Unterricht für Flüchtlinge – ein ehemaliger Schulleiter erzählt
„Hauptschulblues“ unterstützt Lehrkräfte in Übergangsklassen. Einmal in der Woche kehrt er an seine alte Schule zurück.
Steckbrief
Name: Hauptschulblues
Schule: Mittelschule in Bayern
Fächer: Ein Mittelschullehrer unterrichtet einfach alles.
Die Schülerinnen und Schüler von heute … haben es schwerer als vor 30 Jahren.
Die Schule von morgen … wird hoffentlich nicht komplett digitalisiert!
Ich werde nie vergessen, wie … und wann ich mich entschieden habe, in die Schulleitung zu gehen.
Sie waren Schulleiter an einer bayrischen Haupt- bzw. jetzt Mittelschule, sind dann in den Ruhestand gegangen und arbeiten nun wieder einen Tag in der Woche an Ihrer alten Schule – als angestellter Lehrer. Warum?
Hauptschulblues: „Die pensionierten Volks- bzw. Hauptschullehrkräfte wurden von den Bezirksregierungen angeschrieben, ob sie nicht sogenannte Übergangsklassen unterrichten wollen. Zeit und Umfang des Lehrauftrags konnten frei gewählt werden. Da ich die Flüchtlinge als Bereicherung sehe, entschied ich mich für einen Tag in der Woche. Ich will dadurch fremdenfeindlichen Bestrebungen entgegenwirken: München bleibt bunt.“
Ihr Schulalltag hat sich grundlegend geändert. Wie sieht er heute aus?
Hauptschulblues: „Ich fange erst zur dritten Stunde an. Das ist ein wohltuender Unterschied. Ich komme an, rede mit der Sekretärin, dem Hausmeister oder mit der neuen Schulleitung. Kopiere, trinke einen Kaffee und gehe in den Unterricht. Dann bin ich für jeweils zwei Stunden zwei Lehrkräften zugeordnet. Ich arbeite auf Anweisung der Klassenleitungen, muss nicht planen oder Zeugnisse schreiben. Der Verwaltungsaufwand reduziert sich auf ein Minimum. Meine Verantwortung liegt jetzt in anderen Bereichen. Darüber blogge ich auch.“
Sie betreiben Ihren Blog Hauptschulblues bereits seit fünf Jahren. Inwiefern hat sich Ihr Schwerpunkt in diesen Jahren verändert?
Hauptschulblues: „Es sind meist übergeordnete Themen, die mich schon immer interessiert haben: Ergebnisse von Untersuchungen und Studien, Tendenzen in der Bildungslandschaft, Strukturen, welche die Arbeit behindern.
Ich beschreibe nicht die Probleme und Anekdoten des Lehreralltags. Das unterscheidet meinen Blog von vielen Blogs anderer Lehrerinnen und Lehrer. Insofern haben sich die Schwerpunkte kaum verändert.“
Wie haben Sie sich auf die neue Aufgabe, Flüchtlinge zu unterrichten, vorbereitet?
Hauptschulblues: „Überhaupt nicht. Ich bin lediglich mit einer Freundin, die ehrenamtlich in einer Erstaufnahmeeinrichtung als Ärztin arbeitet, mitgegangen und habe mir angeschaut, was die alltäglichen Bedarfe und Lebensbedingungen der Flüchtlinge sind. Sprachsensiblen Unterricht sollte ich bereits beherrschen. Meine Schule hatte immer über 80 Prozent Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund.“
Unterschiedliche Hintergründe, verschiedene Sprachen – welche Herausforderungen bringt Ihr jetziger Schulalltag noch mit sich?
Hauptschulblues: „Keine Traumata anrühren – sprachsensibel arbeiten –, einen Blick dafür haben, wo man außerschulisch eingreifen und unterstützen kann oder muss.“
Welche Themen stehen im Fokus?
