Commerçon: „Wir brauchen selbstbewusste und eigenständige Persönlichkeiten in den Schulen“
Der saarländische Bildungsminister will Schulen fit für die Zukunft machen. Das geht nur mit weniger Vorgaben von oben und mehr Freiheiten vor Ort, findet er.
1. Herr Commerçon, Sie waren im Herbst vergangenen Jahres bundesweit in den Nachrichten, da sie die Einführung des Calliope mini in den saarländischen Grundschulunterricht anstreben. Was erhoffen Sie sich von dieser Einführung? Wie läuft die Umsetzung aktuell?
Ulrich Commerçon: „Mit der Einführung des Calliope wollen wir Grundschulkindern ermöglichen, digitale Technologien zu verstehen und sie gleichzeitig bedienen zu können. Die Erfahrungen der Pilotschulen sind sehr positiv. Schon auf dem IT-Gipfel im letzten Jahr habe ich erlebt, wie viel Spaß Kinder an Calliope haben. Sie haben mir beispielsweise vorgeführt, wie sich mit dem Mini-Computer etwa Collagen mit Bild- und Tonelementen entwerfen oder Lichtschaltungen programmieren lassen. Mittlerweile haben sich schon 31 Grundschulen für die Fortbildungen, die gerade beginnen, angemeldet. Das ist weit mehr, als ich im ersten Schritt erwartet hatte.“
2. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hat fünf Milliarden für die technische Hardwareausstattung an Schulen versprochen, wenn die Länder mit didaktischen Konzepten nachziehen. Wie schätzen Sie die Bestrebungen von Frau Wanka ein?
Ulrich Commerçon: „Es war ja höchste Zeit, dass der Bund endlich anerkennt, dass er mehr zur Bildungsfinanzierung beitragen muss! Das geht also in die richtige Richtung. Seit Januar gibt es nun eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die im Verlauf des Jahres konkrete Handlungsperspektiven und Umsetzungspläne erarbeiten. Ganz wichtig ist, die Kosten für die Wartung der laufenden IT-Ausstattung und die Nutzung digitaler Bildungsmedien in den Blick zu nehmen. Die Kommunen werden diese nicht alleine tragen können. Dafür brauchen wir dauerhafte und tragfähige Finanzierungsmodelle.“
3. Was braucht es Ihrer Meinung nach, um die saarländischen Schulen flächendeckend digital zu machen? Welche Anregungen haben Sie dabei auch aus den Befragungen für das Landeskonzept zur Medienbildung erhalten?
Ulrich Commerçon: „Das wichtigste Ergebnis der Rückmeldungen zu dem Diskussionspapier „Medienbildung in saarländischen Schulen“ ist für mich, dass es eine große Bereitschaft gibt, sich um die Umsetzung, um das „Wie machen wir es?“ zu kümmern. Über 80 Lehrer und Lehrerinnen, Vertreterinnen und Vertreter der Schulträger, Elternverbände, außerschulische Institutionen u.v.m. haben sich an der Diskussionsrunde um das Landesmedienkonzept beteiligt. Dabei stand die Fortbildung der Lehrkräfte, die Vernetzung untereinander und die Entwicklung von Medienkonzepten in den Schulen im Mittelpunkt. Das sind wichtige Voraussetzungen, um digitale Bildung umzusetzen.“
4. Ist eine digitale Schule für Sie eine Selbstverständlichkeit? Welche pädagogischen Ansätze verfolgen Sie dabei?
Ulrich Commerçon: „Nein. Der Begriff ‚Digitale Schule‘ stellt auch zu sehr das Technische in den Vordergrund. Eine gute Schule setzt aber auf die individuelle Förderung, baut die individuellen Begabungen und Interessen aus, stärkt das eigenständige und selbstverantwortliche Lernen. So können Schülerinnen und Schüler zu eigenständigen Persönlichkeiten heranreifen. Technik allein kann das eigenständige Denken und vor allem die sozialen Kompetenzen nicht ersetzen.“
5. Wie garantieren Sie, dass die Lehrkräfte und Pädagoginnen und Pädagogen des Saarlands umfassend aus- und weitergebildet werden, damit diese den Anschluss an eine moderne, digitalgestützte Schulform schaffen?
