Infografik: Lernen und das Gehirn – was Sie wissen sollten
Wie lernen wir? Welche Prozesse laufen in unserem Gedächtnis ab? Und wie unterscheidet sich das Gehirn von Kindern und Jugendlichen von dem Erwachsener?
Das Gehirn ist eines der zentralen Organe unseres Körpers. Damit bewegen wir uns, nehmen Sinneseindrücke wahr, verarbeiten Informationen, bilden Meinungen, benutzen Sprache und erinnern uns. Das menschliche Gehirn ist nur etwa 1300 Gramm schwer, was im Gesamtgewicht des Körpers kaum eine Rolle spielt. Gleichzeitig benötigt es aber circa 20 Prozent aller Energie, die dem Körper zur Verfügung steht, um seine wichtigen Aufgaben zu erfüllen. In Verbindung mit dem Rückenmark steuert es als zentrales Nervensystem alle wichtigen Körperfunktionen und kann koordinieren, dass wir z. B. laufen oder nach einem Apfel greifen. Wie aber lernen wir und was passiert beim Lernen im Gehirn?
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Wie das Gehirn Informationen aufnimmt und speichert
Lernen beschreibt den Prozess des Aneignens und Anwendens von Wissen und Fähigkeiten. Dabei reagieren wir mithilfe von Erfahrung auf sich ändernde Umwelteinflüsse und prägen uns Informationen und Sinneseindrücke neu ein.
Das Gedächtnis wird in deklaratives und nicht-deklaratives Gedächtnis eingeteilt.
Im deklarativen Gedächtnis werden Episoden unseres Lebens (deswegen auch episodisches Gedächtnis genannt) und Ereignisse gespeichert, die wir uns immer wieder hervorholen können, z. B. die Erinnerung an unseren ersten Kuss. Im semantischen Gedächtnis, ebenfalls Teil des deklarativen Gedächtnisses, behalten wir Fakten und Zahlen, die wir bewusst erlernt haben, z. B. durch welche Länder der Rhein fließt oder den Satz des Pythagoras.
Im nicht-deklarativen Gedächtnis laufen Prozesse, die wir nicht oder kaum bewusst steuern, z. B. Radfahren (prozedurales Gedächtnis), das Wiedererkennen von Personen, Gegenständen und Orten (perzeptuelles Gedächtnis), die Lust auf Kaffee am Morgen (Konditionierung) oder die Verwunderung, wenn wir im Kaufhaus vor einer Rolltreppe stehen, obwohl wir doch gerade noch irgendwo das Aufzugsymbol beim Schlendern bemerkt haben (Priming).
Der Weg neuer Informationen in das Gedächtnis
Es gelangen unzählige Eindrücke über die Sinnesorgane in unser Gehirn. Sie werden als Informationen auf Nervenbahnen von den Sinnesorganen ans Gehirn weitergeleitet und dort in neuronalen Netzen gespeichert. Im Zwischenhirn werden zuerst unwichtige Eindrücke aussortiert und wichtige für maximal zwei Sekunden im Ultrakurzzeitgedächtnis gespeichert. Dazu bedient es sich verschiedener sensorischer Kortexareale, die auf der Großhirnrinde liegen und gleichzeitig aktiv sind. Ein Vorteil des multimedialen Lernens ist daher auch, dass mehrere Bereiche mit einem Lerninhalt konfrontiert werden können, wodurch sich dieser leichter vom Gehirn aufnehmen lässt. Oder anders gesagt: Die Chance ist beim Lernen mit mehreren Sinnen größer, dass etwas hängenbleibt.
Im Anschluss verweilt die neue Information für bis zu 45 Sekunden im Arbeitsgedächtnis, wo man sich z. B. auch eine Telefonnummer für kurze Zeit merken kann, ohne dass sie Anschluss noch einmal abrufbar wäre. Das Arbeitsgedächtnis wird von mehreren Bereichen im Hirn bedient, ein großer liegt im Frontallappen, im Stirnbereich.