Hauptschulblues: „Zu Beginn steht der Erwerb der Sprache im Mittelpunkt. Der Alltag muss bewältigt werden, Gefühle und Bedürfnisse müssen benannt werden können. Daran orientieren sich die Themen: Schule, Arbeitsmaterial, öffentliche Verkehrsmittel, die Jahreszeit, der Körper. Und all das muss in strukturierten Spracherwerb eingebunden sein.“
Woher nehmen Sie Ihre Unterrichtsideen und -materialien?
Hauptschulblues: „Es gibt im Netz und bei Verlagen eine Menge an Unterrichtsmaterial. Darauf kann man getrost zurückgreifen.“
Womit haben Sie nicht gerechnet?
Hauptschulblues: „Mit der Motivation und dem Interesse, das die Kinder und Jugendlichen der Schule entgegenbringen, obwohl die meisten in ihre Heimat zurück wollen. Es gibt keine Disziplinprobleme. Auch die Eltern – soweit vorhanden – zeigen großes Interesse am Lernfortschritt ihrer Kinder. Das ist schon überraschend.“
Was macht Ihnen am meisten Freude an Ihrer jetzigen Aufgabe?
Hauptschulblues: „Am schönsten ist es, die Offenheit, mit der Schule angenommen wird, zu beobachten.“
Was würden Sie Lehrerinnen und Lehrern raten, die eine Willkommensklasse unterrichten möchten, aber zögern?
Hauptschulblues: „Man muss herausfinden, was der Grund für das Zögern ist. Ist es die Angst vor neuen Herausforderungen, würde ich eher abraten. DaZ- oder DaF-Kenntnisse sind von Vorteil. Sie sollten meiner Meinung nach Pflichtprogramm einer jeden Lehrerausbildung sein. Es reicht aber auch eine große Unterrichtserfahrung. Wer gerne in der Schule gearbeitet hat und Zeit erübrigen kann, sollte es versuchen.“
Titelbild: © sofatutor.com
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Ich bin Chemie lehrerin und gerne in der Schule arbeite.Ich vollte unterstutzt Kinder
Gute Einstellung, Herr Lehrer. Auch ich habe 1/2 Jahr lang ehrenamtlich din einer Notunterkunft für geflüchtete Menschen mit Kindern Deutsch eingeübt, Malen undKneten und Singen mit den lern- und wissbegierigen Kindern angeboten. Seit die Kinder in der Schule sind (set 4 Monaten, haben sie sehr schnell gut Deutsch sprechen und schreiben gelernt.Sie können wieder lachen und spielen. Ängste haben meist nur die Erwachsenen.
Weiter so.
Gerda K. Rosellen
Mit großem Interesse las ich diesen Beitrag. Ich lebe in Sachsen,
habe Examina als Lehrer in Deutsch, Englisch und Kunst.
Als ich bei Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters meine Schule hier in Sachsen verlassen musste, war ich – entgegen vielen anderen Lehrern – wenig erfreut, denn ich bin Lehrer mit Herz und Seele. Andererseits war ich „innen“ wie besonders auch „außen“ um viele Jahre jünger als diejenigen, die mich dazumal mit warmen Worten, Blumen usw. verabschiedeten. Schade, dass man damals noch nicht so vernünftig entschied wie man es heute tut, wo Lehrer an allen Ecken und Enden fehlen. / Auch jetzt existieren in Sachsen offenbar mir unverständliche Auswahlverfahren, wenn es um Deutsch-Lehrer für Flüchtlinge geht. So habe ich mich mehrfach angeboten bei einer nahen Volkshochschule (VHS) bzw. in Dresden, erhielt aber einerseits eine ablehnende, unbegründete Nachricht (wenn als „Begründung“ gelten sollte: „das müssen Sie schon uns überlassen, wen wir auswählen.“ Da kommen einem schon sonderbare Gedanken darüber, wer sich hinter „WIR“ und „WEN“ verbirgt), andererseits gar keine endgültige Antwort.
Das ist doch eigentlich ganz und gar unmöglich!