Ulrich Commerçon: „Mit Beginn des neuen Schuljahres 2016/17 hat das neu geschaffene Zentrum für Medienbildung (ZfM) am Landesinstitut für Pädagogik und Medien (LPM) seine Arbeit aufgenommen. Das ZfM soll Lehrkräfte und insbesondere ganze Kollegien dabei unterstützen, ihren Schülerinnen und Schülern den Erwerb von Kompetenzen für das Lernen und Leben in der digitalen Welt zu ermöglichen. Das ZfM wird die Schulen dabei begleiten, ein medienbezogenes Schulentwicklungskonzept in das eigene Schulprofil zu integrieren. Außerdem wird bei allen Fortbildungen für alle Fächer und Themen zukünftig verstärkt darauf gesetzt, dass digitale Medien eingesetzt und mediendidaktische Gesichtspunkte vermittelt werden.“
6. Können Sie uns einige ausgewählte Beispiele aus Ihrem Bundesland nennen, an denen wir heute schon sehen können, wie Schule zukünftig mit den digitalen Gegebenheiten, der Mediennutzung der Kinder und Jugendlichen und dem Wissenstransfer umgehen kann?
Ulrich Commerçon: „Besonders beeindruckt haben mich die Preisträger des saarländischen Medienschulpreises im letzten Jahr, beispielsweise das Saarpfalz-Gymnasium. Dort wurde ein Baukastensystem zu IT-Grundkenntnissen entwickelt, das Themen wie Programmieren, Videoschnitt aber auch Präventionshilfen gegen Cyber-Mobbing beinhaltet. Viele dieser Module sind mittlerweile verpflichtend in den regulären Unterricht integriert. Besonders schön ist, dass die Schülerinnen und Schüler ihr Wissen dann im Rahmen von Workshops an Seniorinnen und Senioren weitergeben.“
7. Was wünschen Sie sich noch für Schulen?
Ulrich Commerçon: „Vor allem wünsche ich mir starke, selbstständige Schulen, die die Herausforderungen unserer Zeit anpacken und Lösungen entwickeln. Dafür bieten wir vielfältige Unterstützung an. Ich freue mich über die vielen Schulen im Saarland, die sich auf den Weg gemacht haben, um Inklusion, Ganztag, individuelle Förderung und eben Medienbildung und vieles andere mehr umzusetzen. Das kann nur im Team funktionieren. Zusammenarbeit, Vernetzung und Austausch sind die Antworten auf die zunehmende Auffächerung und Komplexität von Aufgabenbereichen in der Schule.“
8. Gibt es ein Fach, in dem Sie zu Ihrer Schulzeit gerne mehrere Medien bzw. Unterrichtskonzepte als Schüler kennengelernt hätten?
Ulrich Commerçon: „Gemessen an der damaligen technologischen Entwicklung war meine Schule schon ganz gut aufgestellt. Aber der kompetente Umgang mit den heute fast selbstverständlichen mobilen Endgeräten, die Möglichkeiten der neuesten Präsentationssoftware und vor allem die damals ungeahnten Chancen sozialer Medien hätten mich natürlich im Politik- und auch im modernen Sprachunterricht mit Sicherheit noch mehr für meine Lieblingsfächer begeistert. Und moderne Unterrichtskonzepte hätten sicher auch Geografie und Bio schon in der Schulzeit für mich spannender gemacht.“
9. Wie sieht die Schule von morgen für Sie aus?
Ulrich Commerçon: „In zwanzig, dreißig Jahren bestimmt ganz anders, als wir uns das heute ausmalen können. Was wir brauchen und unterstützen müssen, sind selbstbewusste und eigenständige Persönlichkeiten, die sich in ihrem sozialen Umfeld kooperativ und für alle bereichernd einbringen. Und deshalb ist sicher, dass Schule künftig mehr Möglichkeiten, Zeit und Raum haben wird, die Einzigartigkeit und Besonderheit jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers zu fördern. Das geht nur mit weniger Vorgaben von oben und mehr Freiheiten vor Ort.“
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© Titelbild: Ministerium für Bildung und Kultur, Saarland
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