Auswertung der Umfrage: Dürfen Lehrer ihre politische Meinung äußern?
In Klassenzimmern wird viel diskutiert. Wenn es dabei um aktuelle Debatten geht, sind Lehrkräfte jedoch häufig zurückhaltend. Zu Recht?
Vor einem Monat fragten wir, wie Sie als Lehrkraft mit Fragen zu Ihrer persönlichen Meinung in aktuellen politischen Debatten, z. B. der Flüchtlingsdebatte, umgehen. Sind Sie offen Ihrer Klasse gegenüber, äußern Sie sich nur im Rahmen einer Klassendiskussion oder schweigen Sie sicherheitshalber? Wie gehen Sie damit um, wenn Sie bemerken, dass sich Kolleginnen und Kollegen Ihrer Einschätzung politisch äußern? Wir haben Ihre Antworten ausgewertet und die gleiche Frage einem Rechtsexperten gestellt.
Lehrer sollen ihre politische Meinung reflektierend äußern dürfen – ohne Sanktionen
In einem Zeitraum von vier Wochen, vom 8. März bis zum 8. April 2016, wurde die Umfrage auf dem sofatutor Lehrer-Magazin online gestellt. Insgesamt nahmen 237 Lehrerinnen und Lehrer teil. Auf die Frage, ob Sie von Ihren Schülerinnen und Schülern schon einmal nach Ihrer Meinung gefragt wurden, gabe zwei Drittel der Lehrerinnen und Lehrer eine positive Rückmeldung. Knapp 60 Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer reagierten auf die Frage ihrer Schülerschaft, indem sie die Frage im Klassenverband beantworteten und zur Diskussion stellten. Ein Drittel beantwortete die Frage vor ihrer Klasse ehrlich. Bei der Frage, ob einem persönlich Fälle bekannt seien, in denen sich Lehrkräfte politisch motiviert gegenüber der Schülerschaft geäußert hätten, hielt sich die Verteilung auf positiv und negativ weitgehend die Waage (54 Prozent: Ja, 46 Prozent: Nein). Das ist erfreulich und erschreckend gleichzeitig. Immerhin wurde in der Konsequenz von dem Großteil der Befragten angegeben, dass weder darüber im Kollegium diskutiert, noch sonst irgendwie öffentlich verfahren worden wäre. Nur drei Personen gaben an, dass der Kollege bzw. die Kollegin abgemahnt wurde. Also, alles halb so wild?
Drei Viertel der befragten Lehrkräfte findet, dass Lehrerinnen und Lehrer sich in reflektierender Art und Weise politisch im Unterricht äußern dürften und immerhin die Hälfte der Befragten findet zudem, dass es keine Sanktionen für Pädagogen und Pädagoginnen geben darf, sich politisch in der Schule zu äußern. Wie sieht es rechtlich aus?
Abbildungen: ©sofatutor.com
Schulgesetze geben nur eine grobe Richtlinie
Wie bereits im Artikel erwähnt, ist es in den Schulgesetzen der Länder eindeutig geregelt, dass sich Lehrerinnen und Lehrer nicht parteipolitisch äußern, keine derartigen Symbole oder äußerliche Merkmale tragen bzw. Werbung betreiben dürfen. In der in der Umfrage benannten politischen Meinung geht es jedoch viel subtiler um einen zwischenmenschlichen Austausch mit Lernenden. Woran kann man sich dabei orientieren?
Dr. Frank Lansnicker, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeits- und Verwaltungsrecht in Berlin, beantwortet diese Frage differenziert: Die Schulgesetze der Länder verpflichteten sowohl beamtete als auch angestellte Lehrkräfte zu politischer Neutralität. Verwaltungsgerichte und Arbeitsgerichte hätten daher bis in die höchsten Instanzen in den vergangenen Jahrzehnten einhellig die Auffassung vertreten, eine politische Meinungsäußerung der Lehrkraft während des Unterrichts sei nicht zulässig. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung des Lehrenden aus Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) müsse hinter dem Erziehungsauftrag des Staates und der staatlichen Neutralität zurückstehen. „Die Folgen waren disziplinarrechtliche Konsequenzen für die Lehrer im Beamtenverhältnis und Abmahnungen für Lehrer im Angestelltenverhältnis“, fasst Lansnicker die Erfahrungen von Lehrerinnen und Lehrern zusammen, die sich politisch im Unterricht äußerten.
