Fernunterricht: Erfahrungen eines Lehrers und 11 Tipps für die Online-Lehre
Wie erhalten Schülerinnen und Schüler trotz der Schulschließungen ihre Aufgaben? Und wie kann man sie ohne persönlichen Kontakt zum Lernen motivieren? Deutschlehrer Patrick Tolxdorf erklärt, wie er zu festen Anwesenheitszeiten mithilfe von Schul-Cloud und datenschutzkonformen Messenger unterrichtet.
Patrick Tolxdorf ist Lehrer für Deutsch und LER am Gymnasium „Bertolt Brecht“ in Bad Freienwalde. Wir haben ihn gefragt, wie er den Unterricht aus der Ferne in den letzten Wochen gestaltete und was er und seine Schülerinnen und Schüler dabei gelernt haben.
Außerdem geben wir 11 Inspirationen für Ihren Online-Unterricht.
Patrick, wie war es für dich, als die Ansage kam, dass die Schulen geschlossen werden?
Patrick Tolxdorf: „Unsere Schulleitung hatte uns bereits eine Woche vor den Schließungen darauf eingestimmt, sodass wir uns als Kollegium etwas vorbereiten konnten. Aber da wir nicht den genauen Zeitpunkt der Schließungen kannten, waren wir natürlich trotzdem etwas überrumpelt. Aber es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung.“
Wie hast du deinen Unterricht mal eben auf Heim- und Fernunterricht umgestellt?
Patrick Tolxdorf: „Für mich als Berufsanfänger, der erst seit einem Jahr mit dem Referendariat fertig ist, bedeuten normale Unterrichtsvorbereitungen immer noch einen großen zeitlichen Aufwand. Dazu kommt, dass ich methodisch noch mal total umschalten musste – von vielfältig und interaktiv zu einem eher klassischen Aufgabenunterricht. Letzteres wurde uns eigentlich während der Lehrausbildung ausgetrieben! Aber für mich persönlich bewährt sich der Dreiklang aus Texten, Aufgaben und Kontrolle während des Schulausfalls bislang am besten. Das ist nicht immer der schönste Unterricht, aber er funktioniert für das Lernen von zu Hause sehr gut.“
Hattet ihr bereits vor den Schließungen ein funktionierendes Lernmanagementsystem?
Patrick Tolxdorf: „Glücklicherweise ist unsere Schule eine von 128 Schulen, die die Schul-Cloud des Hasso-Plattner-Instituts bereits zu Beginn des Schuljahres eingeführt hatten. Das Gute daran war, dass unsere digital affinen Kolleginnen und Kollegen die Schul-Cloud bereits im Laufe des Schuljahres im normalen Unterricht einsetzen konnten. Dadurch kannten sich alle Schülerinnen und Schüler ab Klasse 10 aufwärts bereits sehr gut damit aus. Den Jüngeren müssen wir die Handhabung jetzt natürlich teilweise noch etwas erklären.“
Wie werden die Leistungen der Schülerinnen und Schüler jetzt abgefragt bzw. geprüft?
Patrick Tolxdorf: „Ich stelle meinen Schülerinnen und Schülern online passgenaue Texte und Aufgaben in allen drei Anforderungsbereichen zur Verfügung. Ihre Ergebnisse müssen sie dann ebenfalls als Datei hochladen. Das Problem hierbei ist, dass ich im normalen Unterricht rumgehe und über die Schultern der Kinder und Jugendlichen schaue. So kann ich direkt Input geben. Später besprechen wir die verschiedenen Lösungen im Klassenverband. Das fällt natürlich jetzt weg. Stattdessen stelle ich, wenn alle Schülerinnen und Schüler ihre Antworten zu einer bestimmten Deadline hochgeladen haben, eine Musterlösung online. So können die Schülerinnen und Schüler die eigenen Ergebnisse mit den Lösungen abgleichen. Das korrigierte Endergebnis soll dann ausgedruckt und abgeheftet werden.“
Wie kommunizierst du aktuell mit deiner Klasse?
