weile so. Kritisches Denken und Hinterfragen zweifelhafter Vorgaben sind unerwünscht. Weder die Lehrerverbände noch die entsprechenden Gewerkschaften zeigen auch nur die leisesten Ansätze von Kritik und Widerstand, wo sie angebracht wären (z.B. bei allen Maßnahmen, die einzig dem Zweck dienen, dass immer mehr Menschen Abitur machen und dabei dann auch immer bessere Noten zustande kommen). Wer sich als Lehrer dafür ausspricht, Smartphones komplett aus dem Schulalltag zu verbannen, weil diese eben nicht zum Lernen sondern in erster Linie zum Spielen verwendet werden und sich das Denken und Handeln der Schüler immer stärker auf ihr Display fokussiert, der gilt als Ewiggestriger, als Technikfeind, als Relikt. Wer aber fadenscheinige Begründungen für den Einsatz von Tablets und Smartphones im Unterricht vorbringt, wer lachhafte „Konzepte“ zur angeblich sinnvollen Nutzung der Multimediageräte im Schulalltag präsentiert, der schafft es, in irgendwelchen Zeitungsartikeln und bei Interviews als großes, wegweisendes Vorbild präsentiert oder als Lehrer des Jahres ausgezeichnet zu werden. Was gibt Herr Blume da so schön gegendert von sich? „[…] Wer sich heutzutage nicht mit den Medienwelten der Schülerinnen und Schüler auseinandersetzt, der hat im Lehrerberuf nichts zu suchen. Vor ein paar Jahren hätte ich das noch freundlicher formuliert. Mittlerweile ist es zu deutlich, dass die Digitalisierung, Automation und Social Media in jedem Teil unseres Alltags eine Rolle spielt, nur nicht in der Schule. […] Sondern man muss sich zunächst eingestehen, dass Handys keine Telefone mehr sind, sondern Weltaneignungsassistenten. Das heißt, wenn ich mich als Lehrer bzw. Lehrerin verweigere, nehme ich einem Schüler bzw. einer Schülerin die Chance, eine Haltung und ein Wertesystem zu entwickeln, das für alle Bereiche der Gesellschaft gilt – online wie offline.“
Diese ganze Passage deklassiert Herrn Blume selbst zu einer wenig fähigen Lehrkraft, doch natürlich wird eine derartige Falschaussage gefeiert, weil sie so schön in das oktroyierte Konzept passt.
Wie schon bei der ganzen Political Correctness-, inklusive Gender-, Debatte, wird hier einfach etwas behauptet und ohne jeglichen Beweis zur Tatsache erklärt. Tolles Wort: Weltaneignungsassistent. Wow! Den Unfug sollte er sich patentieren lassen. Und man nimmt den Schülern die Chance, eine Haltung und ein Wertesystem zu entwickeln.
Von welch einer Welt spricht Herr Blume da? Welche Haltungen und Werte werden mit Hilfe des Smartphones denn angeeignet?
Schüler benutzen ihr Smartphone in allererster Linie zum Zocken. Dabei spielen schon Zwölfjährige dann auch Spiele, die erst ab sechzehn oder gar achtzehn Jahren freigegeben sind. Daneben werden „lustige“ Sprüche und Bilder via WhatsApp hin und her geschickt, natürlich mit möglichst vielen Emojis, da schreiben zu anstrengend ist. Wenn getippt wird, dann ohne Rücksicht auf Grammatik und Rechtschreibung, so, wie man das dann auch in schriftlichen Arbeiten immer häufiger konstatieren muss. Es wird viel Musik mit dem Handy gehört und man schaut sich die Tweets von Leuten wie Bushido, Taylor Swift oder Kim Kardashian an. Jeder ungebildete Mensch kann zu jedem x-beliebigen Thema seine unerhebliche Meinung preisgeben. Auf privaten Facebook-Seiten kann man dann miterleben, wie Millionen Menschen ihrem ereignislosen Leben Bedeutung verleihen wollen, indem sie im Viertelstundentakt irgendwelche uninteressanten Details posten. Alles ganz wichtig und für die Etablierung eines stabilen und authentischen Wertesystems geradezu essentiell. Für die Schule wird das Smartphone manchmal auch genutzt, nämlich dann, wenn man die Hausaufgaben vergessen hat, und ein anderer die seinigen abfotografiert und in die Gruppe geschickt hat. Oder, weil der Lehrer es sagt. Junge Lehrer und Referendare lieben Smartphones. Da muss man nicht mehr so viel vorbereiten. Ich weiß gerade selbst eine Vokabel, ein historisches Datum oder einen funktionalen Zusammenhang nicht? Die Lösung lautet: „Schaut mal in eurem Handy nach.“ Super.