Was sich verändert hat
Aber das sieht mittlerweile anders aus. Rechtsanwalt Lansnicker führt aus, dass sich vor allen Dingen durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) die nationalen Gerichte dazu gezwungen sehen, diese Rechtsprechung zu ändern. „So haben die Richter in Straßburg das ausnahmslose Streikverbot für Beamte für unionsrechtswidrig erklärt. In der Folge dieses Urteils musste auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem Urteil vom 27. Februar 2014 zugestehen, dass das Verbot für beamtete Lehrer, sich an Streiks zu beteiligen, zu denen die Gewerkschaft ihre angestellten Kollegen aufgerufen hat, gegen das Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit verstößt. Und erst jüngst hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 27. Januar 2015 ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen für verfassungswidrig erklärt, während dasselbe Gericht noch zehn Jahre zuvor die weltauschaulich-religiöse Neutralität des Staates durch derartige Bekundungen als verletzt angesehen hatte.“ Es ist also immer auch eine Frage des Zeitgeists, wie mit der Definition einer „politischen Meinung“ umgegangen wird.
„Insbesondere die benannte Entscheidung des BVerfG zeigt, dass der staatliche Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG mit der Verpflichtung zur politischen Neutralität oder der Schulfrieden nicht gefährdet sind, wenn der Lehrer während des Unterrichts sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt“, beruhigt Lansnicker Lehrkräfte, die ihre Anstellung durch eine eventuelle Meinungsäußerung gefährdet sehen.
Mut zur Meinung
Der Rechtsanwalte empfiehlt daher Lehrkräften, sich der Auseinandersetzung mit verschiedenen Meinungen zu stellen. „Die Auseinandersetzung kann sinnvoll nur dadurch gelernt und geübt werden, wenn verschiedene Meinungen aufeinandertreffen und auch geäußert werden dürfen. Dies gilt jedenfalls so lange, wie der Lehrer nicht agitativ auf eine bestimmte politische Meinung im Unterricht hinwirkt. Die entgegengesetzte Auffassung verschiedener Schulbehörden widerspricht eindeutig dem gewandelten und aktuellen Verfassungsverständnis“, kritisiert Rechtsexperte Lansnicker.
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Rechtsanwalt Dr. Frank Lansnicker berät und vertritt als Fachanwalt für Arbeits- und Verwaltungsrecht in Berlin und bundesweit seit 25 Jahren u. a. Lehrer/innen im Angestellten- und Beamtenverhältnis und ist ferner spezialisiert auf verfassungsrechtliche Fallgestaltungen.
Webseite: http://lansnicker-fachanwalt.de/
Titelbild: © Photographee.eu/shutterstock.com
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Erfreulich….
Politische Diskussionen finden in unseren hessichen Schulen leider immer weniger statt. Natürlich ist die freie Meinungsäußerung jeder natürlichen Person, also auch des verbeamtetenals auch des angestellten Lehrers als Grundrecht zu begrüßen, solange, wie im Artikel dargestellt von Rechtsanwalt Dr. Frank Lansnicker, der Unterricht nicht in eine bestimmte Richtung zielt, sondern offen gestaltet ist.
Meine Erfahrung in 12 Jahren Sekundarstufe 1 ist, dass SuS immer weniger Interesse für Politik im Allgemeinen zeigen. Die Politikmüdigkeit, die bei Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen in Form einer geringen Wahlbeteiligung sichtbar wird, ist auch schon bei den Schülerinen und Schülern feststellbar. Dies mag vielfältige Ursachen haben, eine Ursache sehe ich in unserer Spaßgesellschaft. Es ist nichts wichtiger, als 24 Std am Tag Spaß zu haben. Im Unterricht eine 6, die Klasse wiederholt, von der Schule geflogen, nichts von dem gemacht, was gemacht werden sollte – alles egal, hauptsache Spaß….
Wie und womit soll da Interesse für Politik, die Gestaltung unserer Gesellschaft, der Rahmen dessen, worin wir uns bewegen für Schüler interessant werden? Ich habe noch keine Antwort gefunden. Lehrermeinung zulassen und politische Diskussionen anregen halte ich für ein dringend notweniges MIttel, um Politik wieder vom Rande näher in die Mitte dessen zu bringen, was im gesellschaftlichen Leben wichtig ist.