Lernen in anderen Ländern: Russland und die Chancen der Digitalisierung
In Russland ist vor allem die enorme Weite des Landes ein Problem für die Lernenden. Ein digitaler Ansatz soll jetzt allen ermöglichen, eine gute Bildung zu erhalten. Egal, wo sie lernen.
Wie ist das russische Schulsystem aufgebaut?
Die Schulzeit beträgt in Russland elf Jahre. Die Schulbildung an öffentlichen Schulen ist kostenlos. Im Alter von sechs oder sieben Jahren werden die Kinder eingeschult. Dann besuchen sie vier Jahre lang die Grundschule. Im Anschluss kommen alle Schülerinnen und Schüler für fünf Jahre auf die Hauptschule. Dabei wird nicht nach Leistung unterschieden, sondern die Kinder verbleiben häufig in den gleichen Klassen, im gleichen Schulgebäude. Am Ende der neunten Klasse absolvieren sie eine staatliche Prüfung. Nur Schülerinnen und Schüler mit guten Noten können sich im Anschluss für zwei weitere Jahre auf der Oberschule entscheiden. Die anderen beginnen eine Ausbildung an der Berufsschule. Die Jugendlichen der Oberschule legen am Ende der elften Klasse die Prüfung zum mittleren Schulabschluss ab, die dem deutschen Abitur entspricht. Um an einer Fachhochschule, in Russland „Institut“ genannt, oder der Universität zugelassen zu werden, müssen sie dann noch einmal eine Aufnahmeprüfung bestehen. Diese Aufnahmeprüfung soll jedoch bis 2020 durch den zentralisierten mittleren Schulabschluss abgelöst werden.
Strenge Kontrolle und akademischer Fokus
Es gibt keine Schuluniformen mehr an öffentlichen Schulen in Russland, wie noch zu Zeiten der Sowjetunion, aber die Schülerinnen und Schüler halten sich an einheitliche Kleiderregeln, sodass sie im Vergleich zu deutschen Kindern häufig eher förmlich gekleidet zur Schule gehen. In russischen Schulen wird meist zum Ende der Stunde eine Note vergeben, die dann vom Lehrer bzw. der Lehrerin direkt ins Hausaufgabenheft, dort als Schultagebuch bezeichnet, eingetragen wird. Einmal in der Woche müssen die Eltern dieses unterschreiben, sodass die Noten zu Hause nicht verheimlicht werden können. Die besten Note ist die 5, die schlechteste die 2.
Aufgrund des Zusammenbruchs der Sowjetunion konnten viele russische Schulen in den 1990er Jahren ohne bürokratischen Druck mit Lehrformen experimentieren. Seit der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins im Jahr 2000 konzentrieren sich die Schulen jedoch wieder stark auf die Vorbereitung zur akademischen Laufbahn der Schülerschaft. Das führt dazu, dass Russland im internationalen Vergleich bei PISA zunehmend besser abschneidet und sich in allen Bereichen aus einem unteren Mittelfeld hocharbeitet.
Der Lehrberuf in Russland
Russischen Lehrerinnen und Lehrern wird ein strenger Unterricht nachgesagt, der noch aus der Zeit der Sowjetunion nachklingt. Häufig wurde im Unterricht geschrieen und Lehrkräfte maßregelten die Kinder. Heute gibt es jedoch Initiativen, wie „Lehrer für Russland“, die das ändern möchten. Sie wollen jungen Lehrerinnen und Lehrern mehr Freiheiten und Möglichkeiten zur Gestaltung des Unterrichts geben.
Der Lehrberuf ist in Russland nicht sehr hoch angesehen. Er wird verhältnismäßig schlecht bezahlt und ist mit einem hohen organisatorischen Aufwand verbunden. Außerdem werden Lehrerinnen und Lehrer von staatlicher Seite streng kontrolliert und erhalten detaillierte Vorgaben für die Gestaltung des Unterrichts. Lehrerinnen und Lehrer für den Vorschul- und Grundschulbereich können im Zeitraum von zwei bis zu fünf Jahren an beruflichen Schulen ausgebildet werden. Lehrerinnen und Lehrer der Hauptschule und Oberstufe studieren das Lehramt an der Universität.
Digitalisierung als Chance für die Bildungsgerechtigkeit
Russland ist aufgrund seiner enormen Größe vor besondere Herausforderungen gestellt. Während es in den großen und bevölkerungsstarken Städten, wie Moskau oder St. Petersburg, eine Auswahl an vielfältigen Bildungsangeboten gibt, haben es Schulen in den ruralen Gebieten schwer, mit zu kleinen Schulgebäuden und mangelnder Ausstattung alle Kinder gut zu unterrichten. Hier sind digitale Medien eine Chance, die Bildungsgerechtigkeit zu fördern und den Qualitätsunterschied durch das Stadt-Land-Gefälle sukzessive auszugleichen.
Durch Fernkurse und moderne E-Learningangebote können Schülerinnen und Schüler auch dann unterrichtet werden, wenn z. B. schwierige Wetterverhältnisse es unmöglich machen, zur Schule zu kommen. Im Sommer 2016 wurde daher das Programm „Die russische elektronische Schule“ vom Bildungsministerium vorgestellt. Demnach sollen die besten Lehrerinnen und Lehrer des Landes interaktive Video-Lektionen erstellen. So sollen in einem Zeitraum von drei bis vier Jahren alle Fächer und Klassenstufen abgedeckt werden. Die „elektronischen Schule“ soll für alle Schülerinnen und Schüler des Landes zugänglich sein und ergänzend zum Präsenzunterricht angeboten werden. Für Kinder, die z. B. als Leistungssportler und -sportlerinnen oder aufgrund von körperlichen Behinderungen nicht am Regelunterricht teilnehmen können, soll die Plattform auch den gesamten Unterricht abbilden können. Zunächst werden die Fächer der Klassenstufen 5 bis 9 in Video-Lektionen festgehalten. Neben Unterrichtseinheiten sollen auch Handbücher, Schülervorträge und Schulungsunterlagen digital bereitgestellt werden.
Kritiker weisen darauf hin, dass es sich nur um eine Übertragung des derzeitigen Bildungssystems ins Digitale handelt. Die Reformen müssten weitergehen und die Chancen der Digitalisierung für einen neuen Unterricht müssten stärker vom Bildungsministerium beachtet werden.
Ein Beitrag des ForumBD weist außerdem auf das Projekt „Mobile elektronische Schule“ hin, bei dem digitale Materialien, Apps und Videos in einer russlandweiten Bildungscloud zur Verfügung stünden. Das Projekt sei Teil des Innovationszentrums Skolkowo, das von Alexander Kondakov, einem russischen Bildungsaktivisten, geleitet würde. Mittlerweile engagieren sich auch große Unternehmen wie Intel und Samsung in Russland und wollen den Bildungsmarkt in Russland durch digitale und elektronische Angebote revolutionieren.
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Titelbild: © Malykalexa/shutterstock.com
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