Frau Streng und die lieben Kinder
Wie verläuft ein Elternabend an einer „Brennpunktgrundschule“? Worauf legt die Grundschullehrerin Frau Streng besonderen Wert? Und ist sie streng? Im Interview verrät sie es.
Frau Streng, Sie sind Lehrerin an einer, wie Sie sagen, „Brennpunktgrundschule“. Worin äußert sich das?
Frau Streng: „Ich unterrichte Schülerinnen und Schüler aus ganz verschiedenen Herkunftsländern. In meiner Klassen befinden sich selten mehr als ein oder zwei Schüler oder Schülerinnen, die zu Hause deutsch sprechen. Dieser multikulturelle Mix macht die Arbeit ungemein spannend. Verschiedene Sprachen, Kulturen und Glaubensrichtungen treffen aufeinander. Sie bereichern sich gegenseitig in einer Art und Weise, die mir zeigt, wie wichtig interkulturelles Lernen ist.“
Steckbrief
Name: Frau Streng
Schule: Grundschule
Fächer: Mathematik, Deutsch, Sachunterricht, Musik, Kunst, Englisch, Sport …
Die Schülerinnen und Schüler von heute … sind einfach toll!
Die Schule von morgen …benötigt deutlich mehr Personal, das auch im Hinblick auf Inklusion gut ausgebildet ist.
Ich werde nie vergessen als, … ich zum ersten Mal ganz alleine vor einer Klasse stand (im Referendariat) wie eine „echte Lehrerin“. Da wusste ich es: Hier bin ich richtig!
Haben Sie auch Erfahrung im Unterrichten an einer „normalen“ Schule? Wie unterscheidet sich das?
Frau Streng: „Natürlich unterscheidet sich die Arbeit an einer Brennpunktschule von z.B. einer Grundschule im Speckgürtel der Stadt erheblich. In meinen Elterngesprächen beschweren sich – überspitzt formuliert – keine Eltern in der zweiten Klasse über die Deutschnote, da der kleine Filius später in VWL promovieren soll.
Zur Vorbereitung meines Elterngespräches gehört es oftmals, einen Übersetzer zu finden, der mir im Gespräch mit bulgarisch sprechenden Rumänen, die gerade über Italien nach Deutschland zugezogen sind, bei der Informationsvermittlung hilft. Wenn die Eltern noch nicht lange in Deutschland leben, erkläre ich das Schulsystem in Deutschland, den Lehrplan, den Ablauf eines Schultags usw. Ich vermittle einen Platz in einem Mama-lernt-Deutsch-Kurs oder kümmere mich um einen Hortplatz für das Kind und seine Geschwister. Ich arbeite mit dem Jugendamt und verschiedenen anderen Diensten zusammen. Ich organisiere einige runde Tische, damit jeder auf dem aktuellen Stand ist. Nebenbei erläutere im Rahmen der Schullaufbahnberatung die schulischen Leistungen der Kinder.“
Welche Momente schätzen Sie in Ihrem Lehreralltag besonders?
Frau Streng: „Ich schätze es besonders, wenn eine Stunde wunderbar rund läuft und den Kindern ein ‚Aha‘ oder ‚Wow‘ entschlüpft. Oder wenn meine Schülerinnen und Schüler erkennen, mit wie viel Mühe das Material erstellt wurde und sie dies loben: ‚Oh Frau Streng, du hast ja voll die süßen Schmetterlinge in die Überschrift gebastelt. Darf man die ausmalen?‘. Ich bin auch sehr gerührt, wenn sie sich vor den Ferien mit ‚Ich werde dich so vermissen!‘ verabschieden und mich nach den Ferien mit ‚Du hast mir so gefehlt!‘ begrüßen. Das gleiche Gefühl habe ich, wenn die verabschiedeten Viertklässler zu Beginn des neuen Schuljahres auf der Matte stehen, weil sie mir von der neuen Schule erzählen wollen.“
Was wünschen Sie sich für Ihre Schülerinnen und Schüler?
Frau Streng: „Eltern, die sie lieben, wie sie sind.“
Welcher Elternabend wird Ihnen ewig in Erinnerung bleiben?
Frau Streng: „Dieser grauenvolle Elternabend zum Thema „Aufklärungsunterricht“ mit einer Horde muslimischer Eltern, die alles getan hätten, um an diesem Abend den Lehrplan umzuschreiben.
