Wenn Schüler eh Rapper werden wollen ‒ eine bloggende Lehrerin erzählt
Lea Feynberg heißt nicht Lea Feynberg. Das ist nur ihr Name, wenn Sie in ihrem Blog und ihrem 2013 erschienenen Buch über Ihren Alltag als Lehrerin einer Sekundarschule schreibt. Mit uns sprach sie über das Schreiben und das Vertrauen in ihre Schüler.
Auf Ihrem Blog Ich werd’ sowieso Rapper schreiben Sie über die Herausforderungen im Schulalltag, über Ihre Schülerinnen und Schüler, über Ihre Gedanken. Wie sind Sie auf die Idee eines Blogs gekommen?
Lea Feynberg: „Kurz nachdem ich mein 2. Staatsexamen in der Tasche hatte, bekam ich auch schon eine eigene Klasse. Alles war sehr aufregend. An einem Schultag passiert so viel ‒ Gutes, Schlechtes, Witziges, Trauriges. Bis vor Kurzem hatte man noch 12 Stunden Unterricht. Plötzlich trägt man die Verantwortung für 26 Jugendliche, ist für die Vermittlung von Wissen, Liebeskummer, Aufwecken, Schwänzen oder gewalttätige Ausbrüche zuständig. Man korrigiert, lehrt, lernt, führt Elterngespräche, plant Ausflüge, organisiert den Klassenrat. Man erhält sehr viel Dankbarkeit und oft auch Ablehnung. Ich wollte das alles loswerden, ich wollte reden, anderen von meinen Erlebnissen erzählen, mir aber auch Rat holen. Irgendwann sagten meine Familie und Freunde: ,Lea, hast du auch andere Themen, über die wir sprechen können? Da wo du bist, ist auch Schule.’ Also musste ich meine Gedanken und Fragen auf eine andere Art umsetzen. Bekanntlich ist das Papier geduldig.”
Sie schreiben unter einem Pseudonym. Wurden Sie trotzdem schon einmal auf Ihren Blog angesprochen?
Lea Feynberg: „Von meinen Schülern wurde ich zum Glück noch nicht auf den Blog oder das Buch angesprochen. Einige Kollegen wissen von dem Blog, weil ich ihnen von meinem Hobby erzählt hatte. Nicht, weil sie mich erkannt haben. Meine Geschichten könnten in jedem deutschen Klassenzimmer stattgefunden haben. Es gibt fast überall dieselben Probleme und Herausforderungen.”
Dann sind Ihre Leserinnen und Leser größtenteils auch Lehrerinnen oder Lehrer?
Lea Feynberg: „Meine Leser sind genauso unterschiedlich wie meine Schüler. Es sind Frauen, Männer, Lehrer, Eltern, Großeltern, Jugendliche, Akademiker und Nichtakademiker.”
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von ihnen?
Lea Feynberg: „Durch meine Erzählungen bekomme ich viel Anerkennung, die wir Lehrer sonst nur selten spüren. Viele halten unseren Beruf weiterhin für einen Halbtagsjob, versüßt mit den zahlreichen Ferientagen. Von meinen Lesern höre ich, wie viel Respekt und Achtung sie vor meiner Arbeit haben. Die meisten von ihnen würden es keine ganze Schulstunde in meiner Klasse aushalten. Und in vielen anderen Klassen auch nicht. Endlich verstehen die Menschen, dass der Lehrerjob kein Halbtagsjob mehr ist. (War er das jemals?) Dieses Lob tut unheimlich gut und bestärkt mich.”
Steckbrief
Name: Lea Feynberg
Schule:
Eine kleine Schule mit vielen großen Persönlichkeiten, viel Engagement und Kollegen, die nicht verlernt haben zu lächeln.
Fächer:
Viel mehr als ich studiert habe.
Die Schülerinnen und Schüler von heute sind … toll. Ich kenne ja auch keine anderen.
Die Schule von morgen … braucht mehr Geld als sie jetzt zur Verfügung hat.
Was ich nie vergessen werde: Es gab sooo viele Momente, die die Schule liebens- und lebenswert machen! Und mit Sicherheit wird es noch mindestens genauso viele geben.
Und dann ist aus Ihrem Blog Ihr gleichnamiges Buch entstanden?
Lea Feynberg: „Ja, irgendwann haben immer mehr Leute mein Blog gelesen. Sie alle sagten, sie würden meinen Blog sehr gerne lesen, sich auf jede neue Geschichte freuen und wünschten sich mehr. Des Weiteren hatte ich mich immer gefragt: ,Warum ist aus mir, einem Migrantenkind, etwas geworden?’; ,Warum sprechen meine Eltern Deutsch und arbeiten?’; ,Warum klappt diese Integration bei zahlreichen anderen Familien nicht ebenfalls so gut, wie bei uns?’ So entstand die Idee für den zweiten Teil des Buches.”
Inwiefern mussten Sie die Erzählungen für das Buch verändern, damit sich niemand wiedererkennt?
