Anders lernen: Wie der Krise der Sekundarschule gelungen begegnet werden kann
„Die Schule, wie sie heute ist, besteht aus Menschen, denen nichts egal ist“, so Ulrike Kegler, Leiterin der Montessori-Oberschule Potsdam, in der Kleinigkeiten von größter Bedeutung sind und stetige Veränderungen nicht als falsch abgeurteilt, sondern als Weg verstanden werden – als Weg in eine bessere Zukunft der deutschen Schule. Die Potsdamer Schule besteht aus zwei Systemen: der Montessori-Oberschule Potsdam und der Jugendschule am Schlänitzsee. Mit einem Projekt wie der Jugendschule möchte man hier der Krise der Sekundarschulen begegnen und Jugendliche in der schwierigen Zeit der Adoleszenz besser auffangen. Ein Konzept mit Erfolg! Wir haben uns die Montessori-Oberschule Potsdam, die 2007 den Deutschen Schulpreis gewann, näher angeschaut und mit der Schulleiterin Ulrike Kegler gesprochen.
Entwicklungen müssen von unten kommen
Der Kerngedanke dieser Schule ist es, Schule nicht als reine Bildungsanstalt zu begreifen, sondern als Ort, an dem sich Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte wohlfühlen. Mit Blick auf andere Kenntnisse und Fertigkeiten als derer, bestmöglich den Anforderungen des Lehrplans zu genügen, deren Umsetzung rein an der Vergabe von Noten bemessen wird, geht es hier vor allem darum, Eigenverantwortlichkeit zu schulen, im Team zu arbeiten und seine Stärken und Schwächen angemessen reflektieren zu können.
Dem wird unter anderem dadurch begegnet, dass es in der Sekundarstufe keine Klassen sondern nur noch Projektgruppen gibt, der Stundenplan aufgelöst, sowie fächer- und klassenübergreifend unterrichtet wird. Die Klassenstufen 1-3, 4-6, 7-8 und 9-10 werden zusammengeführt und bis zur achten Klasse werden keine Noten, sondern Einschätzungen im Rahmen von Kompetenzrastern erteilt. Zusammen mit den Lehrkräften entwickeln die Schülerinnen und Schüler ihre Lernziele selbst, auf deren Grundlage Arbeitsprozesse gelenkt und zugleich frei gestaltet werden. Denn selbst an einer preisgekrönten Schule wie dieser verfällt niemand dem Glauben, dass jeder für Freiarbeit geeignet ist. Struktur und vor allem individuelle Zeitlimits sind hier unabdingbarer Unterrichtsbestandteil. Ist der Lehrplan noch verbindliches Instrument, werden hier weder Hausaufgaben noch Schulbücher verteilt und auch wenn die Schülerinnen und Schüler Hausschuhe tragen dürfen, hält es die Schulleiterin Ulrike Kegler für wichtig, keine Komfortzonen für Kinder zu schaffen, geschweige denn, zu akzeptieren. „Was wir damit verfolgen, ist, dass Jugendliche in altersgerechter Weise mit der Welt in Verbindung treten und nicht künstlich von ihr ferngehalten werden, indem sie sich hinter Tische setzen und die Welt in vorgefertigten kleinen Häppchen serviert bekommen.“
„Pädagogik des Ortes“ – die Jugendschule
Seit 2008 gibt es das Projekt „Jugendschule Schlänitzsee“, vorbereitet durch einen langjährigen Aufbau einer Sekundarstufe I mit besonderer Prägung für die Sieben- bis Zehntklässler, mit dem Ziel, den besonderen Bedürfnissen, die sich aus dem Übergang von der Kindheit zur Jugendlichkeit ergeben, gerecht zu werden. Ulrike Kegler betont: „Es ist bekannt, dass die Schulunlust mit wachsendem Alter ständig größer wird und ich bin mir sehr sicher, dass das an der Veranstaltungsform liegt und nicht an der Veranstaltung als solche. Man möchte sich eben jeden Tag mit seinen Altersgenossen treffen und interessante Dinge machen und diese reflektieren. Aber wenn das Ganze dann in einer Form angeboten wird, die nicht mehr zeitgemäß ist und immer noch Belehrung im Vordergrund steht, dann glaube ich, kann man mit Fug und Recht sagen, dass sich die Sekundarschulen in einer Krise befinden. Und da versuchen wir Gegenmodelle zu entwickeln und das übrigens nicht alleine, denn es gibt auch andere gute Schulen, die ähnliche Projekte verfolgen.”
