Wie ich versuchte, meiner Schülerschaft etwas über das Leben beizubringen

Oft hadert Lehrerin Franziska mit dem Wissen, das sie ihren Schützlingen vermittelt. Hier schreibt sie, wie sie sich an einer besonders realitätsnahen Unterrichtseinheit versuchte.

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Kommt all das Wissen wirklich an?

Meine Schülerinnen und Schüler bemängeln oft die fehlende Relevanz der Inhalte des Rahmenlehrplans. Selbstverständlich drücken sie das nie so aus. Aber viel zu oft raunzt mir ein „Wozu brauchen wir das?“ entgegen. Dicht gefolgt von „Nie wieder guck ich mir den Müll an“. Es gibt Inhalte, bei denen es mir leichterfällt als bei anderen, sie vor der Jugend zu rechtfertigen. In Mathematik zum Beispiel lassen sich sehr einfache Anwendungsbeispiele finden. Die Inhalte im Deutschunterricht werden dagegen häufig mit den gleichen Begründungen vertreten, was die Schülerschaft zunehmend schwer akzeptiert.

Um auf diesen Kritikpunkt ein bisschen besser einzugehen, habe ich mir im Fach WAT (Wirtschaft-Arbeit-Technik) nun vorgenommen, den Schülerinnen und Schülern der zehnten Klasse tatsächlich etwas Lebensnahes beizubringen. Etwas, das ich mir in meiner Schulzeit dringend gewünscht hätte und das mich zu Zeiten beginnender Selbstständigkeit sehr verzweifeln lassen hat.
Dieses Thema umfasst Versicherungen, Verträge und Steuern.

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Unverzichtbar: Die 400k-Leitung

Eine solche Unterrichtseinheit anzugehen, war für mich Herausforderung und Chance zugleich. Obwohl ich nun schon seit einiger Zeit nicht mehr bei meinen Eltern wohne, habe ich noch immer beeindruckend wenig Ahnung von dem Ganzen. Sich näher damit auseinanderzusetzen, war also ein großer Glücksfall.

Ich begann meinen Ausflug in die Lebenswirklichkeit mit etwas wirklich Lebensfernem: Einer Wunschwolke. Ich ließ die Schülerinnen und Schüler notieren, was ihnen an einer ersten eigenen Wohnung wichtig wäre bzw. wovon sie träumen. Es fiel ihnen dabei erstaunlich schwer, eine Grenze zwischen beidem zu ziehen. Eine Schülerin merkte an, dass sie eine Toilette in ihrer Wohnung bräuchte. Als ich sie daraufhin beruhigen wollte und sagte, dass es in jeder Wohnung eine Toilette gäbe, fiel sie mir gleich ins Wort: „Meine Mama hat gesagt früher gab es das nicht! Sie musste auf den Flur gehen. Und einmal die Woche das Klo putzen, obwohl dort alle drauf waren.“ Ein bisschen rührte mich diese Angst. Wenn das ihr Anspruch war, würde sie auf dem hart umkämpften Berliner Wohnungsmarkt vielleicht doch nicht allzu sehr enttäuscht. Die Vorstellungen einer zweiten Schülerin waren da anders und deutlich konkreter. Ihre Wunschwolke zierten Begriffe wie „Tiefgaragenparkplatz“, „Dachgeschosspool“, „begehbarer Kleiderschrank“, „400k-Leitung“ und „200m²“. Daneben, etwas kleiner, das Wort „bezahlbar“. „Haha!“ – Viel mehr brachte ich bei dieser Illusion nicht heraus.

Woher kommt das Taschengeld?

Nachdem wir uns, was die erste eigene Wohnung anbelangt, auf ein paar grundsätzliche Notwendigkeiten geeignet hatten, überlegten sich die Schülerinnen und Schüler, wohin sie gern ziehen würden. Tatsächlich kam von jedem Jugendlichen die gleiche Antwort: „Kreuzberg.“ Sila, etwas weitsichtiger, fügte noch hinzu: „Naja, wahrscheinlich wird schwierig, wegen Preis und so. Aber wenn Kreuzberg nicht geht, dann wenigstens richtig nah dran an Berlin.“ Was folgte war eine kleine Belehrung meinerseits, dass Berlin ja nicht nur aus Kreuzberg bestehe und den Schülerinnen und Schülern durchaus andere Bezirke zur Verfügung stünden. Natürlich erkundigten sie sich daraufhin, wo ich wohnen würde. Mein Viertel liegt im Nachbarbezirk ihres Stadtteils. Ihre Reaktion war dennoch: „Was? Wo is das denn?“

Angekommen bei Lektionen zum durchschnittlichen Gehalt sowie zur Unterscheidung von Brutto- und Nettowerten: Meinen Schützlingen fielen die Augen aus dem Kopf, als ich an der Tafel verschiedene Prozentzahlen von Steuern und Versicherungen addierte, um das Ergebnis vom Bruttogehalt abzuziehen. Die Zahl, die nun weiß auf grün vor ihnen stand, ließ die Schülerschaft deutlich ernüchtert und betretend schweigend zurück. Jelda meldete sich als Erste wieder zu Wort: „Da bleibt ja gar nichts! Ich schwöre, ich hab keine Ahnung, wie meine Mutter mir überhaupt Taschengeld bezahlen kann, ey.“ Und wenn die gesamte Unterrichtseinheit allein diese Einsicht zum Ergebnis hatte: An dieser Stelle hatte ich das Gefühl, in den Köpfen meiner Schülerinnen und Schüler schwarze Zahlen zu schreiben.

Erst mal zu Penny

Um das Gelernte durch eine praktische Anwendung tiefer in den Köpfen der Jugendlichen zu verankern, schloss ich die Einheit mit ein paar Übungen an Fallbeispielen. Ich präsentierte realistische Zahlen eines Ausbildungsgehalts und unsere imaginäre Versuchsperson Julia, die uns ihre monatlichen Ausgaben für Miete, Lebensmittel, Kleidung und den wöchentlichen Pilateskurs zur Verfügung stellte. Nachdem wir gemeinsam ermittelt hatten, dass Julia mit ihrem bisherigen Lebensstil jeden Monat Schulden macht, sammelten wir Vorschläge für ein sparsameres Verhalten. Am besten gefielen mir hier die Ausführungen von Ella, die die Overheadprojektion des Bildes von Julia geradezu anschrie: „Du gehst zu Pilates? Was für eine unnötige Scheiße, es gibt YouTube-Videos – da kannst du zu Hause bleiben, Digga! Und was kauft sie für teuren Scheiß ein, dass sie so viel für Essen ausgibt? Als wär sie Rich Bitch! Sie soll lieber erst mal zu Penny!“

Manchmal stelle ich mir vor, was meine Schülerinnen und Schüler in zehn Jahren mit dem Wissen, das ich ihnen heute vermittle, anfangen. Werden sie ihren Kindern Fontanes „Die Brück’ am Tay“ fehlerfrei aufsagen? Werden sie sich an die Grundsätze gesunder Ernährung halten? Werden sie spontan und filigran mit der Feinsäge einen Holzuntersetzer herstellen können, falls unerwartet ein weiterer Besucher zum Abendessen kommt? Vieles davon erscheint mir fraglich. Doch die Vorstellung, dass ich eines Tages Ella vor mir an der Kasse bei Penny treffe und wie sie mich dann tadelnd anschaut, weil ich meine Yogamatte im Arm halte? Find ich gar nicht so unrealistisch.

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