Lernen in anderen Ländern: (digitales) Bildungsparadies? – Schweden

Schwedens Schulsystem hat einen guten Ruf: innovativ, sozial und kostenlos. Aber auch im Königreich liegen in der digitalen Bildung einige Stolperfallen.

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Das schwedisches Schulsystem: Eine Einführung

Wenn man das schwedische und das deutsche Schulsystem miteinander vergleicht, fallen einige Unterschiede auf. So ist z. B. die Schulpflicht in Schweden etwas kürzer. Sie gilt im Königreich für alle Kinder zwischen sieben und 16 Jahren. Diese neun Jahre verbringen alle schwedischen Kinder in der „Grundschule“ („grundskolan“), in der sie eingliedrig lernen. Es gibt also im Gegensatz zu Deutschland keine Aufteilung in unterschiedliche Schulformen in der Mitte der Schulkarriere. Erst im Anschluss an die neun Jahre können die schwedischen Schülerinnen und Schüler drei Jahre lang die Gymnasialschule absolvieren, um ihre Matura zu erlangen. Für den Zugang zur Gymnasialstufe müssen die Noten allerdings entsprechend gut sein. Diese werden mittlerweile erst ab der sechsten Klasse vergeben. Früher geschah dies sogar erst ab der achten Klasse, wie es auch in anderen skandinavischen Ländern üblich ist. Das schlechte Abschneiden bei der PISA-Studie der OECD im Jahr 2013 führte jedoch zu einer Schulreform in Schweden, bei der u. a. der Einstieg in die Notenvergabe auf die Klassenstufe sechs herabgesenkt wurde.

Bildungsparadies Schweden

Bevor man die Grundschule bestreitet, kommt man als Schwede bzw. Schwedin spätestens mit der Vollendung des dritten Lebensjahrs in die Vorschule. Dort erlernen die Schweden spielerisch, was sie in der Schule vertiefen. Die Kommune muss den schwedischen Familien übrigens ab dem Herbst des Jahres, in dem das Kind das dritte Lebensjahr vollendet, einen Kitaplatz zur Verfügung stellen – kostenlos.

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Generell ist Schulpolitik seit den 1980er Jahren Kommunalpolitik. Die schwedischen Kommunen entsprechen in etwa den deutschen Gemeinden, Kommunen und Städten. Daneben gibt es weitere kostenlose Leistungen für schwedische Bürgerinnen und Bürger: Die Schule ist kostenlos, ebenso die Lernmittel, das Schulessen und die Transporte im Schulalltag. Da könnte man neidisch werden. Für viele ist das Land im Norden daher ein Bildungsparadies: Kleine Klassen, viel Gruppenarbeit sowie heterogene Lerngruppen, die inkludieren und es schaffen, das individuelle Lerntempo eines einzelnen Schülers bzw. einer einzelnen Schülerin zu berücksichtigen.

Digitale Bildung – Status quo?

In Hinblick auf die Ausstattung und Ausbildung mit technischen Geräten und digitalen Medien sind die Schweden vorbildlich. Da die Gemeinden das Bildungsbudget verwalten, gehen fast 45 Prozent aller Gemeindeeinnahmen an Bildungseinrichtungen. Die Schulen sind in der Festlegung ihrer Ausstattung weitgehend frei. Je nach Bedarf werden neue Geräte angeschafft, die IT-Infrastruktur verbessert und die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Lehrerschaft im Umgang mit digitalen Medien geschult. Das gehört zum schwedischen Selbstverständnis. Man strebt nach Innovation und ist auch in der Software-Entwicklung Vorreiter. Ein Beispiel: Der Spielehit Minecraft wurde vom schwedischen Programmierer Magnus Persson entwickelt. Bereits seit Jahren erforscht man in Schweden die Möglichkeiten des spielerischen Lernens mit digitalen Medien. Forscherinnen und Forscher der Universität Lund gehen z. B. davon aus, dass digitale Bildungsspiele die mathematischen und konzeptuellen Fähigkeiten der 7- bis 14-Jährigen verbessern.

Also wird viel Geld in die Schulausstattung investiert. Die schwedischen Schulen arbeiten dabei unter einem hohen Konkurrenzdruck. Denn Eltern erhalten vom Staat Bildungsgutscheine, die es ihnen ermöglichen, frei auszuwählen, ob ihr Kind auf eine staatliche oder private Schule gehen soll. Das mag vielleicht die Innovationsfreude der Bildungsanstalten fördern. Gleichzeitig führt es jedoch zu dem Problem, dass sich die Schulen qualitativ weit voneinander entfernen. Gute Schulen mit einer Schülerschaft, die gute Abschlüsse erzielt, sind beliebt bei den Eltern. Weniger gute Schulen werden auch im Notenvergleich mit ihren Konkurrenten schlechter, da sich kaum gute Schülerinnen und Schüler um eine Aufnahme bemühen. So entstehen Milieus wie im Stockholmer Vorort Rinkeby, vergleichbar mit dem einstigen Image der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln.

