Vom ewigen Kampf mit dem Klausurenstapel

Klausurenberge abzuarbeiten, ist für jede Lehrkraft ein Kampf gegen Windmühlen. Dass man dabei eine ungeahnte Verantwortung trägt, erfuhr Maximilian Lämpel bei der letzten Klausurrückgabe.

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Lehrkräftemythos

Die Formulierung „Klausurenstapel“ ist in der Lehrkräftewelt ein fester Begriff, ja, man kann schon von einem Mythos sprechen. Er steht als Symbol für harte, entbehrungsreiche Arbeit. In den letzten Wochen habe ich viel Zeit hinter solchen Stapeln verbracht. Einmal verrutschte alles, die Klausuren gerieten durcheinander und anschließend fehlte eine Arbeit, die ich aber zu meiner Erleichterung unter einem Regal fand. Ein Klausur-Verlust wäre noch unangenehmer als das Malheur einer Kollegin aus dem letzten Schuljahr: Das Meerschweinchen ihrer Tochter hatte auf einige Klausuren gepinkelt. Die Kollegin hatte dann behauptet, es sei Apfelsaft gewesen. Wurde ihr glücklicherweise abgekauft.

Randbemerkungsprosa

Die Herangehensweise an die Stapel ist im Kollegium ganz unterschiedlich. Die einen haben ein entspanntes Verhältnis zum Klausurenberg. Die anderen bekommen schon Angstschweiß beim Gedanken an den Kampf mit dem nächsten; der Stapel ist der papiergewordene Endgegner. Und wie bei jedem Kampf braucht man eine ausgefeilte Strategie. Es gibt Kolleg*innen, die das Korrigieren ewig aufschieben und dann in einer Nacht abarbeiten. Nicht besonders ausgefeilt. Andere korrigieren jeden Tag entspannt ein bis zwei Klausuren; bei mehreren Stapeln kann das aber mittelfristig nicht gut gehen. Weitere schlagen den Mittelweg ein und korrigieren etwa vier bis sechs Stück am Tag. Ich wünschte, ich wäre der Mittelwegtyp. Es stellt sich außerdem die Frage, welchen Klausuren man sich als Erstes widmet. Die einen lesen erst die der vermeintlich guten, dann die der schlechten Schüler*innen oder umgekehrt, andere arbeiten sich alphabetisch durch und wieder andere nehmen das, was halt gerade oben liegt.
Wenn ich mit der Korrektur beginne – es ist mir ein bisschen unangenehm – dann bin ich immer nervös. Denn nun zeigt sich, ob die wochenlange Vorbereitung gefruchtet hat und da fiebere ich bei jedem Satz mit. Diese Nervosität verfliegt nach den ersten drei bis vier Klausuren. Dann weiß man, wo der Hase hingelaufen ist, danach wird es meistens schnell öde und dann zäh.
Deshalb wollte ich früher die Angelegenheit für mich und die Schüler*innen ein bisschen auflockern und habe mich an unkonventionellen Randbemerkungen versucht. Mal schrieb ich: „Vielen Dank für diesen inspirierenden Gedanken, vgl. Sie das mal mit Literaturtipp xy!“, oder „Glückwunsch: Worterfindung! Null Treffer bei Google für dieses Wort“ oder so. Das fanden aber nicht alle gut, ein Vater sprach mir die gebotene Seriosität ab und beschwerte sich gar bei der Schulleitung. Der war das egal. Aber seitdem halte ich mich mit der Randbemerkungsprosa zurück.

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Weniger ist mehr

Als ich mit dem Job begann, habe ich konsequent Anfängerfehler gemacht. Aus lauter Unsicherheit wollte ich alles richtig, d. h. meine Korrektur unanfechtbar machen. Um sicher zu gehen, habe ich jede Klausur wirklich sehr oft gelesen und mir den Kopf über jeden Satz zerbrochen. Ich habe praktisch alles markiert, kommentiert, kritisiert, manchem Satz auch applaudiert. Muss man aber gar nicht. Das meiste kann man einfach so stehen lassen. Sätze, bei denen ich so was denke wie: „Hm joa, schon ok, stimmt schon irgendwie“ – und so was denke ich bei den meisten Sätzen – die lasse ich jetzt einfach so. Ich kommentiere nur die Dinge, die falsch sind. Und in den meisten Fällen lese ich jede Klausur nur einmal. Weniger ist mehr. Selbiges gilt für Bemerkungen unter der Klausur. Die Textbausteine des Klausurgutachtens, die der Berliner Senat vorgibt und die man mit guten Gründen kritisieren könnte, reichen aus. Es gibt Fälle, da ist dem nicht so, keine Frage, aber oft genug kann man es dabei belassen, auf die zwei oder drei Kernprobleme einzugehen, auf die sich der Adressat dann beim nächsten Mal konzentrieren sollte. Mündlich kann man nachberaten, das biete ich immer an.

Verantwortung

Vergangene Woche habe ich die letzten Klausuren in diesem Halbjahr zurückgegeben. Und dabei ist mir etwas Eigenartiges passiert. Oft genug hatte ich mit dem Kurs über die Grundpfeiler einer jeden guten Klausur gesprochen: Struktur, Stringenz, Konsistenz und Kohärenz. Ohne wird das nix. Simon tut sich damit aber seit jeher schwer. Er hatte einfach alles aufgeschrieben, was ihm zum Thema einfiel. Und das war echt viel, ganze zwölf Seiten hatte er abgegeben. Leider entdeckte ich weder Struktur noch einen roten Faden. Er widersprach sich in der Argumentation ein ums andere Mal und es fehlten die Zusammenhänge. Weil ich ihm darauf nur fünf Punkte gab und ihm damit den Schnitt versaute, wie er sagte, würden seine Eltern ihm nun nicht den Führerschein finanzieren. Oh je, eine ungeahnte Verantwortung hat man in diesem Job.

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Titelbild: © Jat306/shutterstock.com