Wann ist man eigentlich reif genug für den Lehrerberuf?
Referendarin Franziska sinniert über Kleidungsstil, Musik- und Seriengeschmack ihrer neuen Schülerinnen und Schüler – und ihren eigenen.
Als ich mich für den Lehrberuf entschied, steckte ich noch in den Vorbereitungen auf meine Abiturprüfung. Nun stehe ich acht Jahre später selbst als Referendarin hinter dem Pult. Bei der Frage, ob es der richtige Beruf ist, habe ich in den vergangenen Wochen ebenso häufig frustriert den Kopf geschüttelt wie euphorisch genickt.
Immer wieder gerate ich in Situationen, in denen ich mich verzweifelt frage: „Bin ich reif genug für den Lehrberuf?“ Von einigen möchte ich an dieser Stelle berichten:
Außerirdische Kolleginnen
Bei einer kleinen Klassenumfrage kommt heraus, dass 18 von 26 Schülern meine eigenen Lieblingsserien ebenfalls schauen. Meine Referendariatskollegin, die die letzten Jahre offenbar nicht auf diesem Planeten gewesen ist, kennt die Serien nicht. Sie fragt, was dieses „Big Bangery“ sei, von dem hier alle sprechen. Ich bekomme einen größeren Lachkrampf als meine Schülerinnen und Schüler.
„Haben die hier keine Kleiderordnung?“
An einem anderen Tag läuft während meiner Pausenaufsicht eine Schülerin an mir vorbei, die eine Kandidatin bei Germanys Next Topmodel sein könnte. Ich lege mir eine Notiz im Kopf ab: „Suche bei H&M nach diesen Overkneestrümpfen und durchforste das Internet nach dem coolen Cappi, das sie trägt!“ Gleichzeitig murmelt eine weitere Referendariatskollegin neben mir: „Haben die hier keine Kleiderordnung? In meinen Klassenraum dürfte die so nicht kommen!“ Ich widerspreche ihr nicht – am Abend suche, finde und bestelle ich Strümpfe und Cappi trotzdem.
Von Schlangen und Adlern
Bei einer Kennenlernübung mit Interviewfragen möchte niemand mit, nennen wir ihn, Gustav zusammenarbeiten. Gustav ist, das ist schon am zweiten Tag klar, ein kleiner Streber. Ich habe ein Herz für Nerds und stelle mich ihm als Interviewpartnerin zur Verfügung. Als er auf meine Frage nach den Lieblingstieren seine Wahl „Schlange und Adler“ damit begründet, dass er eine „Vorliebe für flugfähige Tiere und interessante Fragen der Chemie“ habe, für deren „Beantwortung die Schlange doch viele anregende Aspekte zu bieten hat“, wird mir schlagartig bewusst, dass ich vermutlich auf ewig Gustavs Partnerarbeitsgefährtin sein werde. Er spricht einfach eine andere Sprache als die restlichen Schülerinnen und Schüler.
Evergreens
Ein Siebtklässler betritt das Klassenzimmer und singt die letzten Zeilen von Dr. Dre’s The Next Episode, in dem der Künstler – ganz entgegen meines pädagogischen Auftrags – den Konsum von Rauschgiften bewirbt. Der Song wurde in dem Jahr veröffentlicht, als ich genauso alt war wie meine Schüler jetzt. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich das Lied gerade selbst auf dem Schulweg gehört habe. Ich fühle mich dennoch ertappt und muss kichern, bis die Lehrerin – die echte – tadelnd zu mir herüberschaut.
Fräulein Authentisch
Während meiner ersten WAT-Stunde verlese ich die Werkstattordnung: „Schmuck, wie eine Kette oder eine Uhr, ist in der Werkstatt verboten. Lange Haare sollen durch einen Zopfhalter zusammengebunden werden.“ Ich trage die Haare offen, eine Uhr am Handgelenk sowie eine Kette um den Hals. Im Kopf gebe ich mir den Beinamen Fräulein Authentisch.
Der Erdnuss-Zwischenfall
Bei einer Schülerin der zehnten Klasse sehe ich in einer Berufsberatungsstunde einen Radiergummi, der aussieht wie eine Erdnuss. Wie eine Erdnuss! In den folgenden Tagen fällt es mir erheblich schwerer, mich zu konzentrieren. Meine Gedanken kreisen um einen Fakt: Ich! Will! Auch! Unbedingt! Einen! Radiergummi! Der! Aussieht! Wie! Eine! Erdnuss!
