Lernen in anderen Ländern: Kanada und die gerechte Bildung

Kanada gehört seit Jahren zu den Gewinnern im PISA-Vergleich. Mit Blick auf aktuelle Herausforderungen an deutschen Schulen stellt sich die Frage – liegt’s am digitalen Mindset?

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Digitale Medien als Chance für eine gerechte Bildung

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Das zweitgrößte Land der Erde geht digitale Wege, um gleichmäßig hohe Bildungsstandards unter seinen Schüler*innen zu erreichen: Laut der letzten OECD-Auswertung von 2018 kommen 1,1 Computer auf jeden Schüler bzw. jede Schülerin in der Schule, während Deutschland bei 0,7 Computer pro Schüler/-in landet. Eine Grundlage dafür könnte sein, dass der Anteil der Bildungsausgaben im BIP in Kanada bei 5,27 Prozent liegt (Quelle: DAAD). In Deutschland sind es 4,3 Prozent (Quelle: statista). 

Die Bestrebungen der kanadischen Regierung, Schulen als offenen Ort der Chancen für alle zu gestalten, schlägt sich auch in der Auswertung der Bildungsgerechtigkeit nieder. Beim gerechten Zugang zur Bildung (unabhängig von der Höhe des Einkommens bzw. des Bildungsgrads der Eltern) landete Kanada im PISA-Vergleich 2015 auf Platz 7, Deutschland auf Platz 16. Das hat zur Folge, dass Kinder mit Migrationshintergrund in Kanada genauso gute schulische Leistungen erbringen wie alle anderen. Kanada ist geprägt von einer regulierenden Einwanderungspolitik, die jedes Jahr circa eine Viertelmillion Menschen aufnimmt. Es ist also besonders wichtig für das Land, für eine gute Bildungsgrundlage für alle Mitmenschen zu sorgen. In Deutschland überträgt sich die soziale Ungleichheit auch auf die Erfolgschancen von Kindern in der Schule. 

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Wo gemeinsam und doch individuell gelernt wird

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Schule ist in Kanada Sache der Provinzen, was ungefähr dem föderalen Prinzip Deutschlands entspricht. Die Befugnisse der Kommunen und einzelnen Schulen sind jedoch viel weitreichender als in Deutschland. Kursangebote, Ausstattung und Anstellung von Lehrkräften werden von den Schulen festgelegt. Einzig die Schulabschlüsse werden nach national geltenden Standards vergeben, die über Prüfungen in besonderen Leistungskursen (Advanced Placement) erlangt werden. Sie dienen der Vorbereitung auf den Hochschulbesuch.

Es gibt öffentliche und private Schulen (Independent High Schools / Private High Schools) in Kanada. Die Zuteilung zu einer öffentlichen Schule erfolgt über das Einzugsgebiet. Private Schulen werden daher teilweise als Boarding Schools, sprich überregionale Internatsschulen, angeboten, um für Familien im ganzen Land attraktiver zu sein. Die Qualität des Unterrichts ist an beiden Schultypen hoch. Über 95 Prozent der kanadischen Kinder besuchen öffentliche Schulen.

Alle kanadischen Grund- und weiterführenden Schulen sind als Ganztagsschulen von 8 bis 15 Uhr organisiert. So haben neun von zehn kanadischen Kindern auch nach dem Unterricht noch Zugang zu Selbstlernmöglichkeiten, laut OECD-Bericht von 2018. In Deutschland wächst der Anteil der Schulen, die auch am Nachmittag ein Angebot haben (2018/2019 waren es bundesweit 69 Prozent). Es wird noch es einige Jahre dauern, ehe alle deutschen Kinder und Jugendlichen im Ganztagsformat beschult werden können. Darüber hinaus werden alle Schüler*innen in Kanada inklusiv unterrichtet, dadurch sind die meisten Schulgebäude entsprechend renoviert oder gleich barrierefrei konstruiert worden.

Individuelle Stundenpläne zur Profilbildung

Wer in Kanada die High School besucht, kann in Klasse sieben bzw. acht den Stundenplan nach individuellen Schwerpunkten zusammenstellen. Mathe und Englisch (bzw. Französisch für die Region Québec) bleiben meistens weiterhin Pflichtkurse, die restlichen Kurse können frei gewählt werden. Dadurch können sich die Jugendlichen schon frühzeitig auf ein Studium oder eine praktische Ausbildung vorbereiten. So gibt es berufsvorbereitende Kurse für Business oder Economics, daneben technische Kurse, z. B. in Robotics oder handwerkliche oder künstlerische Kurse, wie Wood Working oder Architecture. Es gibt auch Kurse, die eher auf projektorientiertes Lernen abzielen, z. B. Musical-Kurse, die die Zusammenarbeit der Kinder und Jugendlichen entlang ihrer Interessen fördern sollen. 

Der Digitalisierungsplan DC150 in Kanada

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Der Digitalisierungsplan Digital Canada150 (DC150) wurde zum 150. Geburtstag Kanadas im Jahr 2014 eingeführt. Ziel der Strategie ist es, alle Kanadier*innen digital auszustatten – unabhängig davon, wo sie in dem 10 Millionen km² großen Land leben. Dafür sollen zum einen deren Kenntnisse im Umgang mit dem Internet erweitert und zum anderen die nötige digitale Infrastruktur im Land geschaffen werden. Auf diese Weise sollen auch Einwohner*innen, die z. B. im ruralen Norden wohnen, Zugang zum Internet und hochwertigen Bildungsinhalten bekommen. Nach neuen Untersuchungen der Firma preply aus dem Herbst 2020 verfügt Kanada mittlerweile über das beste Preis-Leistungs-Verhältnis für den Internetzugang weltweit.

Teil der Digital-Strategie sind dabei der Breitbandausbau und eine bessere Computerausstattung an Schulen. Kanada ermöglichte es jedoch bereits seit 1993, dass funktionsfähige Computer im Rahmen des „Computers for Schools“-Programmes an Schulen, NGOs, indigene Gruppen oder sozial schwache Haushalte gespendet werden können.

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Marshall McLuhan-Saal |©Kanadische Botschaft Berlin

Digitale Technologien und Plattformen finden dank DC150 sowohl im Schulkontext als auch im Alltag Anwendung – und das weltweit. So bietet die Kanadische Botschaft in Berlin ein eigenes Bildungsprogramm an, den Canada Explorer, der durch einen interaktiven Lernort, den Marshall McLuhan Salon, erweitert und abgerundet wird. Lehrkräfte und andere Entscheidungsträger aus dem Bildungsbereich können sich hier zu kanada-bezogenen Themen informieren, u. a. Multikulturalismus & Diversität, Frankophonie, Indigene Gruppen. 

Das Land im Norden ist aktuell Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2020/2021. Dazu hat es für dieses Jahr ein virtuelles Programm angekündigt. Neun kanadische Autor*innen sowie Illustrator*innen werden sich darin mit aktuellen literarischen Phänomenen Kanadas auseinandersetzen und Diskussionen leiten. So zeigt Kanada auf vielen Ebenen, wie das Land mit Herausforderungen kreativ und mithilfe eines digitalen Mindsets umgeht.

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Titelbild: © Matt Benoit/shutterstock.com