Patrick Tolxdorf: „Wir nutzen neben der HPI-Cloud als Arbeitsmittel noch ein anderes Tool zur reinen Schulkommunikation. Es heißt schul.cloud und ist eine Art WhatsApp-Alternative aus Deutschland. Die Schülerinnen und Schüler sind also während des Heimunterrichts in beiden Clouds aktiv.“
Heißt das, es gibt weiterhin feste Unterrichtszeiten?
Patrick Tolxdorf: „Das handhaben die Lehrkräfte an unserer Schule unterschiedlich. Einige haben Wochenpläne vorbereitet, sodass die Schülerinnen und Schüler Aufgaben für die gesamte Zeit ohne Präsenzunterricht haben. Andere Lehrerinnen und Lehrer geben Aufgaben für eine Woche auf und die Kinder sollen diese dann selbstgesteuert bearbeiten und ihre Ergebnisse hochladen.
Ich arbeite mit festen Anwesenheitszeiten zu den normalen Zeiten des Stundenplans. Meine Aufgaben sind dabei so konzipiert, dass die Schülerinnen und Schüler sie in 90 Minuten lösen und zum Ende der Stunde wirklich abgeben sollen.“
Welche interaktiven Formen des Austauschs hast du mittlerweile für dich entdeckt?
Patrick Tolxdorf: „Mir selbst fällt es ehrlich gesagt schwer, interaktiv mit der Klasse zu arbeiten. Ich habe zu Anfang mal eine Lesekonferenz ausprobiert, das hat bei uns leider nicht wirklich geklappt. Meine siebte Klasse hatte in der ersten Woche der Schulschließungen einfach nicht die nötigen digitalen Skills. Leider sind die meisten Kinder nicht die „Digital Natives“, wie wir immer glauben. Sie mussten erst mal lernen, wie man einen Anhang einer E-Mail hinzufügt oder eine Textdatei von einem pages-Format in ein für Microsoft oder Open Office kompatibles Format umwandelt. Das beherrschen sie jetzt aber sehr gut!
Ich habe aber z. B. eine Latein-Kollegin, die kahoot und quizlet nutzt, um die Stundensicherung durchzuführen. Darin werden, wie in einer Quiz-Show, Fragen gestellt und die Schülerinnen und Schüler haben fünf Sekunden Zeit, um die richtige Konjugation auszuwählen.“
Welche Probleme treten für dich durch die Schulschließungen auf?
Patrick Tolxdorf: „Es fehlen die Noten aus den Tests, Klassenarbeiten oder Lernkontrollen. Man kann die Ergebnisse aus dem Homeschooling kaum bewerten, weil klar ist, dass dann auch die Eltern mithelfen. Dadurch, dass ich jetzt vor den Osterferien keine Klassenarbeit mit meiner siebten Klasse mehr schreiben konnte, müssen wir in den verbleibenden zwei Monaten des Schuljahres noch zwei Arbeiten schreiben. Da muss ich überlegen, zu welchen Themen das überhaupt möglich sein wird.“
11 Tipps zum Online-Unterricht
Um Sie als Lehrkraft mit weiteren Ideen zu inspirieren, haben wir elf Tipps zusammengestellt, wie ein Unterricht ohne Präsenzphase gelingen kann:
- Drehen Sie einen Screencast oder ein Whiteboard-Video für Ihre Schülerinnen und Schüler. Die Videos müssen nicht perfekt sein, wichtig ist, dass Sie vorab wissen, worauf Sie inhaltlich hinauswollen. Versuchen Sie, immer nur eine Information pro Video zu verarbeiten.
- Drehen Sie außerdem kurze Videos, in denen Sie Ihrer Klasse die Ziele für die Woche vorgeben oder einfach nur „Hallo“ sagen. Die sozialen Aspekte der Schule sollten nicht verlorengehen.
- Schauen Sie nach passenden Online-Tools für Ihren Fachunterricht. Mit diesen können die Schülerinnen und Schüler z. B. physikalische Messungen durchführen.
