Das Schulfach Glück in der Praxis

Glückslehrerin Andrea Gietzelt stärkt die Persönlichkeit ihrer Schüler*innen. Dadurch nimmt sie ihre Lehrerinnenrolle als sinnvoll und bereichernd wahr.

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Liebe Frau Gietzelt, was sind die Inhalte des Glücksunterrichts?
Andrea Gietzelt: „Ganz allgemein basiert der Glücksunterricht auf den Erkenntnissen aus der Wissenschaft der Positiven Psychologie im Kontext der Neurologie, Soziologie, Psychologie und Biologie. Das ist die Forschung für ein gelingendes Leben, die seit den 1990er Jahren immer größere Aufmerksamkeit findet. Ein Ziel ist es, z. B. den Fokus nicht auf Defizite zu legen, sondern auf das Positive zu lenken und lösungsorientiert zu denken. In einer ersten Reaktion sind wir Menschen oft geneigt ‚Schuld oder Versagen‘ statt ‚Lösung und Stärken‘ zu suchen. Diese Haltung zu lernen, ist eine der Grundlagen des Unterrichts.“

Welche Themen besprechen Sie während des Unterrichts?
Andrea Gietzelt: „Im Schulfach Glück werden die aktuellsten Forschungsergebnisse zusammengefasst und anhand eines roten Fadens über das komplette Schuljahr vermittelt. Dabei werden sechs Phasen aufgezeigt. Diese nennen sich: Eigene Stärken und Werte kennen, Visionen und Lebensmotive für sich selbst aufbauen, realistische Entscheidungen treffen können, Planen und mögliche Hindernisse vorab erkennen, tatsächliches Umsetzen der Ziele und schließlich die Reflexion bei Gelingen oder Misserfolg. Das ist der Kreislauf, den Menschen eigentlich bei jedem Wunsch und dessen Umsetzung immer wieder neu durchlaufen. Dies bewusster zu durchleben, daran wachsen wir.

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Die Schüler*innen entdecken für sich ganz individuell:

  • Was kann ich? Welche Kompetenzen habe ich?
  • Was will ich? Welche Wünsche und     Ziele habe ich?
  • Was brauche ich? Welche psychischen Grundbedürfnisse habe ich?
  • Wer bin ich? Wie stärke ich meinen Selbstwert? Wie gehe ich mit Vertrauen und Verantwortung um?

Wenn man diese Fragen für sich beantworten kann, hat man ein gutes Fundament für ein gelingendes Leben. Es gibt ein schönes Zitat von Marie von Ebner-Eschenbach, welches ich gerne in diesem Kontext verwende: ‚Wer nichts weiß, muss alles glauben.‘ Ich füge immer hinzu: ‚Wer von sich selbst nichts weiß, muss machen, was andere einem raten. Somit ist das eigene Unglück schon fast vorprogrammiert.‘“

Wie sieht eine exemplarische Stunde bei Ihnen aus?
Andrea Gietzelt: „An unserer Schule ist das Schulfach Glück ein Wahlfach. Die Schüler*innen haben eine Doppelstunde Glück in der Woche. Exemplarisch läuft es folgendermaßen ab: Während der persönlichen Begrüßung der Schüler*innen hole ich mir das Stimmungsbild ein. Gibt es Probleme in der Klasse? Sind die Schüler*innen gut drauf? Entsprechend kann ich dann eine kurze Warm-up-Übung machen. Manche Übungen sind lustig, manche körperlich anstrengend, manchmal kann es auch eine Konzentrationsübung sein. So sind die Schüler*innen eingestimmt und der tatsächliche Unterricht beginnt. Wichtig ist, dass sie wissen, warum sie die Übungen machen. Deshalb gibt es bei mir meist einen kurzen Theorieblock und Hinweise, auf was die Schüler*innen bei der Übung achten sollten. Am Ende der Übung wird reflektiert. Welche Erkenntnisse wurden erlebt oder das ‚Highlight der Stunde‘ wird benannt. Dabei sehe ich, was ankam.“

