Digital durchs Auenland – Literatur im Deutschunterricht digital begreifen
Wie kann man mit den digitalen Medien Weltliteratur im Deutschunterricht behandeln? Lehrerin Jenny Radzimski-Coltzau verrät es am Beispiel von „Der kleine Hobbit“.
Über die Autorin
Jenny Radzimski-Coltzau, Jahrgang 1979, ist Lehrkraft für Deutsch und Englisch am Franz-Stock-Gymnasium in Arnsberg. Hier ist sie für die Medienpädagogik und somit auch für die Weiterentwicklung des Medienkonzepts der Schule sowie für die Ausbildung von MedienScouts und -Counselors verantwortlich.
Mit einer sechsten Klasse habe ich im letzten Jahr als Ganzschrift J. R. R. Tolkiens „Der kleine Hobbit“ gelesen. Aus dem Kino bekannt, war die Motivation unter den Schülerinnen und Schülern entsprechend groß. So bezwangen wir gemeinsam den für eine Schullektüre imposanten Berg aus Papier.
Zeitliche Vorgaben und methodisches Herangehen
Die Unterrichtsreihe umfasste fünf Wochen, in denen wir uns jeweils vier Unterrichtsstunden lang mit dem Roman beschäftigten. Dabei wechselten sich analytische und kreative Arbeitsphasen ab. Der produktionsorientierte Ansatz sollte weitreichende Kenntnisse über die Reihe vermitteln. Außerdem sollten der Schülerinnen und Schüler ihre Kompetenzen im Umgang mit literarischen Texten verfeinern und vertiefen.
Um ein derart tiefgründiges Verständnis des Textes zu erlangen, kamen vor allem in den kreativen Arbeitsphasen digitale Medien zum Einsatz. Beamer, Dokumentenkamera, Lehrerrechner und vor allem die Smartphones meiner Hobbit-Schüler wurden als Werkzeuge genutzt, um das Textverständnis ins Zentrum des Unterrichts zu rücken. Die Gestaltung eigener Medienprodukte erzeugte eine erstaunliche Motivation und unterstützte so spürbar unsere abenteuerliche Reise auf den Pfaden der Literatur.
Anwendungsbeispiel
Um einen literarischen Text tatsächlich zu verstehen, muss der Leser oder die Leserin sich die handelnden Charaktere erschließen. In unserer Arbeit haben wir vor allem den Protagonisten Bilbo Beutlin untersucht, der er eine starke Wandlung vom durchschnittlichen und genügsamen Hobbit zu einem wahren Abenteurer durchläuft. Dafür haben wir im Laufe des Unterrichts folgende Schritte unternommen:
Schritt eins: In Gruppen untersuchten die Schülerinnen und Schüler dafür kapitelweise den Roman und suchten Zitate heraus, die die aktuelle Gefühlslage von Bilbo offenbarten. Die folgende Tabelle zeigt drei Beispiele dafür auf. In der ersten Spalte wurde der Fundort notiert, in die zweite Spalte wurde das Zitat eingetragen und in die dritten Spalte schrieben die Schülerinnen und Schüler ihre Deutungshypothese der Textstelle in Bezug auf Bilbos Gefühle.
Schritt zwei: Für die Präsentation ihrer Ergebnisse nutzten die Gruppen ihre Arbeitsblätter und die Dokumentenkamera. Wir ersparten uns das zeitraubende Anschreiben an die Tafel. Außerdem stellte die Aussicht auf eine Präsentation der eigenen, handschriftlichen Ausarbeitungen einen merkbar hohen Anreiz dar, besonders sorgfältig und sauber zu arbeiten.
Schritt drei: Jeder Schüler und jede Schülerin übernahm die Arbeitsergebnisse der anderen Gruppen in die eigene Tabelle und konnte so die unterschiedlichen Entwicklungsstadien des Protagonisten nachvollziehen.
Transferleistung: Ein eigenes Medienprodukt erstellen
Um sicherzustellen, dass die Schülerinnen und Schüler die Wandlung von Bilbo verinnerlicht hatten, sollten sie im Anschluss in Gruppen je ein Standbild zu einem der Zitate formen. Für diesen Arbeitsschritt wurden die Zitate neu zugewiesen. Nachdem die Schülerinnen und Schüler sich ausgetauscht und ausprobiert hatten, nahmen sie das Standbild mit der Kamera ihrer Smartphones auf. Einige gingen dafür nach draußen und nutzten den an unsere Schule grenzenden Wald als Kulisse. Wenn es sinnvoll erschien, ergänzten einige Gruppen noch Sprechblasen oder veränderten die Farben, bevor sie die Bilder in der Klassen-WhatsApp-Gruppe teilten. Im Unterrichtsraum konnten wir dann gemeinsam die Bilder und ihre Bildsprache betrachten und besprechen. Gegebenenfalls modifizierten einige Gruppen anschließend ihre Darstellung und schickten mir die überarbeiteten Resultate. Zu Hause druckte ich die Werke der Schülerinnen und Schüler aus und kopierte sie. So konnte jeder Schüler und jede Schülerin das zum Entwicklungsstadium des Protagonisten passende Bild in die noch verbliebene Tabellenspalte kleben. Exemplarisch zeige ich oben ein verfremdetes Bild, das im Unterricht entstanden ist.
