Eine gongfreie Teamschule stellt sich vor: Das Gymnasium Schloß Holte-Stukenbrock

Das Gymnasium in Schloß Holte-Stukenbrock in Nordrhein-Westfalen, rund 20 km von Bielefeld entfernt, ist eine junge, gongfreie Teamschule, die seit dem Jahr 2000 besteht und 2012 mit dem Schulentwicklungspreis „Gute gesunde Schule“ ausgezeichnet wurde. Hier wird über den Tellerrand geschaut, individuell gefördert, außerschulisch und offen gelernt und Schülerinnen und Schüler in ihrer Berufsorientierung unterstützt ‒ und das alles ohne Gong und im Team. Wir haben ein Interview mit der Schulleiterin Marion Blome geführt, die uns erklärt hat, wie solche pädagogischen Konzepte erfolgreich umgesetzt werden können.

So klappt's mit dem Lernen – jetzt im Video anschauen!

Ihre Schule ist eine Schule „für alle Begabungsrichtungen“. Können Sie das näher ausführen?

M. Blome: „Als einziges Gymnasium im Ort möchten wir unseren Schülerinnen und Schülern vielfältige Angebote in allen Bereichen unterbreiten: im musisch-künstlerischen; im sprachlichen, durch Leseförderung und Sprachdiplome; im mathematisch-naturwissenschaftlichen und im sportlichen Bereich, der durch Pausensport, die Sporthelfer-Ausbildung und den Schulsanitätsdienst gewährleistet wird. Auch der Bereich der Gesellschaftswissenschaften wird durch uns gefördert, unter anderem durch die Gründung einer eigenen Schulfirma „ShsSHS“, die schulinterne Nachhilfe anbietet.

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Daneben gibt es im Wahlpflichtbereich weitere fächerübergreifende und produktorientierte Angebote aus den Bereichen Darstellen und Gestalten sowie unsere Projekte „Robotics“ und „GesundheitGesundheit.”

Was verstehen Sie als Schulleiterin unter dem Begriff „fördern“ und wie sieht Förderung an Ihrer Schule aus?

M. Blome: „Die „Rohdiamanten”, die im Alter von ca. 10 Jahren zu uns kommen, bringen ganz unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen mit. Sie blicken zurück auf wichtige Erfahrungen in der Familie, im Kindergarten und in der Grundschule und kommen wissbegierig zu uns in die weiterführende Schule. Sehr schnell wird deutlich, was ihnen leicht- oder schwerfällt oder dass sie sich für bestimmte Themen oder bestimmte Aufgaben besonders interessieren und mehr „meistern“ wollen.

Wir arbeiten in den acht Jahren bis zum Abitur mit den Schülern als Partnern und auf Augenhöhe zusammen, vermitteln Wissen, reflektieren die Lernprozesse und geben uns gegenseitig Feedback. So schließt unsere Leistungsbewertung immer eine Selbsteinschätzung der Schüler mit ein.

Wir blicken auch regelmäßig gemeinsam über den Tellerrand, zum Beispiel im Rahmen unserer Austauschprogramme mit Frankreich und Polen oder über unsere Partnerschaft mit dem Straßenkinderprojekt „Generación“ in Lima/Peru.”

Das Gymnasium positioniert sich nicht nur als Schule sondern auch als „Begegnungsstätte” – was ist darunter zu verstehen?

M. Blome: „Wir kooperieren mit den anderen Schulen im Ort, den Firmen, den Vereinen, den Kirchengemeinden, fühlen uns dem kulturellen Leben der Gemeinde verbunden und nehmen teil an örtlichen Festen und Sportveranstaltungen. Darüber hinaus wollen wir unseren Schülern „etwas von der Welt zeigen“. Die Liste der außerschulischen Lernorte und der Kooperationspartner insgesamt ist inzwischen drei Seiten lang und umfasst 101 Positionen.

Als weitere Begegnungs- und Projektbeispiele sind u. a. unsere Anne-Frank-Ausstellung in Kooperation mit dem Anne-Frank-Zentrum in Berlin, unser jährlicher Malworkshop mit Christoph Kern und unsere doxs-Projekte mit Bettina Cohnen zu nennen.”