In welcher Stufe unterrichten Sie das Fach Glück?
Andrea Gietzelt: „An meiner Schule unterrichte ich die Schüler*innen der Berufsfachschule. An anderen Schulen wird das Fach auch anderweitig unterrichtet: Es kann ein Wahlfach oder eine AG sein. Es gibt aus Sicht der Schulorganisation oft Pufferstunden, die man für das Schulfach Glück verwenden könnte. Glück ist kein offizielles Schulfach und kann nicht einfach in den Unterricht implementiert werden. Es wird auf seinem Weg bis heute regelmäßig evaluiert und auf dessen Wirksamkeit geprüft. Die Kultusministerien der Länder können ein Fach nur akzeptieren, das auf fundierter Wissensvermittlung aus Forschung und Wissenschaft basiert und einen tatsächlichen Nutzen bringt. Diese Entwicklung braucht seine Zeit, verschiedene Schulversuche und innovative Personen, die gemeinsam hinter einer solchen Erweiterung der Schulinhalte stehen.“

Könnte man Elemente des Schulfachs Glück in den Fachunterricht bringen?
Andrea Gietzelt: „Jein. Ich finde es gut, wenn man nach Bedarf, egal in welchem Fach, die Schüler*innen mit Methoden und Inhalten der Positiven Psychologie unterrichtet. Davon profitieren die Schüler*innen auch schon, wenn sie nur selten damit in Berührung kommen. Aber das Ganzheitliche bzw. das Vollumfassende kann man nur in diesem kompletten Schuljahr vermitteln.“

Was unterscheidet den Glücksunterricht vom Fachunterricht?
Andrea Gietzelt: „Es geht im Glücksunterricht auch um eine Vermittlung von Fakten, das Ergebnis bei den Schüler*innen ist jedoch sehr individuell. Die Methoden sind umfangreich und vielschichtig. Die Inhalte werden oft indirekt über gezielte Übungen vermittelt. Es gibt z. B. Übungen, mithilfe derer die Schüler*innen ihre persönlichen Grenzen spüren bzw. erweitern, um sie damit aus ihrer Komfortzone zu holen. Wichtig hierbei: Sicherheit steht an erster Stelle! So wird ein ganzheitliches Erleben mit allen Sinnen möglich. Die Rolle der Lehrkraft ist eher die des Begleiters. Die Lehrkraft bietet den Schüler*innen Zeit, eine hohe Einlassung und bildet den nötigen Rahmen für deren Entwicklung. Das Ganze mit einem professionellen Nähe-Distanz-Verhältnis.“

Unterrichten Sie trotzdem noch mit Stift und Zettel?
Andrea Gietzelt: „Ja, wenn man etwas lernen und reflektieren will, sind Stift und Zettel wichtig.“

Was würden Sie anderen Lehrkräften empfehlen, die Glückslehrer*in werden möchten?
Andrea Gietzelt: „Das Fritz-Schubert-Institut in Heidelberg bietet die Fortbildung für Lehrkräfte und Personen aus ähnlichen Berufsbereichen an. Ein Jahr lang ist man einmal im Monat für ein ganzes Wochenende in Aktion. Selbst als erwachsene und gefestigte Person kann man viel über sich und seine Mitmenschen lernen. Eine private und berufliche Bereicherung.“

Welche Vorteile bietet das Schulfach Ihrer Meinung nach der Schule?
Andrea Gietzelt: „Wenn Eltern sehen, dass eine Schule ihr Kind individuell in der Entwicklung seiner Persönlichkeit fördert, sind sie vielleicht eher geneigt, ihr Kind an diese Schule zu schicken. Die Außenwirkung der Schulen wird somit positiv gestärkt.“

Und schließlich, wie sind Sie persönlich dazu gekommen?
Andrea Gietzelt: „Schon während meinem Referendariat interessierte ich mich besonders für die Pädagogische Psychologie. Damals dachte ich auch, dass wir bereits in der Schulzeit mehr über bestimmte Dinge aus diesem Kontext wissen sollten. Über das Schulfach Glück habe ich gelesen und fand es spannend. Als ich an die Bergstraße gezogen bin und durch Zufall an die Willy-Hellpach-Schule versetzt wurde, hatte ich dort die Möglichkeit, die Fortbildung zu absolvieren. Heute halte ich selbst Workshops und Vorträge zum Thema. Das Schulfach Glück bereichert mich persönlich und gibt mir Sinn in meiner Tätigkeit.“

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Titelbild: © William Perugini/shutterstock.com