Resümee
Der Einsatz digitaler Medien im Deutschunterricht ist an vielen Stellen sinnvoll und unterstützend. Die motivierende Wirkung der Medien aktiviert dabei insbesondere auch schwächere oder stillere Schülerinnen und Schüler, die in kooperativen Lernformen bei der Erstellung von Medienprodukten engagiert mithelfen. Das Nutzen schülereigener Geräte empfiehlt sich, weil diese zu großer Zahl vorhanden und technisch mehr als ausreichend sind. So reduziert sich der organisatorische Aufwand für die Lehrkraft merklich. Beim gezielten Einsatz im Unterricht lernen die Schülerinnen und Schüler ihre Smartphones als Werkzeug von einer ganz anderen Seite kennen. Schulisch begleitet entwickeln sie so ihre Medienkompetenz weiter. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang das gemeinsame Besprechen der Medienprodukte und die Möglichkeit der Überarbeitung. In meinem Beispiel wurde so auch der Bereich Wirkung von Farb- und Formsprache thematisiert.
Unsere digital unterstützte Wanderung durchs Auenland hat allen, den Schülerinnen und Schülern und mir, sehr viel Spaß gemacht. Ich bin davon überzeugt, dass der bewusste Medieneinsatz die Auseinandersetzung mit dem literarischen Text erheblich unterstützt hat. Durch die erstellten Medienprodukte wurde dies in beeindruckender Weise dokumentiert.
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Ich finde, dass das eine sehr schöne Idee für den (Deutsch-) Unterricht ist. Vor allem weil ein aktuelles Werk behandelt wird, sind die SuS bestimmt entsprechend motiviert.
Im Hinblick auf die Nutzung der eigenen Smartphones sehe ich jedoch einige gravierende Probleme, die ich in diesem Artikel sehr „beschönigt“ dargestellt finde. Als Referendarin habe ich während meines Studiums immer wieder und eindringlich erklärt bekommen, dass man zB die Nutzung des eigenen Smartphones auf keinen Fall unterstützen soll. Wie soll man denn gewährleisten, dass die SuS während der Bilderstellung ihre Handy nicht dazu nutzen um zB per WhatsApp zu kommunizieren, im Internet zu surfen, etc. Das würde mich doch sehr interessieren!
Herzliche Grüße und danke für diesen anregenden Beitrag!
Liebe Anne,
ich habe deine Frage noch einmal an Jenny Radzimski-Coltzau weitergeleitet. Hier ist ihre Antwort:
„Vielen Dank für Ihre Rückmeldung! Tatsächlich begegnet auch mir die Meinung und Sorge Ihrer Fachleiter von Zeit zu Zeit. Meiner Erfahrung nach besteht hierfür aber kein Grund, denn in den Zeiten, in denen die schülereigenen Geräte _konstruktiv_ in den Unterricht eingebunden sind, reduziert sich die ohnehin im Schulalltag auftretende heimliche Nutzung deutlich.
Während der Diskussionsphasen können die Schüler die Geräte mit dem Display nach unten und auf lautlos gestellt auf den Tisch legen, um Ablenkung zu vermeiden. In den Arbeitsphasen haben Sie es als Lehrkraft durch die Steuerung der Arbeitsprozesse zusätzlich in der Hand, wie beschäftigt die Schüler mit ihren Aufgaben sind. Und schließlich: Der Vorteil bei der Arbeit mit digitalen Medien ist doch, dass in den meisten Fällen ein Schülerprodukt entsteht, das später ins Zentrum das Unterrichts gestellt wird. Ist dies für jeden transparent, steigen sowohl die Motivation als auch der Ehrgeiz, ein überzeugendes Produkt vorzubereiten und zu präsentieren. Außerdem ist meine Erfahrung, dass sich der Hype um die Smartphones sehr schnell legt, wenn diese konsequent als Werkzeuge betrachtet und eingesetzt werden. Dies bietet die große Chance, die Geräte von einer anderen Seite kennenzulernen und ihre Bedeutung für den Alltag neu auszuloten und ggf. sogar zu relativieren.
Herzliche Grüße!“
Viele Grüße
Virginia
vom sofatutor-Magazin