- Nutzen Sie Quiz-Fragen, um interaktive Elemente in den Unterricht einzubauen, z. B. über kahoot oder quizlet.
- Lassen Sie die Schülerinnen und Schüler kollaborativ arbeiten, z. B. über das Etherpad.
- Verwenden Sie Unterrichtsansätze, wie Flipped Classroom oder Tipped Classroom, bei denen sich die Schülerinnen und Schüler neue Inhalte vorab selbst erarbeiten. Anschließend können die Kinder Präsentationen oder eigene kleine Videos dazu erstellt, in denen sie ihre Erkenntnisse zusammenfassen.
- Organisieren Sie Ihre Aufgaben, z. B. mithilfe von Trello oder einem Kanban-Tool.
- Fragen Sie die emotionale Grundstimmung Ihrer Schülerinnen und Schüler so oft wie möglich ab. Dazu können die Kinder zu Beginn der Stunde einen Smiley als Emoji teilen oder kurz schreiben, was sie aktuell beschäftigt.
- Sehen Sie sich online nach für Sie kostenfreien Lehrmaterialien um. Einerseits können dies natürlich Videos, Übungen oder Arbeitsblätter von sofatutor sein, die Sie mit Ihren Schülerinnen und Schülern teilen oder Sie informieren sich über passende OER-Materialien, z. B. auf dem ZUM-Portal.
- Bauen Sie kleine Lernteams auf: In Zweier- oder Vierergruppen tauschen sich die Schülerinnen und Schüler über ihre Aufgaben aus. Dazu können sich die Kinder gegenseitig anrufen, in Chatgruppen austauschen oder videochatten. Die Ergebnisse halten sie schriftlich fest.
- Organisieren Sie eine Homeschooling-Challenge, um Ihre Schülerinnen und Schüler zu motivieren, spielerisch im Alltag zu lernen. Lehrerin Christina Hinrichs, die auch mit sofatutor unterrichtet, hat ihren Wochenplan auf Twitter geteilt.
Erste Woche #homeschooling ist überstanden! Jetzt geht’s ins Wochenende! Ab Montag startet meine Klasse mit einer #homeschoolingchallenge 👇🏻 #twlz pic.twitter.com/JTL1NozXkF
— Christina Hinrichs (@tinalina255) March 20, 2020
Titelbild: ©Chris Spiegl/Unsplash
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Was mich stört sind diese Interviews mit den Leuten, die zufällig immer schon auf eine gute oder wenigstens mittelmäßige Infrastruktur zurückgreifen können. Wenn es aber einfach keinerlei Voraussetzungen wie gemeinsam genutzte Plattformen, für alle Kinder einen akzeptablen Internet Zugang und Eltern gibt, die einen auch verstehen am Telefon, dann sind solche Tipps einfach für die Tonne.
Das bildet einfach keine gängige Realität ab, was hier beschrieben wird. Die Probleme sind ganz andere. Es freut mich ja, dass Patrick das einigermaßen hinbekommt, aber sobald man nicht die gute alte Mittelstandsfamilie im Rücken hat, dann sind diese Online Angebote wirklich schwer zu etablieren, weil es eben vorher auch niemanden interessiert hat, dass es das gibt und dass man 2020 so ja arbeiten könnte.
Hallo Mathis,
danke für das Feedback! Sie haben sicherlich Recht, dass die „Realität“ für Herrn Tolxdorf nicht auf alle anderen Lehrkräfte in Deutschland umgelegt werden kann. Bei der Auswahl des Interviewpartners sind wir aber auch nicht mit dem Anspruch vorgegangen, jemanden zu zeigen, bei dem es toll läuft, sondern wollten einen echten Eindruck, gern auch kurzfristig, bekommen, wie aktuell gelehrt wird. Wenn Sie einen Interviewpartner bzw. -partnerin für uns haben, die über genau die von Ihnen angesprochene Situation berichten wollen, freuen wir uns über eine E-Mail an magazin@sofatutor.com.
Danke und viele Grüße
die Redaktion der sofatutor-Magazine