Das ganze Interview mit Herrn Blume ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein mehr als strittiges Thema einseitig, verzerrt und auf puren Behauptungen basierend präsentiert wird. Es ist politisch gewollt, dass ohne Sinn und Verstand digitalisiert wird. Hier geht es schließlich um ein Milliardengeschäft. Kritiker und Widersprecher werden ignoriert, verleumdet, lächerlich gemacht. Professor Manfred Spitzer galt als Koryphäe in Sachen Gehirn, einer der führenden Experten der Neurobiologie in Deutschland – bis er sich gegen die zu frühe, unreflektierte und uneingeschränkte Digitalisierung ausgesprochen hat. Von da ab wurde er plötzlich als gar nicht mehr so sachverständig angesehen und öffentlich angegriffen. Auch Josef Kraus, dreißig Jahre lang ehrenamtlicher Präsident des Lehrerverbandes, wird als anachronistischer Quertreiber gebrandmarkt, wenn er sich gegen den Digitalisierungswahn ausspricht. Sämtliche Erkenntnisse aus internationalen Studien in Schulen und Instituten werden schön ignoriert und ausgeblendet, wenn sie nicht dem politisch Gewollten entsprechen. Es gibt faktisch keine einzige Studie, die bessere Lernerfolge durch den Einsatz digitaler Medien belegt. Hingegen haben diverse Studien sogar einen negativen Effekt nachweisen können. Da aber nicht sein kann, was nicht sein darf, wird dies öffentlich kaum diskutiert. Natürlich nicht, denn die Eltern der heutigen Schülergeneration sind oft genauso handybesessen wie ihre Sprösslinge. Es wird nichts mehr gelernt, da man ja im Bewusstsein lebt, das Wissen der Welt jederzeit abrufbar mit sich herumzutragen. Bedenken, wie sie nicht nur von einzelnen Psychologen und Neurowissenschaftlern sondern auch zum Beispiel vom „Bündnis für humane Bildung“ hervorgerbacht werden, sind unbequeme Wahrheiten. Der zunehmenden Handysucht wird nicht etwas entgegengesetzt, sondern man versucht, sie schön zu reden bzw. als normal zu deklarieren. Niemand hat den Zeitgeist besser auf den Punkt gebracht als die FDP: „Digitalisierung first, Bedenken second.“
Ich persönlich besitze kein Smartphone. Ich habe kein WhatsApp und verweigere mich Twitter genauso wie Facebook. Ich wage aber zu behaupten, dass die meisten meiner Schüler Herrn Blume nicht zustimmen würden, wenn er mich sofort wegen Fahrlässigkeit aus dem Dienst entfernen lassen wollte. Meine Gegenbehauptung lautete konsequenterweise, dass Lehrer, die unreflektiert der Digitalisierungsmaschinerie das Wort reden und die Dominanz der Social Media quasi als Naturgesetzt ansehen, selbst nichts im Lehrberuf zu suchen haben. Im Rahmen der Bildungsinstitution Schule sollte das geschehen, was sonst nicht passiert: Medienkritik. Schüler sollten lernen, dass sie auch einmal ohne ihr Smartphone auskommen können, dass mit der exzessiven Smartphone-Nutzung auch soziale und psychologische Risiken verbunden sind, und dass das Leben eben nicht nur aus Spaß und Freizeit besteht. Es ist schlichtweg falsch, dass bereits Zweijährige ein Smartphone oder ein Pad in die Hand gedrückt bekommen, damit sie ruhig und beschäftigt sind. Mit diesen Geräten wurden sie übrigens auch nicht geboren, sondern sie werden ihnen von verantwortungslosen Eltern gegeben. Lehrer, die sich dem nicht entgegenstellen, handeln ebenso unverantwortlich. Grundschulkinder benötigen keine Smartphones. Die Weltaneignung sollte gerade während der Kindheit eben nicht primär über elektronische Medien erfolgen.