An Ihrer Schule gibt es keinen Gong bzw. keine Klingel. Was sind die Gründe dafür und wie sieht das im Schulalltag aus?

M. Blome: „Schule bereitet auf das Leben vor ‒ und wo im Leben schellt ein Gong? Nirgends ‒ so dass „Gongfreiheit“ ein Teil unserer Erziehung zur Selbständigkeit ist. Wenn Schüler sich in ihrer Freizeit verabreden, klappt das auch ohne Gong mit einem Blick auf die Uhr. Genauso beginnt und endet bei uns der Unterricht.

Eine Schule ohne Gong ist auch viel entspannter, weil die Unterrichtsstunde inhaltlich sinnvoll von den Lehrkräften beendet werden kann, denn das geht nicht mechanisch in allen Klassen/Kursen auf die Sekunde genau, sondern mal eine Minute früher, mal eine Minute später. Das Ergebnis ist: viel mehr Ruhe ‒ und das tut allen Beteiligten sehr gut und wird von allen im Haus und auch unseren Besuchern immer wieder positiv hervorgehoben.”

Sie bezeichneten Ihre Schule auf der „ZEIT Konferenz zum Thema Bildung“ kürzlich als „Teamschule“. Was kann man sich darunter vorstellen, wenn man den Begriff zum ersten Mal hört?

M. Blome: „In einer Teamschule arbeiten die Menschen mehr mit- und weniger gegeneinander. Ich habe im Jahr 2000 die große und einmalige Chance bekommen, ein neugegründetes Gymnasium aufbauen zu dürfen. Wir sind am 14.08.2000 mit 86 Schülern und drei eigenen sowie fünf abgeordneten Lehrern gestartet: mein Stellvertreter und ich zu zweit als Schulleitungsteam und wir drei Klassenlehrer gleichzeitig als Jahrgangsteam 5, in dem wir gemeinsam planten, was unsere ersten drei Pionierklassen über den Unterricht hinaus lernen sollten. 2001 kamen vier neue Klassenlehrer als neues Jahrgangsteam 5 und weitere Fachlehrer hinzu, das Jahrgangs-Team 5 wurde Jahrgangsteam 6 und es gab neue Fachlehrer, die von Anfang an in den Fachteams zusammenarbeiteten. Auf diese Weise haben sich die Teamstrukturen sowohl horizontal als auch vertikal in unserer Schule etabliert und weiterentwickelt. Und wir hatten das große Glück, fast alle Lehrer selbst auswählen zu dürfen und bei dieser Auswahl war Teamfähigkeit ein wichtiges Kriterium.

Die Vorteile der Teamarbeit zeigen sich täglich neu: Teamarbeit ist in Konzeptionsfragen immer multiperspektivisch und damit bereichernd für alle und durch die Arbeitsteilung in der Ausführungsphase zeitsparend. Ein Beispiel: Im Jahrgangsteam Englisch 6 konzipieren junge und erfahrene Lehrkräfte zu viert eine Klassenarbeit, 35 Jahre Unterrichtserfahrung treffen hier auf neue Ideen von Berufsanfängern aus der Uni und alle zusammen konzipieren eine Klassenarbeit. Da alle Schüler des Jahrgangs dieselbe Arbeit zur gleichen Zeit schreiben, haben wir zusätzlich Standardsicherung pur. In der Mittel- und Oberstufe ist das noch einmal im Hinblick auf die zentralen Prüfungen besonders wichtig.

Diese Teamstrukturen leben in unserer Schule in allen Jahrgängen, zwar nicht flächendeckend zu 100%, aber in der überwiegenden Mehrheit. Einzelfallentscheidungen sind in unserer Teamschule aber dennoch immer möglich und auch erwünscht, denn sie sind wichtig und notwendig im Sinne der individuellen Förderung.”

Sie verfolgen das Konzept des „offenen Unterrichts“. Können Sie das anhand von Beispielen näher erläutern?

