Lehrerkollegium – über das alljährliche Misslingen der Weihnachtsfeier

Weihnachtsfeiern sind für viele Menschen der ausgelassene Höhepunkt des Jahres. Ganz anders lief es jüngst für Lehrer Maximilian Lämpel. Seine Weihnachtsfeier mit dem Kollegium war auf allen Ebenen ein Reinfall.

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Weihnachtsfeier = Alkohol + Ausschweifung

Wenn Freunde von Weihnachtsfeiern erzählen, finde ich das sehr unterhaltsam. Ihre Geschichten handeln von den elementaren Bestandteilen dieser Veranstaltungen: Es sind die zwei eng miteinander verknüpften As: Alkohol und Ausschweifung. Mit meinem Lehrerkollegium ist das anders. Dass die öffentliche Hand ein pietistisches Verhältnis zum Feiern hat, ist verständlich. Wie sollte man es dem Steuerzahler vermitteln, wenn er die Zeche eines jeden Lehrerkollegiums zu zahlen hätte. So zahlt jeder für sich selbst und man landet alljährlich beim günstigen (um nicht zu sagen: billigen) Griechen um die Ecke – dem mit einer Plastikaphrodite in jedem Winkel. Weil obendrein die zahlreichen älteren Kolleginnen und Kollegen um halb zehn ins Bett gehen, sind unsere Weihnachtsfeiern eine recht trostlose Angelegenheit.
Letztes Jahr wurde die Trostlosigkeit immerhin etwas aufgelockert, weil Herr K. und Frau C. aneinandergerieten und sich richtig ankeiften. Kein Wunder, schließlich waren am Ende auf der Rechnung vier Euro offen – wenn das mal kein Grund für einen handfesten Streit ist, an dessen Ende ein Zerwürfnis stand, das bis heute nicht gekittet ist. Ja, und insofern können unsere Weihnachtsfeiern auch großes Kino sein.

Clash of cultures

Dieses Jahr standen die Vorzeichen schon zwei Wochen vor der Weihnachtsfeier ungünstig. Der Grieche rief an, ein Rohr sei geplatzt, leider müsse die Weihnachtsfeier bei ihm ausfallen. Weil die Schwester einer Referendarin in einem Restaurant im selben Kiez arbeitet, wurde kurzerhand umdisponiert. Nun saßen wir vorgestern alle dort. Was die Referendarin nicht erwähnt hatte: Es handelte sich um ein neues Clean-Eating-Restaurant. Andererseits hätte das keinen Unterschied gemacht, niemand hätte mit dem Begriff etwas anfangen können. Clean Eating ist nämlich ein nicht ganz unumstrittener Metropolen-Trend, vegetarisch für Hipster. Weniges interessiert mein Kollegium so wenig wie Trends. Bisschen blöd in diesem Job, aber das ist ein anderes Thema. Da saß nun die ganze Lehrerschaft, die sich eigentlich wie jedes Jahr auf Gyros, Tzatziki und viel Fett gefreut hatte, zwischen Künstlern aus New York, Techno-Djs aus Kreuzberg und Start-Up-Menschen aus Berlin-Mitte. Ich kann nicht sagen, wer irritierter geguckt hat, das dortige Stammpublikum oder mein Kollegium. War jedenfalls ein herrlich surrealer Anblick – „clash of cultures“ mal live und in Farbe. Weil aber für alle Anwesenden Toleranz ein konstitutiver Teil des Selbstbildes ist, bemühten sie sich reinste Unvoreingenommenheit auszustrahlen; zum Teil erfolgreich.

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Eine Freundschaft fürs Leben

Problematisch wurde es, als die Karte herumging, die unglücklicherweise nur auf Englisch zu haben war. Es wurde laut geraunt und in vielen Blicken paarte sich Enttäuschung mit riesigen Fragezeichen. Ich glaube, es gibt Kollegen, die zum ersten Mal Quinoa, Süßkartoffeln, Avocado oder rote Beete probiert haben.
Nach einer Weile, die Gesellschaft schien sich an den Ort gewöhnt zu haben, sprach man in den vertrauten Runden über die üblichen Lehrer-Themen: „Die 10a, ja ja, recht schwierig …, und der Hausmeister, ja ja, auch recht schwierig …, und der momentane Krankenstand, ach, du auch schon dreimal vertreten diese Woche?“
Wenn man Glück hat, lernt man bei so einer Gelegenheit Kolleginnen und Kollegen von einer anderen Seite kennen. Ich gewann z. B. neue Einblicke in das Leben von Frau T. und Frau C. Ich kam nicht umhin ihnen zuzuhören. Sie saßen mir gegenüber. Beide gestanden kichernd früher für Sigmund Jähn geschwärmt zu haben, aber mittlerweile sei Ulrich Wickert interessanter. Wie der über Rotwein sprechen könne! Und Krimis schreibt er auch! Kurzum, meine beiden Kolleginnen stehen voll auf ihn. Zugegebermaßen haben sie das vornehmer formuliert, aber an der Sachlage gibt es nichts zu deuteln. Das fand ich putzig. Weniger gut gefiel mir ihr nächstes Thema über die zahlreichen gesundheitlichen Wehwehchen, die das Alter mit sich bringt: Rheuma, Arthrose, Bandscheibe, Bluthochdruck, das ganze Programm. Das Gespräch gipfelte darin, echt wahr, dass beide ihre Pillendosen samt Inhalt rausholten und verglichen. Na, immerhin wurde an diesem Abend eine Freundschaft fürs (Pensions-)Leben geschlossen.

Unterm Tisch

Trotzdem wollte keine gute Laune aufkommen. Über den Schmerz der verpassten Grillplatte schienen einige Kolleginnen und Kollegen schwerlich hinwegzukommen. Und als Kollegin C. – angeblich aus Versehen – ihren Teller vom Tisch schob, waren Essen und Stimmung gleichermaßen am Boden.
Ich sprach kurz mit den Referendarinnen und Referendaren über Konsequenzen, die es hat, wenn erhebliche Altersunterschiede im Kollegium bestehen und ob es nicht ganz nett wäre, wenn man in homogeneren Konstellationen zusammensäße. Tja, und dann gingen schon die Ersten nach Hause. Bald darauf auch alle anderen. Beim Ausgang schnappte ich auf, wie Herr T. Herrn O. eher zickig als scherzhaft zuraunte: „Komm, wir suchen uns jetzt was Richtiges zu essen.“

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