Jeden Tag zur gleichen Stunde – über Rituale im Klassenzimmer
Es gibt Dinge im Alltag, die wiederholen sich. Sie geben uns Sicherheit und helfen, Stress zu vermeiden. Frau mit Klasse legt nicht nur abends ihre Klamotten und das Frühstücksgeschirr für den nächsten Arbeitstag raus, sie wendet bestimmte Rituale auch in der Schule an.
Eingangs sei gesagt, dass es Klassen gibt, in denen diese Vorgehensweisen sehr gut funktionieren. Es gibt aber auch solche, in denen so viel Trubel ist, dass auch diese Rituale nicht wirken. Da hilft nur Ausprobieren, viel Geduld und manchmal eben Improvisation.
Ritual 1: Handyverbot durchsetzen
Ich habe in meiner Klasse ausschließlich männliche Schüler. Wenn meine Jungs morgens den Raum betreten, wissen sie genau, was zu tun ist: Jeder Schüler hat ein Heft, in das er nach jeder Stunde eingetragen wird, wie er sich verhalten und mitgearbeitet hat. Dieses legen sie mir morgens gemeinsam mit ihren Handys und Geldbeuteln auf den Lehrertisch. Die Wertsachen verwahre ich über den Schultag. So kann das Handyverbot der Schule eingehalten werden und es kommt nichts weg. Diese Regel ist indiskutabel und funktioniert für meine Schüler sehr gut. Nun kann der Tag beginnen.
Ritual 2: Der Stundeneinstieg mit Glocke
Es ist für mich eine Grundvoraussetzung, den Unterricht in einer ruhigen Atmosphäre zu beginnen. Zur Ruhe zu kommen, fällt vielen Kindern an meiner Sonderschule sehr schwer. Und gerade deshalb ist es so wichtig, dafür zu sorgen. Ich nutze dafür eine kleine Glocke. Für Schüler, die noch durch den Raum laufen, ist dies ein Zeichen, zu ihrem Platz zu gehen. Die Stunde fängt an. Meistens reicht ein einzelnes Läuten. Ich persönlich führe dies immer im Stehen durch, da man als Lehrkraft zu Stundenbeginn besonders präsent sein sollte. Der Glockenton zieht eine angemessene Begrüßung nach sich. An unserer Schule werden die Schüler*innen gerne anschließend nach ihrer Stimmung gefragt. Wenn sie etwas bedrückt, können sie es bei Bedarf erzählen. So weiß ich, wie das jeweilige Kind an dem Tag drauf ist und habe mehr Verständnis für bestimmte Verhaltensweisen.
Ritual 3: Tagesplan und Aktuelles aus der Welt
Als nächstes schreibe ich den Fahrplan für den Tag an die Tafel. So weiß die Klasse genau, was sie erwartet, welches Fach auf dem Plan steht usw. Im Detail geschieht dies in den einzelnen Stunden: erst die organisatorischen Aspekte, dann die Hausaufgaben, gefolgt vom eigentlichen Thema. Da sich viele Kinder eher wenig mit dem Weltgeschehen befassen (zum Glück existieren auch Ausnahmen), sehen wir uns gemeinsam die Nachrichten an und werten diese aus. So stelle ich sicher, dass meine Schüler auf dem aktuellen Stand sind. Viele freuen sich auch darauf und haben Redebedarf. Nun kann der eigentliche Unterricht beginnen.
Ritual 4: Störern im Unterricht begegnen
Angespannte Situationen gehören an meiner Schule zum Alltag. Man könnte jetzt leider sagen, aber so ist es nun einmal und ich wusste, worauf ich mich einließ, als ich den Job annahm.
Jedes Mal, wenn es mir im Unterricht zu laut ist oder jemand dazwischen spricht, schreibe ich den jeweiligen Namen an die Tafel. Bei drei Strichen neben dem Namen dürfen die Schüler nicht in die Pause oder es wird eine Extraaufgabe verteilt. Anrufe bei den Eltern sind auch an der Tagesordnung. Das mag vielleicht radikal für manche klingen, ist aber für ein gutes Unterrichtsklima in meiner Klasse sehr wichtig.
Ritual 5: Die Balance zwischen streng und verständnisvoll finden
Manchmal muss ich auch ein Auge zudrücken, weil ich sonst nicht aufhören würde zu meckern. Mein Ziel ist es ja, den Schülern zu zeigen, wie sie es besser machen können. Das bedeutet auch, dass ich ein positives Vorbild für sie sein möchte. Ich bin zwar streng, aber gleichzeitig auch für sie da und nehme sie ernst.
Ritual 6: Streit – was nun?
Wenn eine Situation eskaliert, reagiere ich sofort, indem ich das Gespräch suche. Manche Streiterei können die Schüler unter sich klären, aber da ich sie kenne, bin ich kein Fan davon. Denn oft verschlimmert das den Konflikt eher, als dass er friedlich beigelegt wird. So sprechen wir nahezu täglich miteinander, um Konflikte zu klären. Jeder sollte zu Wort kommen können, um seinen jeweiligen Standpunkt zu erläutern. Dann wird gemeinsam besprochen, was falsch gelaufen ist und beim nächsten Mal besser gemacht werden könnte.
Ich habe schon vorgeschlagen, meine immergleichen Ratschläge auf Band aufzunehmen, um sie nicht dauernd wiederholen zu müssen. Wenn meine Schüler mal einen Tag nicht beleidigt sind oder streiten, sondern freundlich zueinander sind, bin ich sehr zufrieden. Eine meiner Kolleginnen wertet den Schultag am Ende häufig mittels einer Selbstreflexion aus. Auch das ist eine prima Sache, wie ich finde, denn so lernen die Schüler*innen, sich selbst einzuschätzen und sich eigene Ziele zu setzen.
Ritual 7: Eine Zeituhr für heterogene Lerngruppen
Meine Schüler*innen sind oft auf einem absolut unterschiedlichen Niveau. Während einer immer schnell fertig ist, hat der andere oft Schwierigkeiten, die Aufgabe überhaupt zu verstehen. Deshalb bin ich während der Arbeitsphasen immer ansprechbar und versuche, zu unterstützen. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Leistungsniveaus und Lerntempos bereite ich für meine Schüler auch mal differenziertes Material vor. Ich arbeite gerne mit einer Stoppuhr, damit sie genau wissen, wie viel Arbeitszeit ihnen noch bleibt. Ich versuche ihnen auch zu zeigen, wie sie sich gegenseitig helfen können. So darf ein Schüler, der schon fertig ist, gerne zu seinen Mitschülern gehen und als Experte fungieren.
Fazit: Mit Struktur und Einfühlungsvermögen helfen
Da ich auch schon an Regelschulen gearbeitet habe, kann ich sagen, dass eine reguläre Klassengröße einen noch mal vor ganz andere Herausforderungen stellt. Jedoch merke ich, dass mir meine kleinere Klassengröße häufig mehr abverlangt, als es die 26 Schüler*innen an der Regelschule getan haben. Es ist einfach ein anderer Fokus. Und gerade das macht es für mich so interessant. Versuchen wir also, die Individualität der jungen Menschen zu berücksichtigen und jedes Kind so gut zu fördern, wie es uns nur möglich ist – sei es nun an einer Sonder- oder an einer Regelschule. Struktur und Einfühlungsvermögen sind für alle Schulformen wichtig.
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