Ocean College: Als Lehrer auf einem Schiff um die Welt

Für sechs Monate ist Deutsch- und Geschichtslehrer Otto Hofmann mit 34 Schüler*innen unterwegs auf hoher See. Von Amsterdam bis in die Karibik erleben sie spannende Abenteuer – und pauken Schulstoff. Ein Reisebericht.

So klappt's mit dem Lernen – jetzt im Video anschauen!

Ich schreibe von etwa 800 nautische Meilen hinter der kapverdischen Insel Saó Antao, also mitten auf dem Atlantik. Um unser Schiff herum ist nur der Ozean und dies schon seit mehreren Tagen. Als Lehrkraft an Bord der Regina Maris bin ich zum ersten Mal Teil des Projekts Ocean College.
Das Ocean College ist ein „Auslandsjahr“ mal anders. In sechs Monaten werden 11.000 Seemeilen auf dem Traditionssegler Regina Maris zurückgelegt. 15 verschiedene Reiseziele werden zwischen Amsterdam und der Karibik angesteuert. Neben dem Schiffsalltag und den notwendigen Pflichten lernen die Schüler*innen angepasst an ihre aktuelle Umgebung: Mathe findet an Deck statt, sie lernen die Schiffskoordination mit dem Sextanten und erfahren mehr über den Kaffeehandel auf Costa Rica.
Unsere 34 Schüler*innen sitzen, trotz des Abenteuers, in verschiedenen „Klassenzimmern“ und arbeiten an Aufgaben in Naturwissenschaften, Deutsch, Spanisch, Geschichte und Mathematik. Wer etwas lernen möchte, braucht dazu keine besonderen Räume oder Einrichtungen, sondern nur den Willen, sich etwas Neues anzueignen.

Unterricht an Deck_OceanCollege Unterricht an Bord |© Ocean College

Gratis Zugang für Lehrkräfte
Jetzt informieren

Keine „normalen“ Schultage

Der Unterricht findet nicht nur in den Morgenstunden statt, sondern verteilt sich über den ganzen Tag. Der Samstag wird für zusätzliche Übungen und Nachhilfe genutzt. Die Schüler*innen sind in vier Wachsysteme eingeteilt und haben im Wechsel Wache (Aufgaben zur Schiffssteuerung und Bewachung), Schule (kleine Gruppen von circa fünf bis acht Personen), Kochen und Putzen. Die Schiffswache und die Unterrichtszeiten müssen einander angepasst werden. Die Lehrer*innen haben keinen „normalen“ Arbeitsalltag, wenn eine Lehrkraft diesen überhaupt hat. Es sind insgesamt fünf Lehrer*innen an Bord, die alle Grundfächer abdecken.

Otto und Martha_Ocean College Otto und Martha |© Ocean College

Durch die Zusammenarbeit mit dem Campus im Stift Neuzelle haben wir ein Rahmencurriculum, an dem wir uns orientieren. Dazu wurden vorab mit jedem*r Schüler*in Gespräche für die individuellen Lernziele geführt.

Individuelles Arbeiten mit den Schüler*innen

Für mich ist das eine ganz neue Erfahrung des Lehrens. Da die Lehrkräfte und die Schüler*innen in einer Gemeinschaft an Bord leben, entsteht eine andere Lehrer-Schüler-Beziehung. Ich kann mit den Fünfzehn- bis Achtzehnjährigen viel individueller arbeiten, als es auf dem „Festland“ möglich ist. Der Unterricht kann in Kleingruppen an die Anforderungen der Kinder angepasst werden.

Helfen_Ocean College Helfen |© Ocean College

Oder jede*r Schüler*in macht in Mathe den Stoff, der abgesprochen wurde. Durch die kleinen Gruppen ist es möglich, dass z. B. Lisa Mathe der neunten Klasse macht und Dominik Mathe der zehnten Klasse. Oder es werden Inhalte vermittelt, die stufenunabhängig sind, z. B. was bedeutet die Geschwindigkeit Knoten, wie rechnet man das Kilometer pro Stunde um.

Mathe an Deck_Ocean College Mathe an Deck |© Ocean College

Lernen als positiver Bestandteil des Alltags

Der Unterricht wird neben den vielen Reiseerlebnissen und den Segelerfahrungen zu einem ganz positiven Lebensbestandteil. Die Schüler*innen verknüpfen mit dem Lernstoff ein Ereignis, was zu größeren Lernerfolgen führt. Selbst wenn es nüchterner Deutschunterricht an Deck ist. Er findet auf einem Schiff statt, nicht in der Schule auf einem harten Stuhl. Es gibt immer Abwechslung. Der Schultag erstreckt sich nicht über acht Stunden, sondern sieht eher so aus: Ein Schüler hat zwei Stunden Deutschunterricht, anschließend Geschichte, ist dann zuständig fürs Kochen und Putzen und hat abends nochmal zwei Stunden Geo. Ich beobachte dadurch eine ganz andere Lernmotivation, fernab der „unangenehmen Institution Schule“. Ich kann fast keine Unterrichtsstörungen durch Schüler*innen feststellen. Wenn überhaupt stören nur äußere Umstände, wenn wir die Segel setzen müssen oder es Zeit für das Mittagessen ist.
Für mich als Lehrer ist es eine starke Umgewöhnung, den Unterricht auf See vorzubereiten. Ich arbeite mit den Dingen, die ich im Vorfeld organisiert habe oder muss oft eben improvisieren. Der Lernerfolg der Kinder wird jedoch viel klarer und direkter zurückgemeldet, und das von beiden Seiten.

Praxisnaher Unterricht

Alle Lehrer*innen an Bord planen den Unterricht sehr praxisnah, sodass die Schüler*innen den direkten Sinn im Lernen und Handeln erkennen. Zum Beispiel konnten wir eine Situation an Bord für den Bio-Unterricht verwenden: Das Schiff fuhr vor Kurzem durch einen Strom fliegender Fische, wobei ein Fisch an Deck verendet ist. Dieser Fisch wurde dann zum Sezieren und reellen Zeichnen verwendet.

Obduktion Fliegender Fisch_Ocean College Obduktion Fliegender Fisch |© Ocean College

Der Verzicht auf Wochenende und Privatsphäre

Ein*e Lehrer*in auf hoher See muss flexibel mit den Arbeitszeiten sein und den Verlust von Wochenenden und Privatsphäre in Kauf nehmen. Man sollte eine gewisse Begeisterung für das Segeln mitbringen und generell ein abenteuerlustiger Mensch sein.
Der Lohn sind begeisterte Jugendliche, die nicht nur in der Bildung, sondern auch in der persönlichen Reife einen großen Fortschritt machen und mit denen man gemeinsam die Reise des Lebens erleben kann.

Einzelunterricht_Ruediger Stoehr und Nora_Ocean College Einzelunterricht |© Ocean College

Das Ocean College sucht Lehrer*innen, die auf der nächsten Fahrt dabei sein möchten. Mehr Informationen finden Sie hier: http://oceancollege.eu/de/jobs/

Alle Bilder und Titelbild: © Ocean College