Das Kurzzeitgedächtnis kann neue Informationen anschließend für einige Stunden aufrechterhalten. Das geschieht im limbischen System, dem Hippocampus und den angrenzenden Kortexarealen im Temporallappen. Hier werden die Neuronen allerdings nur aktiviert. Es wird keine neue Verbindung von Neuronen gespeichert. Dies geschieht erst durch Wiederholung und Auffrischung im Langzeitgedächtnis.
Im Langzeitgedächtnis, das den gesamten Kortex durchzieht, werden Informationen längerfristig, also teilweise für Jahre gespeichert. Neue Informationen werden dazu bei bereits vorhandenen Informationen eingespeichert, sie überschreiben oder ersetzen diese. Sie bilden als Neuronenverbindungen einen Teil des gesamten Netzwerks und sind integriert. Durch jedes neue Lernen verändert sich also teilweise die Hirnstruktur. Diese neuronalen Netze sind umso stärker und können schneller arbeiten, je häufiger sie trainiert werden, also je öfter Informationen abgerufen werden. Forscherinnen und Forscher sprechen dabei von „neuronaler Plastizität“, der Fähigkeit von Synapsen, Neuronen und Netzwerken, sich durch Optimierungsprozesse fortlaufend an sich ändernde Anforderungen anzupassen. Wird wiederholt, werden sie stärker. Wird nicht wiederholt, verkümmern die Verbindungen und machen Platz für anderes Wissen.
Der Unterschied beim Lernen zwischen Kindern und Erwachsenen
Kinder haben in einem Alter bis zu zehn Jahren etwa doppelt so viele Synapsen wie erwachsene Menschen. Danach halbiert sich diese Zahl und ab der Pubertät tritt kaum eine Veränderung in der Zahl der Synapsen auf. Das bedeutet, dass im Kindesalter aufgrund dieser hohen Synapsenzahl eine große Anpassungs- und Lernfähigkeit des Gehirns besteht. Die Art und Anzahl der sich aufbauenden neuronalen Netze ist aber individuell und hängt mit den erlernten Fähigkeiten zusammen.
Bereiche und Verbindungen des Gehirns, die im Kindesalter nicht oder wenig benötigt wurden, werden ab dem zehnten Lebensjahr wieder abgebaut, sodass sich die Struktur des Gehirns ab dem Eintritt ins Teenageralter noch einmal grundlegend ändert.
Ein weiterer Unterschied liegt in der Merkfähigkeit von Kindern. Babys können Erinnerungen nur bis zu 24 Stunden im Gedächtnis behalten. Mit zunehmenden Alter wächst das Erinnerungsvermögen und die Zeiträume, die erinnert werden können, werden länger. Das Langzeitgedächtnis wird in seiner Form erst ab dem fünften Lebensjahr ausgebildet. Hinzu kommt in diesem Alter die Entwicklung des präfrontalen Kortex, der für die Entscheidungsfindung und das logische Denken wichtig ist. Auch sprachliche Fähigkeiten und das räumliche Vorstellungsvermögen, die im Parietallapen und Temporallappen gebildet werden, nehmen zu.
Im Laufe eines Erwachsenenlebens können Strukturen des fertig entwickelten Gehirns teilweise umgebaut bzw. „umfunktioniert“ werden. Wenn z. B. durch Krankheit einige Bereich in ihrer Funktion gestört sind, können andere Bereiche des Gehirns ihre Aufgabe zumindest teilweise übernehmen. Das Gehirn ist somit ein bis ins Alter flexibles, anpassungsfähiges, vor allem aber trainierbares und lernfähiges Organ.
Wie lernen wir am besten im Unterricht?
Am besten lernen wir neue Informationen, indem wir in einem Umfeld interagieren, dass äußere und innere Einflüsse betrachtet und ggf. minimiert. Das bedeutet für den Unterricht, dass Lehrkräfte beachten, in welcher Situation die Schülerinnen und Schüler in den Unterricht kommen, z. B. müde, aufgekratzt oder hungrig. Welche Einflüsse aus der Umwelt spielen für die Schülerinnen und Schüler eine Rolle, z. B. wie sind die Temperatur- und Lichtverhältnisse im Klassenzimmer, wie ist das soziale Gefüge der Klasse, gibt es bei Einzelnen Probleme im Elternhaus, und wie kann die Lehrkraft diese ausblenden. Um die Konzentrationsfähigkeit der Lernenden zu stärken, sollten verschiedene Entspannungs- bzw. Aktivierungsübungen im Unterricht angewendet werden, um die Kinder und Jugendlichen auf das Lernen vorzubereiten.