Lea Feynberg: „Die Namen, das Herkunftsland, manchmal das Geschlecht und andere kleine Details mussten geändert werden. Zum einen spielen sie aber gar keine Rolle. Mir ging es darum zu zeigen, dass jeder dieser Jugendlichen eine tolle Persönlichkeit und teilweise nur das Opfer diverser Umstände ist. Jeder von ihnen hat eine Chance ‒ und manchmal auch zwei ‒ verdient, um zeigen zu können, was in ihm steckt. Egal, ob Mädchen oder Junge. Egal, ob seine Ursprünge in Deutschland, Libanon oder der Türkei liegen. Zum anderen würde wahrscheinlich die Mehrheit meiner Kollegen sagen: ,Die sind ja wie meine Schüler! Ich habe auch so einen Abdul und so eine Isabel in meiner Klasse.’“
Sie scheinen, das Vertrauen in die Fähigkeiten Ihrer Schülerschaft jederzeit zu bewahren, obwohl es, Ihren Geschichten zufolge, sicher nicht immer einfach ist.
Lea Feynberg: „Ich habe einen sehr dankbaren Beruf, wahrscheinlich den dankbarsten überhaupt. Man bekommt unheimlich viel zurück von den Kiddies. Ich nehme sie ernst und sie nehmen mich ernst. Ich liebe es, mit ihnen zu lachen, ihren Geschichten zuzuhören und von meinem Leben zu erzählen.”
Selbst nach der Schule sind Sie für Ihre Schülerinnen und Schüler noch erreichbar, denn sie besitzen Ihre private Handynummer. Warum?
Lea Feynberg: „Ich bin nicht rund um die Uhr erreichbar. Die Kiddies wissen, dass sie mich bis 19 Uhr anschreiben können. Ich antworte, wenn ich Zeit habe und wenn es wirklich wichtig ist. Das funktioniert. Zwei Handys zu haben, ist mir zu anstrengend und zwei Smartphones zu teuer. Schließlich ist die gute alte SMS schon fast ausgestorben, wir kommunizieren fast ausschließlich über WhatsApp. Das ist ein großes Zeichen von Vertrauen, das ich meinen Schülern entgegenbringe. Sie wissen es und missbrauchen mein Vertrauen nicht. Ich werde auch nur selten angeschrieben, wenn, dann meistens wegen eines Referats oder organisatorischen Dingen. Diese Kiddies haben keinen zu Hause, der ihnen bei der Vorbereitung des Referates hilft oder ihnen zeigt, wie man eine Bahnverbindung rausfindet. Deswegen tue ich es. Wer an so einer Schulform arbeitet wie ich es tue, muss damit rechnen, dass er nicht nur Lehrer ist und der Kontakt zu den Schülern nicht um 13:30 Uhr abbricht.”
In Ihrem Blog erzählen Sie auch von Ihrer Stellensuche. Eigentlich müssten sich die Schulen um eine so engagierte Lehrerin reißen. Aber Sie haben zwischenzeitlich eine Bewerbung nach der nächsten geschrieben. Was würden Sie denjenigen raten, die sich in ähnlicher Situation befinden?
Lea Feynberg:
„Vielen Dank für das Kompliment! Die Behörden und der Bildungsföderalismus nehmen einem viel Kraft und lassen einen oftmals verzweifeln. Man muss versuchen, nicht aufzuhören, an sich selbst zu glauben und sich immer wieder zu sagen, dass man eine gute Lehrerin sowie ein guter Mensch ist. In einer Welt, in der oftmals nur die Note oder die Fächerkombination zählt und in der man lediglich eine Personalnummer ist, kann dieses Vorhaben allerdings einige Male scheitern. Leider.”
Ich werd‘ sowieso Rapper ‒ Erfahrungen einer gut gelaunten Lehrerin
von Lea Feynberg
»Sind Sie eigentlich auch Kanake?
„Ab und an wird auch Lea Feynbergs Familie Gegenstand des Unterrichts: »Frau Feynberg, wie können Sie sich die ganzen Daten in Geschichte merken?« – »Ich versuche mir Eselsbrücken zu bauen. Zum Beispiel ›der Sturm auf die Bastille‹ ist für mich sehr einfach. Der 14. Juli ist der Hochzeitstag meiner Eltern!« – »Meinen Sie ernst? Ihre Eltern haben 1789 geheiratet???«
Sie ist jung, gut gelaunt und Lehrerin an einer Berliner Sekundarschule. In Russland aufgewachsen, hat sie als Jugendliche in Deutschland eine neue Heimat gefunden und diskutiert heute mit ihren Schülern geduldig und humorvoll über das Nachsitzen, die Liebe, Heimat, das Osmanische Reich – eigentlich über alles, was ihre Schüler täglich bewegt. Vom Schulalltag mit einer quirlig-sympathischen Klasse, von ihrer Kindheit im antisemitischen Russland und ihrer strebsamen Jugend in Deutschland erzählt sie mit viel Enthusiasmus, Liebe und Witz.“
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-04585-7
€ [D] 8,99
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Titelbild: © sofatutor.com
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Wenn man diese Beschreibung liest, bekommt man Lust, das Buch zu lesen. Ich war auch lange im Schuldienst und kenne die Probleme. Im Ausland habe ich Italienisch unterrichtet und nun schreiben mir di mazedonischen und albanischen Studenten auf Facebook und das gefällt mir sehr!