Herr Blume äußert weiterhin: „Das zweite Problem ist, dass das Referendariat ein Synonym für Dauerkritik ist. Die wenigsten Studierenden haben während des Studiums gelernt, richtig mit Kritik umzugehen. Im Referendariat werden sie dann dauerhaft kritisiert und müssen reflektieren. Das führt zu Stress.“
Interessant ist, was hier nicht weiter ausgeführt wird. Heutige Studenten lernen nicht, mit Kritik umzugehen, weil sie sie zu selten erfahren. Schon als Schüler erhalten sie von Eltern wie Lehrern hauptsächlich positives Feedback. Kritik ist ja so unpädagogisch. Wenn man einem Kind, welches sich erkennbar überhaupt nicht bemüht hat, erklärt, dass seine Leistung schlecht war, könnte das ja ein irreparables Trauma verursachen. Was Schüler und Studenten lernen, ist, dass sie jedwede Kritik – wie berechtigt diese auch sein mag – als Diskriminierung interpretieren können. Damit ist der Kritiker dann zum Schweigen gebracht, denn so etwas möchte sich natürlich niemand nachsagen lassen. Dir sagt jemand etwas, was dir nicht passt? Nutze die ultimative Waffe: Unterstell ihm Diskriminierung und schon hast du deine Ruhe. So läuft das in Deutschland. Eine zunehmende Zahl von Schülern und Studenten nimmt Kritik nicht an, da für sie vollkommen klar ist, dass sie alles richtig machen. Sie meinen alles gut bis sehr gut zu können und sind relativ beratungsresistent. Aus meiner langjährigen Praxis als Lehrer kann ich resümieren, dass wir uns in Berlin dem 1,3-Standard nähern. Dies ist die Abschlussnote von immer mehr Referendaren. Was noch vor zwanzig Jahren als nicht zu diskutierender Grund für das Nichtbestehen einer Examensstunde galt, ist heute alles kein Problem mehr. Sie sind erst in Phase zwei von fünf geplanten, wenn die Stunde vorbei ist? Kein Problem. Sie sind fünfzehn Minuten zu früh fertig? Egal. Sie unterfordern ihre Lerngruppe maßlos? Macht nichts. Ähnlich wie die Abiturienten mit ihren im Schnitt viel zu guten Bewertungen geht es dann auch den Referendaren. Wenn sie jahrelang erzählt bekommen haben, dass sie die besten sind und alles unglaublich toll ist, was sie tun, glauben sie dies am Ende zwangsläufig selbst. Sie halten sich dann für (fast) perfekt und können Kritik deshalb nicht annehmen. Kritik kommt allerdings viel seltener vor als es uns Herr Blume anscheinend glauben machen möchte. Wie erwähnt, machen in Berlin immer mehr Referendare sehr gute Abschlüsse, obwohl evident ist, dass einige tatsächlich ungeeignet sind für den Lehrberuf. Wieso das? Nun, wenn man über Jahrzehnte einen ganzen Berufsstand in der Öffentlichkeit diffamiert (wie zum Beispiel mit solchen literaturnobelpreisverdächtigen Werken wie dem „Lehrerhasserbuch“), darf man sich nicht wundern, wenn zu wenige diesen an sich schönen Beruf ergreifen wollen und plötzlich akuter Lehrermangel herrscht. Nun wird jeder, der sich irgendwie entscheidet, in der Schule zu unterrichten, auf Biegen und Brechen über alle etwaigen Hürden gehievt. Die meisten können sogar entspannt in die Examensprüfung gehen, weil sie schon einen Vorvertrag in der Tasche haben und wissen, dass jeder an ihrem Bestehen interessiert ist. Als in Berlin Einstellungsstopp für Lehrer war, hat man diverse Referendare durchfallen lassen. So etwas kommt heute so gut wie gar nicht mehr vor.
Ich danke Herrn Blume also für ein weiteres, anbiederndes Mainstream-Statement.