Schulformen: verschiedene Welten
Hochangesehene Gymnasien einerseits und Brennpunktschulen andererseits – warum ist die Schere innerhalb unseres Bildungssystems so groß? „Frau mit Klasse“ führt eine kleine Untersuchung am Beispiel Berlins durch.
Einheitliche Bedingungen für Schüler*innen?
Der Wunsch nach mehr Einheitlichkeit im deutschen Schulsystem ist groß. Dennoch kann man von 16 verschiedenen Bildungssystemen sprechen, denn Bildung ist in Deutschland Ländersache.
Wie soll man die Bedingungen also vereinheitlichen? Die Antwort ist ganz einfach: Unter den aktuellen Voraussetzungen meiner Meinung nach gar nicht.
Bildung in der Hauptstadt
Um diese Aussage zu unterlegen, muss ich nicht einmal das ganze Land einbeziehen – konzentrieren wir uns auf Berlin. Hier lebe ich und bin, ebenso wie viele andere Lehrkräfte, an einer Schule tätig.
Nach zweijähriger Arbeit in diesem Bundesland habe ich schnell festgestellt, dass uneinheitliche Bedingungen nicht nur in verschiedenen Bundesländern zu erkennen sind. Es genügt schon, den Blick auf eine einzelne Stadt zu richten. Die Rede soll hier nicht vom Engagement der Personen sein, die in der Bildung tätig sind. Es geht eher darum, dass ich darüber nachdenke, wie unterschiedlich die Schulen innerhalb der Hauptstadt sind.
Wissbegierige Gymnasiast*innen
Die Differenzen zeigen sich nicht nur innerhalb der unterschiedlichen Bedingungen, die an Schulen herrschen, sondern auch bei den Schüler*innen und deren Bedürfnissen selbst.
Vor einiger Zeit nahm ich mit Jugendlichen der Regelschule, an der ich noch bis vor kurzem gearbeitet habe, an einem Wettbewerb teil, der sich mit Brettspielen beschäftigte. An diesem Tag hatte ich die Möglichkeit, eine Bandbreite verschiedener junger Menschen zu beobachten und mich mit ihnen zu unterhalten. Die meisten kamen vom Gymnasium und trugen stolz den dazugehörigen Pullover mit Emblem. Die Schüler*innen waren sehr freundlich, wissbegierig und konzentriert bei der Sache. Beeindruckend fand ich, dass sich kaum jemand mit dem Handy beschäftigte, sondern die volle Konzentration auf dem Spiel lag. Solche Schüler*innen unterrichte ich aktuell nicht.
Medienbegeisterte Sonderschüler*innen
Wenn ich meine derzeitigen Schüler*innen mit denen aus meiner Brettspiel-Erfahrung vergleiche, könnten erstere an einem solchen Wettbewerb wahrscheinlich kaum teilnehmen. Denn ihre Konzentrationsfähigkeit würde nicht so weit reichen. Zudem könnten sie mit einem Misserfolg vermutlich nur schwer umgehen. Sie spielen zwar auch, aber lieber mit dem Handy oder der Playstation als analog auf einem Brett. „Können wir YouTube gucken?“, ist eine sehr beliebte Frage in meinem Unterricht. Wenn ich diese verneine, ist die Reaktion häufig Unmut. „Ihr seid hier immer noch in der Schule“, sage ich dann. Es geht nicht darum, dass YouTube nicht die passenden fachlichen Inhalte bietet. Vielmehr zielt meine Argumentation darauf ab, dass es meine oberste Priorität ist, dass ich meine Schüler*innen zu einem sozialen Engagement bewegen möchte. Überhaupt dazu, am Unterricht teilzunehmen.
Im Vergleich dazu dürfte diese Form der Interaktion für die Gymnasiast*innen nach meiner Erfahrung kein Problem darstellen. Und so ist es sehr schwierig, eine Schnittstelle zu finden. Natürlich gibt es aber auch wissbegierige Sonderschüler*innen und medienbegeisterte Lernende auf Gymnasien.
Ein Blick auf unterschiedlichste Schulformen und deren Ausstattung
Neben Sonderschulen und Gymnasien gibt es Gemeinschaftsschulen, Integrierte Sekundarschulen (ISS), Grundschulen, Oberstufenzentren und weitere Schulformen in Berlin – ein wahrlich vielfältiges Angebot, welches natürlich auch Chancen bietet. Manche davon sind top ausgestattet mit Smartboard, Beamer und WLAN-Zugang. Andere nutzen die bewährte Kreidetafel. Natürlich ist das oft auch eine Frage des Geldes, doch da fängt es schon an: Wenn allein die Ausstattung der einzelnen Schulen in den verschiedenen Bezirken und somit die Möglichkeiten, die einem zum Unterrichten zur Verfügung gestellt werden, so unterschiedlich sind, kann man dann vom Streben nach einheitlichen Bedingungen für alle sprechen?
Im Zeitalter der Medien ist es natürlich schön, wenn man die Option hat, Schüler*innen im Unterricht etwas bildhaft zu veranschaulichen. Doch längst nicht an jeder Schule kann man medienorientiert unterrichten. Meine Erfahrung beschränkt sich bisher auf die beiden angesprochenen Schultypen. Wie sieht es an einer ISS oder einem Oberstufenzentrum aus? Auch hier wird es innerhalb derselben Schultypen große Unterschiede geben. Ich glaube, dass die Bandbreite unglaublich groß ist, ebenso wie die Vielfalt der Menschen in ihnen selbst. Gerade das macht es interessant, aber fordert auch heraus.
Was kann man tun?
Wenn wir die Schulbildung vereinheitlichen wollen, müssen wir an einer anderen Stelle ansetzen. Lassen Sie mich kurz von optimalen Bedingungen ausgehen:
Finanzielle Mittel sollten in die Schulen fließen, damit wir sie nicht nur besser ausstatten, sondern auch effektiver den Kindern und Jugendlichen zuliebe arbeiten können. Es ist beispielsweise eine enorme Herausforderung, Schüler*innen mit Förderschwerpunkt neben sehr leistungsstarken Schüler*innen zu unterrichten. Erst recht, wenn man eigenverantwortlich in einer Regelklasse mit circa 28 jungen Menschen lehrt.
Selbstredend muss man als Lehrer*in multitaskingfähig sein, jedoch ist das, was geleistet werden SOLL, nicht immer umsetzbar. Differenzierter Unterricht ist heutzutage das A und O. Ein Kind, das sehr langsam arbeitet, weil es z. B. den Förderstatus „Lernen“ hat, sollte vereinfachtes Material bekommen. Im Gegensatz dazu sollte man für das Kind, das schon nach kurzer Zeit seine Aufgaben komplett bearbeitet hat, einen Plan B in der Tasche haben. In solchen Fällen ist eine reguläre Doppelsteckung (zwei Lehrkräfte kümmern sich gemeinsam um eine Klasse) sinnvoll.
Doch in Zeiten des Lehrer*innenmangels sind diese Aspekte wohl Wunschdenken. Kindern und Jugendlichen mehr Möglichkeiten zur Entfaltung zu bieten – das sollte unser Ziel sein. Denn auch wenn Schüler*innen aus verschiedenen Welten kommen und die Schere enorm groß ist, ist Bildung unser höchstes Gut und diejenigen, die wir fördern, unsere Zukunft. Das sollten wir niemals vergessen.
Titelbild: © Hi-Point/shutterstock.com
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