PISA-Schock für Schweden

Auch werden in Schweden Kinder mit Migrationshintergrund für den Leistungsabfall der schwedischen Schülerschaft in der PISA-Studie verantwortlich gemacht. So begründet die schwedische Bildungsbehörde, „Skolverket“, das Absacken im Gesamtranking mit dem verstärkten Zuzug ausländischer schulpflichtiger Kinder. Es gibt daneben Vermutungen, dass das liberale Schulauswahlverfahren Schuld am derzeitigen unterdurchschnittlichen Platz in der Vergleichsstudie der OECD sein könnte. Vielleicht sind es auch die Kommunen oder eben doch die faulen Schülerinnen und Schüler, sicher ist man sich nicht. Aber es müssen weitere Veränderungen her.

Eine nationale Strategie für eine kommunale Aufgabe

Also will Skolverket die digitale Kompetenz an den grundständigen Schulen verbessern. Dazu gibt es seit Anfang April 2016 den Vorschlag für eine nationale IT-Strategie der Regierung. Kommt Ihnen das bekannt vor? Auch in Deutschland fordern Politiker und Politikerinnen einen derartigen Bildungspakt zwischen Bund und Ländern. Der entsprechende Antrag wurde im Juli 2015 vom Bundestag angenommen. Seitdem ist es still geworden. Einzig die Budgets für OER-orientierte Projekte wurden vom Bildungsministerium aufgestockt. Bleibt zu hoffen, dass es in Schweden schneller vorangeht.

Skolverket hat im Auftrag der Regierung in Stockholm ergründet, wie man die digitale Kompetenz der Schülerinnen und Schüler verbessern kann. Ihre Empfehlungen lauten:

  • Programmieren wird kein eigenes Fach in der Grundschule.
  • Programmieren soll jedoch stärker in die Fächer Mathematik und Technik implementiert werden.
  • Dadurch soll das Programmieren eine praxisorientierte Anwendung erfahren.
  • Das Programmieren wird zu einem pädagogischen Werkzeug: In Mathe soll mithilfe von Programmierkenntnissen trainiert werden, wie man Probleme löst; in Technik sollen eigene Konstruktionen gebaut und das Verständnis von Computern und Netzwerken vermittelt werden.
  • In „Gesellschaftskunde“ („samhällskunskap“) sollen die Themen „Medien- und Informationskompetenz“, „Partizipation im Internet“ sowie „Verantwortung im Internet“ stärker besprochen werden.
  • In Schwedisch und Schwedisch als Fremdsprache sollen verstärkt digitale Texte besprochen, das Lesen am Bildschirm geübt sowie die Anwendung digitaler Werkzeuge vermittelt werden.
  • Lehrerinnen und Lehrer, aber vor allem Rektorinnen und Rektoren, sollen im Umgang mit digitalen Medien und Werkzeugen geschult werden.
  • Rektoren und Rektorinnen sollen mit der neuen Strategie die Verantwortung für die Aus- und Weiterbildung sowie den Austausch innerhalb des Lehrerkollegiums übernehmen.
  • In den Grundschulen soll nach diesem Vorschlag jedem Schüler und jeder Schülerin innerhalb der nächsten drei Jahre ein eigenes Gerät zur Verfügung gestellt werden.

Die ausgemachten Ziele dieser Strategie sind gleiche Voraussetzungen für alle Schülerinnen und Schüler für den Zugang zur Digitalisierung und dem kompetenten Umgang mit digitalen Werkzeugen. Auch das erinnert an ein anderes Land, in dem dieser Ansatz verfolgt wird. Die USA und der aktualisierte National EdTech Plan streben ebenso eine „no child left behind“-Politik an, die alle Schülerinnen und Schüler auf den gleichen Stand bringen möchte – unabhängig vom sozialen Status oder Einkommen der Eltern. Dadurch soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Länder verbessert und die Kinder auf die Herausforderungen des Arbeitsmarktes der Zukunft vorbereitet werden. In Schweden soll die Strategie, deren erste Entwürfe nun vom Skolverket präsentiert wurden, bereits zum 30. Juni 2016 Eingang in die Lehr- und Kurspläne der Schulen Schwedens finden.




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