Inklusion: Warum es die Finnen wieder besser machen!
Inklusion – festgeschrieben in Artikel 24 der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, wurde 2009 von Deutschland ratifiziert. Seitdem zählt Inklusion auch hierzulande zu den Menschenrechten. Dahinter steht der Gedanke, Schulen zu schaffen, die alle Kinder aufnehmen und gemeinsam unterrichten, ob mit Behinderung oder nicht. Doch Deutschland tut sich damit schwer, ist verunsichert und „Inklusion“ scheint immer noch ein Modewort zu sein. Im folgenden Artikel soll am Bildungsvorzeigeland Finnland aufgezeigt werden, wie Inklusion anders, effizienter und schneller gelingen kann.
Ein Recht aber keine Pflicht
Förderschulen gibt es seit 2009 in Deutschland weiterhin. Nach und nach wird der besagte Artikel 24 in Landesgesetze verwandelt. Doch das Thema Inklusion hat nicht nur Befürworter. Der Gedanke und die Umsetzung Kinder mit und ohne Behinderung trennen zu wollen, hat weiterhin Bestand. Denn das Gruppieren in Sachen Bildung hat in Deutschland bisher Methode. Neben der schon umstrittenen dreigliedrigen Regelschule, gibt es acht, in manchen Bundesländern sogar zehn verschiedene sonderpädagogische Richtungen – sei es der Förderschwerpunkt Sehen, Hören oder Sprechen, der für geistige oder sozial-emotionale Entwicklung usw. Kein anderes Land der Welt unterhält ein so ausgebautes Sonderschulwesen. Wir sortieren gerne. Der Streit über die Inklusion geht tief, bis an die Basis: Ist die Gruppierung in verschiedene Schulformen wirklich so falsch? Ist es richtig, die Trennung irgendwann gänzlich zu beenden?
Finnland – wieder einen Schritt voraus
Wir haben es also nicht ganz so eilig in Sachen Inklusion und haben scheinbar auch noch keine pauschale Antwort darauf, wie wir wirklich dazu stehen. Ein Land, das nicht nur in Pisa Vorreiter ist, sondern auch einen Weg zeigt, wie dem Thema Inklusion erfolgreich begegnet werden kann, ist Finnland. Finnland hat in den letzten 30 Jahren rund zwei Drittel seiner Sonderschulen abgeschafft. Der Förderunterricht besteht aber weiterhin in sogenannten Tupa (finnisch für „Schutzraum“). Die Zahl der Schüler, die einer speziellen Unterstützung bedürfen, ist aber größer denn je. Denn in den UN-Vorgaben geht es auch nicht darum, alle Schüler, von hochbegabt bis geistig behindert, jederzeit gemeinsam zu unterrichten. Finnland hat das verstanden und schlägt in Sachen Inklusion einen Mittelweg ein.
Ein System von Spezialpädagogen
In Finnland wird jedem Jahrgang ein Psychologe, ein Sozialarbeiter, ein Laufbahnberater und eine Krankenschwester bzw. ein Krankenpfleger, sowie ein Zivilbeamter zugeordnet, die auch Mitglieder der Förderkonferenzen sind. Jeder Schüler wird auf Lernschwierigkeiten getestet, bekommt Nachhilfepläne zugeordnet und wird durch die umfassende Förderstruktur begleitet.
Die Unterstützung im regulären Unterricht steht jedoch im Mittelpunkt. Wer im Klassenverbund nicht mitkommt, wird gezielt gefördert, im Tupa, mit anderen Schülern und einem Speziallehrer. Diese Förderung scheint zu fruchten, denn die meisten kehren nach ein paar Monaten in ihre Klasse zurück. Ist dies nicht möglich, gibt es eine weitere Förderstufe, in der die Schüler einen eigenen Lehrplan bekommen und von den allgemeinen curricularen Anforderungen und Zielen befreit werden.
Hier wurde schnell die Kritik laut, dass diese Form genauso stigmatisierend ist. Doch wenn die Hälfte der Erstklässler bereits in den Förderunterricht geht, weil das Ziel verfolgt wird, dass bis zur zweiten Klasse jeder Schüler das fließende Lesen und Schreiben verinnerlicht haben soll, können die Finnen jener Stigmakritik einiges entgegenhalten.
Begleiten, erkennen, fördern – bereits vor der Schule
Der in Deutschland oft vorherrschenden Meinung einiger Befürworter, den Unterricht einfach zu individualisieren, um förderbedürftigen Kindern entgegen zu kommen und Sonderschulen den Rücken kehren zu können, steht man in Finnland kritisch gegenüber. Dort werden schon vor Beginn der Schulzeit regelmäßige Tests durchgeführt und es wird auf frühe und kontinuierliche Förderung gesetzt. Das Ganze nennt sich Neuvola: Ab 1994 wurden alle Städte und Kommunen in Finnland gesetzlich verpflichtet, ein Neuvola-System für die Schwangerschaftsvorsorge und Vorsorgeuntersuchungen für Kinder bis zum Schuleintritt zu garantieren. Von der Babyausstattung über medizinische Betreuung bis zur Beratung in erzieherischen, psychischen und sozialen Entwicklungsfragen. Das Konzept ist kostenlos und erfährt eine fast hundertprozentige Akzeptanz in Finnland. So können frühzeitige Behinderungen oder Entwicklungsstörungen erkannt und betreut werden.
Und so schließt sich der Kreis
Nicht nur in Sachen Inklusion scheinen die Finnen die Nase vorne zu haben. Bei Pisa-Tests und Schulleistungsstudien schneiden sie schon lange vorbildlich ab. Und hier zählt auch nicht die beliebte Finanzspritzenausrede, denn in Finnland wird nicht mehr Geld als in Deutschland in Bildung investiert. Einer der Erfolgsgründe liegt in der Zusammensetzung der Schülerschaft, die, wie auch die Gesamtbevölkerung, sehr homogen ist.
Titelbild: ©iStock.com/phatscrote
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Man lese dazu auch mal folgenden Artikel …
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-fleischhauer-ueber-inklusion-an-schulen-a-975644.html
Sollte nicht das vorletzte Wort der Ausführungen „heterogen“ statt „homogen“ lauten? Ansonsten macht das Gesagte bzw. Geschriebene wenig Sinn.
Sie sollten dabei aber nicht vergessen, dass die Finnen in sprachlicher Hinsicht Finnland völlig homogen sind. Es gibt so gut wie keine kulturelle sowie sprachliche Diversität. Allein das erleichtert den Unterricht ungemein, weil mehr Zeit für das Wesentlich bleibt. Von daher finde ich es extrem unwissenschaftlich, wenn Finnland als Modell für good practice herangezogen wird. Wenn man das tut, dann muss man den Kontext des Modells besser beschreiben! Und das ist nun einmal kein multikultureller Kontext! Aber das wird von jenen, die Finnland als Modell hervorheben immer verschwiegen.