Die Jugendschule befindet sich direkt am Schlänitzsee, 12 km von der Schule entfernt. Auf einem alten Stasigelände arbeiten Schülerinnen und Schüler in freier Natur an herausfordernden Projekten, fernab vom gewöhnlichen Unterricht. Schwerpunkte der außerschulischen Projektarbeit liegen u.a. in der Landwirtschaft, im Naturschutz und dem Bauen von Kanus und Bauwagen. Daneben werden in Zusammenarbeit mit einem Imker Bienen gehalten und Honig produziert und auch anderweitig selbst für die Verpflegung gesorgt. Man kocht gemeinsam und backt sogar Brot. Und nicht nur die Bienenzucht wird von einem außerschulischen Experten angeleitet, sondern alle Projekte. So begleiten auch ein Bootsbauer und ein Landwirt fortwährend die Schülerinnen und Schüler bei ihrer Arbeit und unterstützen die Lehrkräfte bei der Betreuung. Unter ganzjähriger Betreibung der Jugendschule wechseln sich die Projektgruppen und die entsprechenden Lehrkräfte mit ihren spezifischen Tätigkeiten draußen auf dem Gelände und in der Schule ab.
Unter dem Leitgedanken der „Pädagogik des Ortes“ weiß Kegler, „[…] dass man die Welt weniger gut und vor allem mit weniger Freude und Durchdringung in einem Raum erfahren kann, sondern dass dies erst dann wirklich gelingt, wenn man in ‘Kontakt’ gerät. Und dass kann an den verschiedensten Orten geschehen. Es ist ja nicht nur die Jugendschule, sondern der Kontakt mit verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen an ganz verschiedenen Orten. Das können Naturorte sein, museale, kulturelle Orte, Aktionsorte etc.. In der 7. und 8. Jahrgangsstufe, wo sich Schüler erstmalig von den Eltern weg bewegen, ist es gut, wenn sie in ihrer Gruppe viel, konkret, aktiv und zusammen machen und auch Spuren hinterlassen.“
„Intention ist unser Handwerkszeug“
…so die Worte einer Lehrerin, die eine Projektgruppe am Schlänitzsee begleitet. Lehrkräfte an der Potsdamer Montessori-Oberschule sind in erster Linie angehalten, Bezüge zwischen den Projekten und den verbindlichen Inhalten des Lehrplans herzustellen und sie gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten. „Die Schule, die wir entwickeln wollen, macht keine hierarchische Trennung mehr zwischen Theorie und Praxis – und das stellt eine große Herausforderung an alle Lehrkräfte dar. Daneben gilt, dass das alte Bild vom Lehrersein abgelegt wird, wo der Lehrer vor der Tafel steht, hinter einem Lehrertisch und ‘unter-richtet’. Es geht nicht mehr alleine darum, sondern, dass Prozesse begleitet werden – nämlich die Lernprozesse der Kinder und Jugendlichen. Und das ist ein ganz anderes Verständnis vom Lehrerberuf, als das klassische.“
Prototyp neuen Lernens
Eltern, die diese Schule für ihre Kinder aussuchen, entscheiden sich ganz bewusst dafür. Man wird Teil dieses Projekts – Protagonist neuer Lernformen, welche nicht einfach übertragen werden, sondern alle, Schüler wie Lehrkräfte, an individuellen Prozessen beteiligen und dabei Ort und Mensch auf besondere Art miteinander verbindet.
Links:
Buch: Ulrike Kegler: „In Zukunft lernen wir anders – wenn die Schule schön wird”
Titelbild: ©sofatutor.com
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I Noor Mohammad aus Algerien und wissen, wie Deutschland