M. Blome: „Wir arbeiten mit dem Konzept des Stationen-Lernens und veranstalten regelmäßige Projekttage. Ziel ist es, anstelle von Hausaufgaben, einem Wochenplan zu folgen. Wir öffnen unsere Schule weiterhin für außerschulische Lernorte wie z.B. die „Moosheide“ im Jahrgang 7, bei der fächerübergreifenden Betriebserkundung in Erdkunde und Politik im Jahrgang 9 oder beim Bau eines „Fliehkraftkreiselkoffers“: eine Kooperation des Physik-Fachteams mit einem Auszubildenden eines örtlichen Unternehmens: HORA.”

Sie begleiten Ihre Schülerinnen und Schüler auch in den Beruf oder in das Studium hinein, bzw. bereiten sie spezifisch darauf vor. Wie sieht das in der Praxis aus?

M. Blome: „Wir begleiten unsere Schüler prozessorientiert in fünf inhaltlich aufeinander aufbauenden Modulen:

1. Sich selbst einschätzen
2. Berufe finden, die zur Selbsteinschätzung passen
3. Studiengänge und Berufe erkunden
4. Alternativen auswählen und realisieren
5. Sich entscheiden und bewerben

In diesem Prozess wird die Beratung immer individueller und sie wird zusätzlich zum StuBO-Team durch weitere außerschulische Partner und auch Ansprechpartner bei uns im Haus wie zum Beispiel die Klassenlehrer oder die Jahrgangsstufenleiter in der Oberstufe ergänzt. Weitere Informationen sind auf der Schulhomepage unter dem Button „Schulprofil“ zu finden.

Wie bewältigt Ihre Schule den oft schwierigen Übergang von der Grundschule auf das Gymnasium?

M. Blome: „Unser Erprobungsstufenkonzept lässt sich grob in fünf Aufgabengebiete untergliedern, die auf vielfältige Weise miteinander verzahnt sind:

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Im Sinne eines sinnvoll und kompetent gestalteten Übergangs tauschen wir uns regelmäßig mit den örtlichen Grundschulen aus, treffen uns halbjährlich mit den anderen Schulleitern im Ort und besuchen den Unterricht der Partnerschulen.
Im Jahrgang 5 nehmen alle Schüler an Förder- und Forderkursen teil, in denen neben der Angleichung fachlicher Inhalte in den schriftlichen Fächern auch Module zur Methodenschulung (z.B. Wochenplanarbeit) und zum Sozialen Lernen enthalten sind.
Darüber hinaus gibt es die Klassenlehrerstunde, die „Klasse-Mappe“, verschiedene Projekte, den Klassenrat, die Streitschlichter u.v.a.m. Eine Arbeitsgruppe aus den Jahrgangsteams 5 und 6 und dem Erprobungsstufenkoordinator evaluiert das Konzept und entwickelt es kontinuierlich weiter.
Da die Klassen 5 und 6 eine Einheit bilden, findet hier keine Versetzung statt und die Kinder können in Ruhe zwei Jahre lang am Gymnasium ankommen.

Für die Zukunft …

M. Blome: „… wünsche ich mir, dass der Gründungsimpetus unsere junge Schule im Sinne unseres Logos auch in den nächsten Jahren weiter beflügeln wird. Wir wollen uns weiterentwickeln, ohne die bisher erfolgreich gelebten Grundsätze zu vernachlässigen: Wir sind und bleiben eine gongfreie Teamschule, in der jeder in seiner Individualität ernst genommen wird. Toleranz und gegenseitige Achtung bestimmen unseren Umgang miteinander.

„Last but not least“ würde ich mich sehr freuen, wenn sich unsere Ehemaligen gerne an ihre Schulzeit am Gymnasium Schloß Holte-Stukenbrock erinnern, mit uns in Kontakt bleiben und uns erzählen, was aus ihnen geworden ist.

Dafür gibt es schon jetzt einige sehr vielversprechende Beispiele aus den ersten vier
Abiturjahrgängen, wie die Mitwirkung im Chor und im Orchester bei den Schulkonzerten auch nach dem Abitur, die schon traditionelle Hochschulbörse am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien, die Wiederaufführung des Anne-Frank-Theaterstücks mit Ehemaligen und das von ehemaligen Schülern selbstgeschriebene und selbstkomponierte Musical „Nightingale“.”

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Titelbild und Abbildung: ©Gymnasium Schloß-Holte Stukenbrock