Wenn Kinder ihre Internetfreunde treffen
Die Kinder schreiben keine Briefe mehr. Im digitalen Zeitalter müssen sie das nicht mehr. Aber ist das wirklich so schlimm?
Wie war das früher alles umständlich: Von meiner Brieffreundin Tricia aus Leicester, die mir durch die Englischlehrerin zugeteilt wurde, hörte ich nur alle zwei Wochen etwas. Denn so lange dauerte es, bis ein Brief aus England bei uns ankam. Es konnte auch länger dauern, wie ich an den Poststempeln sah. Ich hörte ihre Stimme zum ersten Mal, als ich sie persönlich traf. Das Telefonieren ins Ausland war schließlich so teuer. Und bis dahin hatte ich sie nur auf Fotos gesehen und wurde dementsprechend beim Schüleraustausch ziemlich ins kalte Wasser geschmissen.
Ähnlich war es bei Ilaria aus der Nähe von Vinci bei Florenz, mit deren Familie ich nach dem Kennenlernen über viele Jahre freundschaftlich verbunden war. Am Ende reiste sogar meine Mutter mit in die Toskana und lernte noch Italienisch. Unsere Familien besuchten sich gegenseitig!
Freunde finden im Internet
Heute geht das alles viel schneller und viel einfacher. Meine Kinder, besonders der Sohn, finden ihre Freunde unter anderem im Internet, meist über gemeinsame Online-Spiele. Oft kennen sich einige Kinder persönlich und andere holen dann noch Freunde dazu, die teilweise sogar aus anderen Bundesländern kommen. Und manchmal entwickeln sich daraus richtige Freundschaften. Ich habe das schon zweimal miterleben dürfen und fand’s ziemlich grandios.
Kinder beherrschen die neuen Medien virtuos. Sie schreiben neben dem Spielen per Chat, um Taktiken abzusprechen oder über das Wetter und ihre Familien zu reden. Nein, ich lese nicht mit. Aber ich habe den Sohn über Cybergrooming und die Gefahren aufgeklärt, vor Jahren schon, sodass ich nicht fürchten muss, er verabrede sich mit Menschen, die Kindern Böses wollen. Manchmal gehen auch Sprachnachrichten auf WhatsApp hin und her, aber es wird immer noch viel geschrieben. Der Zweck ist genau der gleiche wie früher bei den Brieffreundschaften: Freude an Kommunikation, das Entstehen von Nähe, gemeinsame Interessen und Erweiterung des Horizonts.
Auch Online-Freundschaften schaffen es manchmal ins „Real Life“
Manchmal, so wie jetzt wieder in den Sommerferien, verabreden sich die Kinder dann, weil einer gerade in der Nähe des anderen Urlaub macht. Dann treffen sie sich in Begleitung von mehr oder weniger aufgeregten Erwachsenen – was übrigens viel sicherer ist, als damals die Kinder einfach zu komplett fremden Familien reisen zu lassen. Irgendwann beschließen die Eltern dann, man könne einander vertrauen und die Kinder miteinander alleine lassen. Denn Angst vor bösen Menschen aus dem Internet haben ja auch die anderen.
Zum Beispiel meine Mutter, die mich vor ein paar Jahren eindringlich warnte, auf keinen Fall mit der Frau auf Twitter, mit der ich in Freiburg verabredet war, nach Hause zu gehen. Die Twitterin und ich trafen uns im Café, und es war nicht nur sehr nett, sondern der Auftakt zu einer Reihe von „Blind Dates“ mit tollen Menschen, die zum Teil meine Freunde wurden.
Oberflächliche Begegnungen oder echte Freundschaft?
Von daher habe ich meinen Kindern von Anfang an dazu geraten, offen zu sein für solche Begegnungen. Und zu schreiben, was das Zeug hält. Briefe bekommt nur noch ihre Oma, und das auch nur zu besonderen Anlässen. Heute lernen sich die Kinder vor einem Schüleraustausch über Skype in Bild und Ton kennen, was wirklich praktisch ist.
Wo das alles hinführen soll? Wer weiß. Aber das menschliche Grundbedürfnis nach Kommunikation und Nähe will erfüllt werden. Und die Freundschaften, die sich über die digitalen Medien und auch übers gemeinsame Zocken von Kindern ergeben, sind kein bisschen minderwertiger als die mit meiner italienischen Austauschfamilie damals. Die Eltern der von meinen Kindern ausgewählten Freunde sind ebenso wie ihre Kinder bezaubernd, interessant, schlau und liebenswert. Ich habe lange Gespräche in diversen Küchen geführt und mich sehr bereichert gefühlt durch diese Kontakte.
Die Brieffreundschaft 2.0 lebt – sie hat sich nur ein neues Kleid zugelegt!
Titelbild: © silverblackstock/shutterstock.com
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