Lehrer aus Leidenschaft?
Nach drei Wochen im Referendariat plagt mich noch immer die Unschlüssigkeit über die Richtigkeit meiner Berufswahl. Oft fühle ich mich den Schülern näher als den Lehrern. Häufig frage ich mich, ob ich meine unreife Art überhaupt überwinden sollte: Hilft sie mir nicht eigentlich, mich besser in meine Schüler hineinzuversetzen? Eine Antwort auf meine Frage werden die nächsten eineinhalb Jahre bringen. Bei all meinen persönlichen Zweifeln glaubt immerhin ein großes soziales Netzwerk an mich. Es schlägt mir unablässig die Seite „Lehrer aus Leidenschaft“ vor. Noch bin ich mir unsicher, ob ich auf like oder auf ignore klicken soll.
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Hallo Franzi, in deinem Alter war ich schon lange eine gestandene Lehrerin und hatte drei Kinder. Mit 21 stand kch schon vor Schülern. Am Anfang wurde ich oft auf die Hofpause geschickt, weil die Kollegen, die mich noch nicht kannten dachten, ich sei eine neue Schülerin. Fand ich witzig.
Heute profitiere ich davon, dass wir unsere Kinder schon jung bekamen. Mein Enkel ist 16 und meine Schüler staunen oft, dass ich ske so gut verstehe.
Man kann also auch nach 37 Jahren Berufserfahrung noch jung sein und der Job macht immer noch Spaß. Meistens jedenfalls. Nur die Eltern, vor allem mit diesen Helikoptereltern habe ich echt ein Problem. Aber das ist schon wieder ein neues Thema.
Geht mir genau jetzt auch so!
Guten Tag Franzi
ihre SchülerInnen haben bestimmt Freude an einer Lehrerin wie Ihnen, die so jung „geblieben“ist.Sie sind ja auch noch jung!
Freundliche Grüsse, D. Bodmer
Hallo Franzi!
Das was du schreibst kann ich total gut nachvollziehen und genau wegen deiner jugendlich-frischen Art werden dich deine Schüler auch so lieben. Auf der Persönlichkeitsebene hast du also volle Punktzahl.
Nun bin ich mit 38 Jahren so ein Lehrer-Mittelalter-Modell und meinen Schülern auch noch sehr nah, auch wenn ich nicht mehr alle Serien kenne. Die zweite Seite ist die, dass ich als Seminarleiterin für Referendare arbeite und in dieser Rolle frage ich mich leider immer öfter, wo die brennenden, enthusiastischen Nachwuchslehrkräfte hin verschwinden. Ein Großteil agiert nach dem Motto „vormittags Recht und nachmittags frei“, was ich nicht akzeptieren kann. Einige sollten vielleicht eine vorbereitende Qualifikation zum Thema „Körpersprache – Höflichkeit – Zuverlässigkeit – Pünktlichkeit – realistische Selbstreflexion“ besuchen. Sie erwarten leider oft eine sehr gute Bewertung, ohne ebensolche Leistungen zu erbringen. Und da frage ich mich immer, ob diese Referendare reif sind für einen Lehrerberuf.
Mir erging es genau SO während dem Ref und heute immer noch
Ich erkenne mich darin total wiederalles wird gut;-)
„Er spricht einfach eine andere Sprache als die restlichen Schülerinnen und Schüler.“
Da wäre es doch jetzt eine schöne pädagogische Aufgabe, den anderen Schülerinnen und Schülern (und auch sich selbst) beizubringen, diese Sprache zu verstehen, zu respektieren und vielleicht auch selbst zu erlernen.
Wenn Lehrerinnen und Lehrer ihren Schülerinen und Schülern (ach, wie war das generische Maskulinum doch schön) jetzt explizit oder auch nur nonverbal bestätigen, dass „style“ und „coolness“ das Mass aller Dinge sind, während ernsthaftes Interesse allenfalls milde belächelt wird, fällt die Schule als letztes Bollwerk gegen die sozialisierenden Instanzen RTL und Co. aus.
Schüler „da abholen, wo sie stehen“ ist ja schön und gut, aber sie dann dort stehen zu lassen und sich selber hinzugesellen, weil – tcha, warum…weil es eben cool ist und der „style“ stimmt kann doch wohl nicht Aufgabe der Schule sein.
