Schule: Haben es Kinder Alleinerziehender schwerer?
„Jeder kann etwas besonders gut, man muss nur herausfinden, was es ist “, sage ich meinen Kindern. Sie haben unterschiedliche Talente. Teils decken sie sich mit meinen. Teils sind sie himmelweit von meinen Begabungen entfernt.
Gelegentlich wünsche ich mir im Zusammenhang mit Schule den Exmann wieder. Der konnte lauter Dinge, die ich nicht konnte, wie Mathe, Physik und Chemie.
Was Schule betrifft, waren wir ein Superpaar – der Kindervater und ich: Meine Talente liegen im sprachlichen Bereich, seine im naturwissenschaftlichen. Und wäre er als Vater noch greifbar, dann könnte er auch vor Mathearbeiten mit dem Kind lernen. Ich kann das nicht leisten, beim besten Willen nicht.
Französische Grammatik? Kein Problem, habe ich auch 20 Jahre nach Abschluss des Studiums ziemlich gut drauf. Vokabeln sitzen auch noch. Literatur ist sowieso mein Ding. Aber bei Chemie und Co ereilt mich auch Jahre nach dem Abitur das Grauen.
Die Mutter als schlechtes Vorbild? Menno!
„Frau Finke, Sie dürfen Ihrer Tochter nicht zeigen, dass Sie eine Abneigung gegen Mathematik haben. Sowas überträgt sich aufs Kind!“, rügte mich eine wohlmeinende Mathelehrerin einst. Ich saß hilfesuchend in ihrer Sprechstunde, weil meine Große eine Sechs geschrieben hatte. „Ha, sehr witzig!“, dachte ich, antwortete aber gesittet, dass es ja wohl auch wenig Sinn ergebe, wenn ich so tue, als könnte ich helfen, wenn ich es schlichtweg nicht kann. Meine Abneigung ist eine handfeste Panik. Das merkt so ein Kind doch sofort.
Für dieses Dilemma hatte die Lehrerin auch keine Lösung. Fast hegte ich den Verdacht, es sei ihr gänzlich unbegreiflich, dass es Eltern gebe, die Siebtklässlern nicht in Mathe helfen können. Um die gute Frau vollends zu verunsichern, schob ich die Erklärung hinterher, dass früher der Vater mit dem Mädchen gelernt habe, dieser aber nun sehr weit fort sei. Damit brachte ich das Weltbild der gestandenen Lehrerin ins Wanken.
Alleinerziehende haben wenig Zeit und viele Pflichten
Es ist für ein Schulkind ja unpraktisch genug, wenn zu Hause nicht mehr zwei Elternteile mit unterschiedlichen Ausbildungen, Begabungen und Vorlieben verfügbar sind. Klar, auch ein Kind, das zwei ausschließlich sprachlich talentierte Eltern hat, kann in den Naturwissenschaften auf wenig Hilfe am Küchentisch hoffen.
Aber die Kinder von Alleinerziehenden haben ein weiteres Handicap: Ihre Mütter (und es sind zu 90 Prozent Frauen, die Kinder alleine großziehen) haben nicht nur wenig Zeit, sondern auch wenig Geld. Viele leben in Armut. Dazu kommt Dauerstress durch die Mehrfachbelastung. Denn unter den alleinerziehenden Müttern arbeiten besonders viele Vollzeit. Da bleibt wenig Zeit für gemeinsames Vokabelpauken oder Kurvendiskussionen. Neben dem oft fehlenden Vater (jedes zweite bis dritte Kind verliert nach der Trennung den Kontakt zu ihm) haben die Kinder von Alleinerziehenden einen Wettbewerbsnachteil, finde ich. Eigentlich müsste man diesen Kindern einen Nachteilsausgleich zugestehen. Aber wäre das nicht unfair gegenüber denjenigen, deren Eltern so viel arbeiten, dass sie auch nicht helfen können, oder jenen mit Migrationshintergrund und schlechter Schulbildung?
Was tun?
Kürzlich war ich auf einem Thinktank im Auftrag des Familienministeriums. Da ging es um „Gutes Familienleben in der digitalen Gesellschaft“ und wir entwickelten Visionen für das Jahr 2025. Eine der Vorstellungen war, dass Alleinerziehende und ihre Kinder durch guten Zugang zu digitaler Bildung ihre derzeitigen Handicaps überwinden könnten.
Das Internet kann zwar keinen Vater ersetzen, aber es kann Chancen auf Teilhabe bieten. Wie das konkret aussehen kann, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. E-Learning und Vernetzung werden dabei sicher eine Rolle spielen, das zeichnet sich ja bereits ab. Ich finde, das klingt gut. Das nehmen wir als Zielvorstellung, oder?
