Nicht geschimpft ist genug gelobt – Erziehung nach schwäbischer Art
Ein dumpfer Knall im Kinderzimmer. Aber kein Schrei. Das ist gut! Klingt, als sei der Hocker umgefallen. Dann erscheint meine Jüngste im Wohnzimmer, wo ich am Computer arbeite. „Mama, es ist nix passiert. Du brauchst nicht in unser Zimmer zu kommen!“, flötet sie.
„Achso? Ist alles okay bei dir und Lisa?”, erkundige ich mich betont neutral und überlege, was wohl gerade umgefallen ist, wovon ich nichts wissen darf. „Jahaaaa, Mama. Ich hol nur eben ein Handtuch. Einfach so“, behauptet meine Tochter nur so mittel überzeugend. Ich gebe mir Mühe, sehr konzentriert auf den Bildschirm zu gucken, damit sie nicht merkt, dass ich kurz davor bin, zu kichern.
Irgendwo lauert eine Pfütze
Natürlich weiß ich, dass im Kinderzimmer ein Becher mit Flüssigkeit umgefallen ist. Und das, obwohl ich den Kindern immer sage, dass sie die Trinkbecher in der Küche stehen lassen sollen. Die spannende Frage für mich ist nun, ob mit dem Handtuch Milch, Apfelsaft oder Wasser aufgewischt wird. Aber ich tue erstmal so, als ginge mich das alles gar nichts an. Soll das Kind ruhig glauben, dass es die Spuren des Missgeschicks alleine beseitigen kann. Das ist ganz in meinem Sinne. Man soll die Kinder ja zu Selbstständigkeit erziehen. Das klappt hier ganz gut.
Der Geruchstest zeigt: Apfelschorlen-Alarm
Wenig später verschwindet mein jüngstes Kind mit einem vollgesogenen Handtuch im Badezimmer, wo wir die Schmutzwäsche sammeln. Sehr ordentlich, fast müsste ich sie loben. Aber mein Bestreben ist, sie zu ignorieren bzw. nicht zu schimpfen, weil ich offiziell gar nicht weiß, dass ein Malheur passiert ist. Also warte ich, bis das Kind wieder im Kinderzimmer verschwunden ist. Dann hebe ich das nasse Handtuch mit spitzen Fingern aus dem Wäschekorb, um vorsichtig daran zu schnuppern. Eindeutig Apfelschorle.
Erziehung ohne Loben und Meckern
Da muss jemand nachwischen, sonst klebt der Boden über Wochen. Das hebe ich mir aber auf, bis die Kinder später im Hof spielen. Ich will kein Spielverderber sein, und so ein Apfelschorlenfleck läuft selten weg. Ich werde irgendwann beiläufig erwähnen, dass da komischerweise ein Apfelschorlenfleck im Kinderzimmer war, und dass man da mit einem feuchten Lappen nachwischen muss. „Ah, das wusste ich gar nicht!“, wird meine Tochter sagen und sich sehr genau merken, wie sie beim nächsten Mal noch besser die Spuren eines Missgeschicks vertuschen kann. Erziehung funktioniert nämlich auch ohne Loben und ohne Meckern – durch die schwäbische Methode „Nicht gemeckert ist genug gelobt“.
Eigenlob für Mama darf auch mal sein
Dabei bin ich sonst sehr für klare Worte. Ich schimpfe auch, wenn meine Kinder Mist bauen. Aber das Schimpfen hebe ich mich lieber für größere Anlässe auf. Zum Beispiel für die ins Kinderzimmer geschmuggelte Schale mit Schokomüsli, die im Bett umkippt und alles restlos einsaut. Dann kann ich schonmal ungemütlich werden. Bei kleineren Vergehen drücke ich jedoch ein Auge zu. Eine Helikopter-Mecker-Mama braucht kein Mensch. Und nun gehe ich heimlich Apfelschorle nachwischen und lobe mich für mein pädagogisch wertvolles Verhalten: „Des haschdu gud gmacht, Chrischtine.“
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„Ah, das wusste ich gar nicht!“, wird meine Tochter sagen und sich sehr genau merken, wie sie beim nächsten Mal noch besser die Spuren eines Missgeschicks vertuschen kann.
Leider erziehe ich meine Kinder auf diese Weise zu Lügnern und Betrügern und helfe ihnen damit möglichst gut durchzukommen.
Sehr schade, wenn die Ziele Verantwortung und Pflichten so verramscht werden.
Ein ehrliches Wort der Rüge ist mehr wert als viele freundlichen Lügen.