Warum das Bildungssystem für Kranke krankt

Schülerinnen und Schüler gehen in die Schule. Physisch oder psychisch Kranke gehen in eine Klinik. Aber was machen eigentlich Schülerinnen und Schüler, wenn sie ernsthaft krank sind? Wer kümmert sich darum, dass die schulische Bildung für sie trotzdem gewährleistet ist? Ein Ministerium für Schulpädagogik bei Krankheit gibt es nicht. Die Bildungsministerien und die Gesundheitsministerien arbeiten nicht zusammen. Keiner fühlt sich verantwortlich. Wir haben mit Mona Meister, Leiterin der Schule für Haus- und Krankenhausunterricht Hamburg und Bundesreferentin im Verband Sonderpädagogik e.V. mit dem Schwerpunkt Pädagogik bei Krankheit, über das Problem gesprochen – ein Thema, das unbedingt in der Öffentlichkeit diskutiert werden sollte.

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„Ich habe heute eine Schülerin kennengelernt, die kurz vor dem Abitur steht. Sie leidet unter einer Schmerzerkrankung, aufgrund derer sie starke Medikamente nehmen muss. Sie schläft nicht mehr gut und kann nicht lange sitzen. Das hat natürlich auch Konsequenzen auf ihr Lernverhalten und die Zeit in der Schule.” Mona Meister, Leiterin der Schule für Haus- und Krankehausunterricht in Hamburg und Bundesreferentin im Verband Sonderpädagogik mit dem Schwerpunkt „Pädagogik bei Krankheit”, berät diese Schülerin, ihre Eltern und ihre Lehrerinnen und Lehrer über die schulpädagogischen Angebote, welche die Schülerin nun in Anspruch nehmen könnte.

Klinikschulen in Hamburg und deutschlandweit

Hamburger Schülerinnen und Schüler, die eine längere Zeit im Krankenhaus verbringen, nehmen an den vor Ort angebotenen Schulstunden teil. Schülerinnen und Schüler, die hingegen aufgrund einer Krankheit z. B. unter Schlafmangel leiden und in ihrer regulären Schule an den ersten Unterrichtsstunden nicht teilnehmen können, haben die Möglichkeit in Absprache mit der Schule die verpassten Lerninhalte mit einem Hauslehrer oder einer Hauslehrerin während eines Hausunterrichts nachzuarbeiten. Natürlich wird hier immer Rücksprache mit den Ärztinnen und Ärzten sowie Therapeutinnen und Therapeuten gehalten. „Ziel unseres Haus- und Klinikunterrichts ist es den Kindern und Jugendlichen zu einem problemlosen Wiedereinstieg in einen regulären Schulalltag zu verhelfen, aber natürlich auch ein Stück Normalität in den Alltag zu bringen, den die Krankheit durcheinander gebracht hat”, so Meister.

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Außer Hamburg bietet nur noch Bremen und das Saarland die Organisation des Unterricht zuhause und in den Kliniken zentral organisiert an. Die Schule für Haus- und Krankenhausunterricht in Hamburg hat ein festes Team bestehend aus 65 Lehrerinnen und Lehrern, die durch interne Fortbildungen für die Pädagogik bei Krankheit ausgebildet sind und dadurch das nötige Know-How im Umgang mit kranken Schülerinnen und Schülern besitzen. Dieses festes Team deckt fast alle Fächer, alle Schulformen und Klassenstufen ab und garantiert so eine optimale Bildung für kranke Schülerinnen und Schüler in den Kliniken der gesamten Stadt, aber auch beim Hausunterricht.

Und wie sieht es sonst deutschlandweit aus? In einigen Bundesländern gibt es zwar Klinikschulen, diese sind jedoch fest in bestimmte Krankenhäuser eingegliedert und ein Hausunterricht ist dadurch nicht geregelt. In anderen Bundesländern werden Lehrerinnen und Lehrer von den Schulämtern aus ihrem Regelschuldienst genommen und für zwei oder drei Jahre zum Klinikunterricht abgeordnet. „Diese Lehrerinnen und Lehrer sind jedoch in der Pädagogik bei Krankheit nicht geschult und können nur punktuell lehren, da sie nicht alle Schulformen, Klassenstufen und Fächer abdecken können”, so Meister.

Ausbildung zum Kliniklehrer?

Eine Ausbildung der Lehrkäfte sei enorm wichtig, so Meister. Um angemessen mit kranken Schülerinnen und Schülern umgehen zu können, müsse eine Kliniklehrkraft die Zusammenhänge zwischen psychischen und physischen Krankheiten sowie der schulischen Leistung kennen. Aus diesem Grund plädiert Meister für eine bundesweite Modulausbildung zum Kliniklehrer oder zur Kliniklehrerin.

Da gibt es nur ein Problem – und dieses ist altbekannt: 16 verschiedene Bundesländer, 16 verschiedene Landesregierungen, daraus resultieren 16 verschiedene Kultusminsterien und 16 verschiedene Regelverordnungen in Sachen „Beschulung kranker Kinder und Jugendliche”. Es gibt also keine bundesweite Regelung zur Ausbildung von Kliniklehrerinnen und -lehrern und keine flächendeckende Regelung, die die schulische Bildung kranker Schülerinnen und Schüler organisieren. „So kann es vorkommen, dass ein kranker Schüler in Hamburg einen geregelten Hausunterricht erhält, jedoch in Niedersachsen während seines Ausfalls keine schulische Pädagogik genießt”, beklagt Meister.

Zwischen zwei Ministerstühlen

Aber auch die Schule für Haus- und Klinikunterricht in Hamburg hat mit Problemen zu kämpfen, die aus Kooperations- und Kommunikationsproblemen verschiedener politischer Institutionen resultieren. Die Verantwortung im Bereich Pädagogik bei Krankheit oder Beschulung von kranken Schülerinnen und Schülern liege weder bei den Ministerien für Bildung noch bei den Ministerien für Gesundheit. So werden Konsequenzen für Klinikschulen bei einer Gesetzesänderung einer der beiden Institutionen nicht berücksichtigt. Außerdem weiß die eine Hand nicht, was die andere tut.

Da beispielsweise traditionell die Kliniken die Räumlichkeiten für die Klinikschulen stellen und die Schulbehörde nur für Ausstattung und Lehrkräfte verantwortlich ist, sind Klinikschulen im System „Schulbau” der Schulbehörden nicht vorgesehen. Aber auch die Gesundheitsbehörden kümmern sich nach der Gesetzesänderung der Krankenhausfinanzierung 2003 überwiegend um die Behandlungsplätze und immer weniger um die Schulungsräume im Krankenhaus. Leidtragend sind somit die Klinikschulen, denen nun nur noch wenig angemessene Räumlichkeiten für den Unterricht zur Verfügung stehen. „Hier ist eindeutig Handlungsbedarf nötig, um auch kranken Kindern und Jugendlichen eine optimale Bildung garantieren zu können”, so die Schulleiterin.

Titelbild: ©JaNell Golden/Shutterstock.com