Aber die Talente unserer Kinder werden weiterhin ungleich verteilt bleiben. Das können und sollten wir nicht ändern. Es muss nicht jeder gut in Mathe oder Französisch sein. Gut genug reicht völlig aus!
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Titelbild: © bokan/shutterstock.com
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Könnte ich mehr Infos zu dem Projekt vom Familienministerium bekommen?
Danke
Menschen sollten danach bewertet werden was sie können und nicht was sie nicht können.
Leider wird meiner Meinung nach im Beitrag übersehen, dass Kinder nicht nur Zeit mit ihren Eltern brauchen, um zu lernen. Kinder brauchen auch viel Liebe und Zuwendung und gerade dieses ist die Basis für eine gute Entwicklung, die es DANN erst ermöglicht Dinge lernen zu wollen. Ich finde, man sollte als Alleinerziehende mehr Zeit für das eigene Kind haben, um es so stärken zu können, das Lernen in die Hand zu nehmen, um sich zu trauen selbst etwas zu tun, gerade wenn man darunter leiden muss, dass die Bezugsperson oft weg sein muss und dieser Verzicht trotzdem keine besseren Lebensverhältnisse ermöglicht. Da sollte in erster Linie ein Ausgleich von der Regierung kommen, damit eine echte Gleichstellung entsteht und somit ein „Gleichwertgefühl“ in den Kinder selbst entstehen kann.
Man kommt auch ohne einen 2. Pers. aus. Es gibt auch andere die mit den Kindern lernen können. Es gibt immer einenErsatz. Und zwar für Alles.
Es ist wirklich toll, dass die Mütter im Thinktank den Vater durch eLearning und sozial Media ersetzen wollen. Vielleicht hätte frau der Frauenministerin, die alternierende Obhut ans Herz legen sollen. Auf diese offenkundige Idee kann Frau wohl nicht kommen, wenn Frau die alternierende Obhut leider nicht als die Beste Form der Nachtrennungsfamilie anerkennt, sondern Ihr Kind ausschließlich als Unterhaltsgeisel betrachtet. Es ist erschreckend welche lull und lall Tanten in einem sogenannten Thinktank ihre Beiträge vorstellen können.
Grundsätzlich ist es so, dass es nicht überall, wo beide Elternteile für die Erziehung zuständig sind, auch beide Elternteile ausreichend Zeit für das Thema Schule und Kinder haben. Ich kenne genügend Mütter/Väter, die obgleich nicht alleinerziehend, trotzdem wenig Zeit haben. Also ist das Problem, ein gesellschaftliches Problem und nicht immer ein Problem, weil Mutter/Vater alleinerziehend.
Ich kenne genügend Fälle, wo sich Väter, in diesem Fall getrennt, sehr wohl um die Schule und dergleichen kümmern würden, die Mütter aber, das gar nicht wollen, weil sie keine gute Beziehung (nach Trennung und Scheidung) bzw. Gesprächskultur mit dem Ex haben und daher auch nicht wollen und die „Zusammenarbeit“ ablehnen.
Mein Vater war selbstständiger Architekt und dementsprechend erst nach 21:00 Uhr daheim. Meine Mutter sagte mir zu Beginn der siebten Klasse auf dem Gymi, als die zweite Fremdsprache dazu kam, ich hätte jetzt mehr Schuljahre als sie je gehabt hätte. Sie könne mir in der Schule ab jetzt nicht mehr helfen. Wenn ich Hilfe bräuchte, soll ich den Papa fragen. Zeit wäre also genug da gewesen, aber das theoretische Wissen einfach nicht. Ich wollte einerseits den Papa abends so spät nicht mehr belämmern und andererseits zeigte er mir Lösungswege, die halt schon 30 Jahre alt waren und nichts mit denen zu tun hatte, die meine Lehrer auf moderne Weise im Heft sehen wollten. Ich habe das also einmal gemacht und das Fragen aufgegeben. Hab mich irgendwie so mit einer Zweikomma durchs Abi gemogelt, und es hat komplett ohne Hilfe funktioniert. Natürlich kann man jetzt den Einwand erheben, früher sei eh alles anders und einfacher/besser (…) gewesen. Aber rückblickend muss ich sagen, jedes Kind muss lernen, selbst zu lernen, im Studium muss man sich ja auch allein motivieren und selbst und alleine hinsetzen. Da ich allerdings kein Kind im schulfähigen Alter habe, kann ich eventuell auch tatsächlich nicht mitreden.