Seitdem spreche ich etwas besser türkisch. Jetzt lade ich Eltern ein, das Material in meiner Sprechstunde einzusehen und mit mir zu besprechen.
Ich habe mittlerweile verstanden, dass die Eltern Sorge hatten, was ich den Kleinen da wohl Gruseliges erzählen werde. Heute kann ich damit umgehen und ihnen ihre Ängste nehmen. Doch im Referendariat war ich schlicht überfordert.“
Was sind für Sie die positiven wie negativen Highlights eines Elternabends?
Frau Streng: „Was ich schwierig finde, ist, wenn die Eltern mit der Lehrkraft aus den vergangenen Schuljahren unzufrieden waren und das Bedürfnis haben, mir alle ,Verfehlungen‘ in epischer Breite zu berichten.
Ich verstehe, dass man als Mutter/Vater/Stiefmutter/Stiefvater/Oma/Opa/Pflegeeltern/große Schwester und wer sonst noch bei meinen Elternabenden erscheint, – zumeist die Person, die als Einzige in der Familie deutsch spricht – ein Recht darauf hat, unzufrieden zu sein und gehört werden will. Andererseits ist jeder Lehrer anders. Manch ein Elternteil mag auch mit mir nicht völlig zufrieden sein. Hier muss ich dann ausbremsen.
Positiv ist ein Elternabend für mich, wenn ein Austausch zwischen Eltern und Lehrerin stattfindet. Ich glaube, dann gehen alle Beteiligten mit dem Gefühl nach Hause, dass das was Gutes werden könnte.“
Und zum Abschluss die obligatorische Frage: Frau Streng, sind Sie streng?
Frau Streng: „ Tja, das ist DIE Frage. Ich denke, die korrekte Antwort muss lauten: ,Jein‘.
Ich bin sehr konsequent. Mein Unterricht ist sehr strukturiert, weil ich merke, wie gut das meinen Schülerinnen und Schülern tut.
Sie wissen genau, ob man nun mit dem Partner reden darf oder leise arbeiten soll. Sie wissen, was sie in der Stunde erwartet und kennen das Ziel. Bei mir weiß man emotional immer, woran man ist. Ich bin nie ,böse‘ auf ein Kind. Ich mag meine Schülerinnen und Schüler und schätze sie alle sehr. Aber manch ein Verhalten verstößt gegen wichtige Regeln. Das akzeptiere ich nicht und das sage ich deutlich. Wenn ich selbst einen Fehler mache, gebe ich das zu und entschuldige mich dafür. Genau das erwarte ich auch von meinen Schülerinnen und Schülern. Wenn ich einen Raum betrete, grüße ich die Anwesenden. Das erwarte ich auch von meinen Schülerinnen und Schülern und von ihren Eltern. Und das sage ich auch recht unverblümt.
Meine Schülerinnen und Schüler lachen, wenn andere Kinder sagen: ,Aber deine Lehrerin ist doch voll streng, oder?‘. Sie erzählen mir dann, wie lustig sie das finden, weil ich ,so lieb‘ bin und sie jeden Tag gerne in meine Klasse kommen. Aber sie wissen : ,Wenn wir Mist bauen, ist es dein Job, dass du uns das nicht durchgehen lässt.‘ – Und das finden sie ,total gerecht‘.“
Wie vermitteln Sie Ihren Schülerinnen und Schülern diese Umgangsformen?
Frau Streng: „ Wenn ich sehe, dass jemand Hilfe brauchen kann und ich die Möglichkeit habe zu helfen, dann tue ich das. Wenn ich in der Straßenbahn eine ältere Dame sehe, stehe ich auf und biete ihr meinen Platz an. Selbstverständlich tun dies auch meine Schülerinnen und Schüler bei einem Klassenausflug. Ich merke, dass diese für mich selbstverständlichen Umgangsformen heute leider nicht so selbstverständlich sind.“
Hier geht es zu den weiteren „Lehrkraft der Woche“-Interviews!
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Ich glaube, Schüler haben ein richtiges Gefühl für Gerechtigkeit und spüren auch, ob der Lehrerin wirklich etwas an ihnen liegt. So macht das Lernen wirklich Spaß!