Das Besuchskinder-Dilemma: „Kann ich was Süßes haben?“
Meine Kinder haben ungehinderten Zugang zu Süßigkeiten. Ich gerate jedoch in Gewissenskonflikte, wenn uns ihre Freunde besuchen, die zu Hause Trockenobst oder Vollkornkekse zugeteilt bekommen. Mein Haus, meine Regeln?
Wenn fremde Kinder wissen, wo der Süßkram ist
Sie tut mir leid. Wie sie mit ihren großen Kulleraugen vor mir steht und mit ihrer niedlichen Stimme zaghaft fragt, ob sie von mir „was Süßes“ haben könnte. Jüngst pirscht sich Freundin Luna an mich heran, kaum dass sie ein paar Minuten bei uns in der Wohnung ist.
Luna weiß, wo bei uns das Süßigkeitenregal ist. Sie weiß auch, dass dort Dinge liegen, die sie sonst nur auf Kindergeburtstagen bekommt. Dort ist Luna eins der Kinder, die alles Süße in sich hineinstopfen, weil sie Angst haben, man könne es ihnen wegnehmen. Hinterher müssen sie brechen, weil ihnen schlecht ist.
Nach Zuckerzeugs kommt Heißhunger auf Deftiges
Meine Kinder dürfen selbst entscheiden, was sie essen und zwar vollumfänglich. Ich weiß, dass sie nach einer gewissen Menge an Süßkram Heißhunger auf Deftiges entwickeln. Bei Luna weiß ich das nicht. Und ich kann ihr Süßes nicht uneingeschränkt erlauben, weil sich ihre Eltern etwas bei ihrer Ernährung denken. Sie wollen genau wie ich das Beste für ihr Kind.
Sabotiere ich die Erziehung der anderen Eltern?
Nun steht ihr Kind aber in meiner Wohnung. Und bettelt um Süßes. Ich zaudere – sabotiere ich nicht die Erziehung fremder Eltern, wenn ich jetzt Süßigkeiten rausrücke? Andererseits können die Eltern ja nicht davon ausgehen, dass es anderswo keine Süßigkeiten gibt. Und da es sich nicht um eine Allergie handelt, bei der ich selbstverständlich Rücksicht nehme, muss ich nicht zu weit mitdenken, oder?
Mitleid siegt
„Hier hast du ein paar Schokokekse“, sage ich und drücke Luna eine kleine Portion in die Hand. Luna strahlt, als habe sie ein großes Geschenk bekommen. Mein Herz zieht sich zusammen: Das arme Kind! Wie muss es sich anfühlen, so kurz gehalten zu werden?
Was schon meine Mutter wusste
Als ich noch klein war, hatten wir auch eine Familie in der Nachbarschaft, bei denen das so lief: Die Müllers lebten nach streng ökologischen Gesichtspunkten. Mutter Müller achtete sehr darauf, dass ihre vier Kinder ausschließlich gesunde Dinge zu sich nahmen.
Das Ende vom Lied war, dass diese Kinder nahezu täglich bei meiner Mutter klingelten, um zu fragen, ob sie etwas aus ihrer Süßigkeitenschublade haben dürften. Ich weiß noch, wie meine Mutter sagte, „Siehst du, Christine, das passiert, wenn man Kindern zu viele Sachen verbietet. Wie sollen die später lernen, wann sie genug haben?“ Ich muss sagen, meine Mutter war eine kluge Frau. Irgendwie hat sich seither wenig geändert.
Nur dass ich jetzt die Frau mit der Süßigkeitenschublade bin. Die mich selbst nicht interessiert, weil ich als Kind freien Zugang zu Süßigkeiten hatte. Danke, Mutti!
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Christine zieht drei Kinder (9, 12 und 17 Jahre alt) alleine groß. Sie lebt mit ihnen und zwei Katzen am Bodensee, wo sie Kinderbücher textet. Ihr Blog Mama arbeitet ist ihr viertes Kind. | Foto: © Patrick Pfeiffer
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Eine sehr weise Frau, die Mama von Mama arbeitet.
Viel schwieriger finde ich die umgekehrte Situation… Ein Gastkind,welches zuhause jederzeit Süßes bekommt und dann bei uns-bevorzugt eine halbe Stunde vor Abholung u vor unserer Abendbrotszeit-nach Süßigkeiten quengelt! Wir gewähren unseren Kindern durchaus Süßes,aber eben nicht jederzeit,denn wir als Erwachsene halten uns diesbezüglich ja auch zurück u mussten erst lernen zu hinterfragen,ob wir richtig Hunger haben oder nur Frust,Langeweile… Dieses lernen Kinder nicht,wenn sie jederzeit naschen können. Diese Überzeugung gegenüber Gastkindern zu vertreten führt manchmal dazu,dass man entweder als Spaßbremse dasteht oder mehrmals die Woche nur mäßig Abendbrot essende Kinder hat,weil…s.o. Der Spagat ist nicht einfach,aber meist geht es ganz gut,wenn ich frühzeitig Obst,Knabberkram und Süßes in Maßen anbiete und dann ggfs freundlich unsere Regeln erkläre . Es ist in jeder Familie anders u das können Kinder auch meist ganz gut verkraften.
Hallo liebe Christine,
Eine gute Freundin von mir hatte früher auch immer Gelegenheit zum naschen. Mein Mann und ich, wir beneiden sie. Wenn wir eine Packung Schokoriegel kaufen, wird sie gnadenlos aufgefuttert. Meiner Freundin wird auch schon mal die Schokolade schlecht.
Wie das dann mit den eigenen Kindern sooft ist. Man kann dann irgendwie nicht aus seiner Haut raus. So sind für unseren Sohn (2 1/2 Jahre alt) zwar immer Süßigkeiten da, aber wir rationieren sie dann doch. Ich will aber auch lieber eine Schublade-mit-Süßkram-Mama sein!!! Wie Gebrauch machst du das? Von Anfang an dem Kind die freie Wahl lassen? Oder ab einem bestimmten Alter? Ich will das auch! Ich glaube auch, so lernen Kinder das am besten.
Liebe Grüße in Hoffnung auf eine Antwort,
Suse
Liebe Suse,
ich hab’s den Kindern tatsächlich von Anfang an komplett selbst überlassen – aber das fiel mir leichter, nachdem ich von Herbert Renz-Polster, dem bekannten Kinderarzt, das Buch „Kinder verstehen“ gelesen hatte. Darin erklärt er unter anderem das Essverhalten von Kindern, und das auch mit einer Studie, die belebt, dass sich die Gelüste bei Kindern von alleine einpendeln, wenn man sie frei entscheiden lässt. Dazu hat ein Forscher mal 2 Vergleichsgruppen beobachtet, und zwar über mehrere Wochen: Die eine durfte frei entscheiden, die andere nicht. Und die Kinder, die frei wählen durften, bekamen von ganz alleine Hunger auf Herzhaftes und Gesundes, als sie genug vom Süßen hatten. So ist das hier auch.