„Werkstatt: Ich trage die Haare offen, eine Uhr am Handgelenk sowie eine Kette um den Hals. Im Kopf gebe ich mir den Beinamen Fräulein Authentisch.“ Vielleicht sollte Fräulein Authentisch sich einmal einen Film der Unfallkasse anschauen, in dem authentische Fotos von Menschen gezeigt werden, deren Haare sich um die Standbohrmaschine gewickelt haben. Da nutzt dann auch dass Cappi nicht mehr, aber die plastische Chirogie macht ja sicher noch Fortschritte.
Ich bin seit über 15 Jahren Lehrerin, der Anfang der Big Bang Theory in slow motion eignet sich auch super für den Geschichtsunterricht, Dr. Dre, Macklemore und co. kann man prima für den Englischunterricht verwenden, und einen Erdnuss Radiergummi hab ich auch!
Es ist wichtig, dass man sich nicht verstellt und bei den Schülern anbiedert, aber wenn man hinter etwas steht, kann man die Klasse auch viel eher für das Fach begeistern! Deshalb bleib dir treu, interessiere dich für deine Schüler, dann wirst du eine gute Lehrerin!
Den Erdnuss-Radiergummi gibts bei Papier Fischer 😉 habe auch einen 😀
Ich bin selber 24 und Referendar an einem Gymnasium. Bei all den Inhalten, Vorgaben, Kompetenzen, Ganztag, Inklusion und anderen determinierenden Faktoren halte ich es für absolut wichtig, dass man nah an den Schülern ist.
„Lachen ist auch eine Kompetenz.“ ist für mich so etwas wie das übergeordnete Motto.
Deine Darstellungen lassen auf ein hohes Maß Authentizität und Menschlichkeit schließen, was für die Schüler manchmal vielleicht wichtiger ist als irgendein Inhalt oder Oberlehrer-Getue.
Mach weiter und sei du selbst, denn vielleicht ist genau das deine Leidenschaft,,, du selbst sein und jugendlichen etwas vermitteln.
Finde die Zeilen sehr interessant und vor allem ehrlich verfasst und glaube, dass sich dieser Frage mehr ernsthaft stellen sollten. Trotzdem Kopf hoch und die Seite nicht komplett wechseln, denn dann hast du verloren
Hallo! Ich bin selbst erst seit gut einem halben Jahr aus dem Referendariat „raus“, bin im Juli stolze 27 geworden und kenne diese Situationen sehr gut. Ich sehe das so: Jedes Mal, wenn man sich seiner Lerngruppe durch eigene Vorlieben „näher als den Kollegen “ fühlt, kann eine Situation werden, in der man erfährt, was für Sie und ihre Lebenswelt wichtig ist. Natürlich sollte man eine Vorbildfunktion erfüllen, aber die Schüler dürfen gerne auch wissen, dass man auch ein Mensch mit Interessen ist. Wenn man das dann auch nutzt für den Unterricht- umso besser. Ich hab das nie als Nachteil empfunden! Und glaub mir: ganz bald wirst du auch in eine Situation kommen, in der du merkst: ich bin alt- die denken bestimmt, ich wäre uralt. Mein Beispiel: englisch in der Oberstufe, wir sprechen über kanadische prominente. Mein Beispiel Ryan Gosling wird von meinen fast erwachsenen Schülern mit irritiertem Blick zur Kenntnis genommen…“keine Ahnung wer das ist“ 😉
Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass Gemeinsamkeiten dazu führen, dass die Schüler eine Ebene zu dir aufbauen und nicht erst seit gestern wissen wir, wie wichtig die persönliche Beziehung zwischen Lerngruppe und Lehrkraft für das Lernen ist.
Genauso geht es mir auch 😀 Ich glaube, dass es oft nicht schadet den Schülern näher zu sein… meist ist das bei den Größeren so und die sehen das eh „lockerer“. Die „Kleinen“ leben in einer anderen Welt ohne all die Sachen, mit denen wir aufgewachsen sind.
Und verdammt: Manche Schüler/innen tragen aber auch verdammt geile Klamotten 😀
Ich liebe diese Kommentare… weiter so!
Alle Schülerinnen und Schüler die Franzi als Lehrerin genießen dürfen, können froh sein. Sie ist immer up to date, dass weiß ich genau. Besser als eine verstaubte Alte à la Fräulein Rottenmeier.. 😉