Ein gedächtnisfreundlicher Unterricht beachtet darüber hinaus Möglichkeiten der mehrmaligen Wiederholung, bietet Perspektivwechsel auf bereits Gelerntes und nutzt eine spielerische Reaktivierung der neuronalen Verbindungen.
4 Strategien für einen gedächtnisfreundlichen Unterricht
Mit diesen vier Strategien können Lehrkräfte das Gedächtnis bei Schülerinnen und Schülern stimulieren und das Lernen anregen:
- Kooperativ lernen: Wenn Schülerinnen und Schüler sich im Unterricht gegenseitig Fragestellung sowie Lösungswege erklären, reaktivieren sie ihr verblassendes Wissen und können es so stärken. Diese Strategie verbessert nicht nur das Behalten von Informationen, sie fördert auch das aktive Lernen.
- Den Intervall-Effekt nutzen: Mit dem Intervall- oder Spacing-Effekt werden längere Wiederholungszyklen beim Lernen beschrieben. Ein Thema wird nicht nur einmal sehr intensiv gelernt und in einem kurzen Abstand dazu wiederanholt, sondern in längeren, teilweise mehrwöchigen Zyklen immer mal wieder aufgegriffen, um so effizienter im Gedächtnis verankert zu werden.
- Tests und Quiz anwenden: Für viele Schülerinnen und Schüler gibt es keine schlimmere Vorstellung, als wenn sie in einer Testsituation einen Blackout erleben – alles weg, was sie eben noch wussten.
- Text mit Bild verbinden: Wurde etwas mit mehreren Sinnen gelernt, ist es einfacher wieder abrufbar, als wenn es nur über Text vermittelt wurde. Daher sollten auch immer Bilder zur Wissensvermittlung verwendet werden, die als Foto, Zeichnung, Video oder Animation Wissensinhalte visualisieren und Abstraktes leichter zugänglich machen.
Eine Unterrichtsprinzip kann Think-Pair-Share sein, wonach die Schülerinnen und Schüler zuerst einzeln über den Arbeitsauftrag nachdenken, sich dann zusammentun und gegenseitig ihre Lösung erklären, um am Ende ihr gemeinsames Ergebnis zu präsentieren.
Dementsprechend sollte ein Thema im Laufe eines Schuljahrs an verschiedenen Punkten immer wieder aufgegriffen werden. Die Lernenden erhalten dadurch die Möglichkeit, das erlernte Wissen immer wieder abzurufen und erneut zu festigen. Eine kurze Auffrischung zum Stundenbeginn oder Hausaufgaben einige Wochen, nachdem das Thema zuletzt aufgegriffen wurde, sind zwei klassische Varianten. Auch Methoden wie die Quellenkritik oder Bildanalyse können über das gesamte Schuljahr hinweg immer wieder Bestandteil des Unterrichts sein, um vertiefend geübt zu werden.
Häufige Tests, die auch spielerisch als Pop-Quiz oder im Stil von „Wer wird Millionär?“ zum Einstieg in die Stunde angeboten werden können, reduzieren den Stress und erhöhen die langfristige Wissensspeicherung bei den Lernenden.
Zur Reaktivierung von Wissen können zu Beginn der Stunde verschiedene Bilder, Fotos oder Zeichnungen für die Schülerinnen und Schüler ausgebreitet werden, denen wichtige Begriffe zur vergangenen Unterrichtseinheit zugeordnet werden sollen. Anschließend begründen die Lernenden ihre Wahl und wiederholen so den Lernstoff sehr intensiv.
Weitere Hinweise zum gehirngerechten Lernen:
- Wie funktioniert gehirngerechtes Lernen?
- Aktives Lernen statt Überforderung
- Wie Lehrkräfte das Vergessen verhindern
Titelbild: © Soloviova Liudmyla/shutterstock.com
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