Knigge und Manieren – brauchen Kinder sowas noch?
Benimmregeln sind out. Kinder sprechen sich vorzugsweise mit „Altah“ an, und höflicher Umgang geht vollends den Bach runter. Könnte man meinen. Stimmt aber nicht, findet Christine.
„Knigge? Was soll denn das sein!? Nie gehört, Mama“, sagen meine Kinder im Chor, als ich sie frage, ob sie sich unter diesem Begriff etwas vorstellen können. „Das sind so etwas wie Höflichkeitsregeln, z. B. dass man jemandem die Türe aufhält oder im Bus aufsteht, wenn ein alter Mensch den Platz benötigt“, erkläre ich.
Manieren: die Netiquette fürs Real Life
„Ach so“, erwidert der Sohn, „Aber das ist doch selbstverständlich.“ Und dann entspinnt sich eine Diskussion darüber, ob es denn sinnvoll sei, dass immer der Mann der Frau die Türe aufhalte: „Quatsch“, finden meine Kinder und ich auch. Und wir diskutieren weiter, wie es sich mit der Höflichkeit und den Regeln dafür in verschiedenen Lebensbereichen verhält. Eigentlich, so lautet das Fazit unserer Unterhaltung, geht es dabei doch um Anstand oder „Taktgefühl“, wie ich es nennen würde. Für meine Kinder wäre es wohl eher eine Art Netiquette fürs Real Life, um es modern zu sagen. Wobei ich fürchte, dass die Jugend von heute auch „Netiquette“ für ein fürchterlich altbackenes Wort hält, das nur steinalte Menschen wie ich benutzen, wenn sie übers Internet reden.
Wenn wir bedenken, dass die Kinder heute zwischen Real Life und Internet gar nicht mehr unterscheiden, dann passt das Bild der Netiquette aber trotzdem ganz gut: Benimm dich so, dass du kein A … bist, achte auf ein freundliches Miteinander, kenne die Regeln. Nichts anderes war eigentlich der Knigge, bloß dass es dabei um feste Verhaltensregeln für bestimmte Situationen ging, gepaart mit einem Geschlechterbild, das heute überholt ist.
Gute Manieren sind so etwas wie ein verinnerlichtes Wertesystem
Der Knigge erklärt, wie man sich richtig verhalten sollte: Duzen oder Siezen? Beim Niesen „Gesundheit“ wünschen oder „Entschuldigung!“ sagen? Wer stellt wen vor, wenn man neue Menschen trifft und wie verhält es sich mit den Tischsitten? Handküsse sind zum Glück aus der Mode gekommen, was ich persönlich sehr begrüße, Pünktlichkeit hingegen nicht – und zu wissen, was gesellschaftlich von einem erwartet wird, ist grundsätzlich nicht verkehrt. Man kann sich dann ja immer noch entscheiden, es anders zu machen.
Die Freund*innen im Klassenchat auf WhatsApp dissen oder auf dem Schulhof mobben? Macht man nicht, das ist uncool, dafür brauche ich keinen Ratgeber für Manieren, wohl aber das Herz am rechten Fleck und eine soziale Umgebung, die ein Wertesystem vermittelt. „Bitte“ und „Danke“ zu sagen und freundlich zu grüßen, sind nützliche Angewohnheiten für große und für kleine Menschen, finde ich. So lebe ich es meinen Kindern vor. Dass diese Verhaltensweisen unter „Benimmregeln“ oder „gute Manieren“ fallen, käme meinen Kindern gar nicht in den Sinn, weil sie das selbstverständlich finden.
Andere Familien, andere Sitten
Durch meine drei Kinder, die viele sehr unterschiedliche Freund*innen aus allen Milieus nach Hause bringen, habe ich Hunderte von Kontakten mit mehr oder weniger höflichen Spiel- und Klassenkamerad*innen gehabt. Die meisten fand ich wirklich angenehm. Bloß bei denjenigen, die in meiner Küche auftauchten, mich auffordernd anschauten und mir „Ich hab Durst!“ entgegenschmetterten, konnte ich es mir nicht verkneifen. Da entgegnete ich jeweils „Bei uns heißt das: Kann ich bitte was zu trinken haben?“, während ich das Wasserglas überreichte. Und ich bläute meinen Kindern ein, sich bitte niemals so zu benehmen, wenn sie bei anderen zu Besuch sind – weil ich als Gastgeberin das jeweilige Besucherkind für eine Millisekunde als ziemlich nervig empfinde. Das muss ja nicht sein.
Die Kinder sind nun größer, und die ehemaligen „Ich hab Durst!“-Besucher*innen eher in einem Alter, in dem sie nicht genau wissen, ob sie mich siezen oder duzen sollen. Das ist manchmal ganz niedlich, denn teils kennen wir uns schon zehn bis 15 Jahre. Dann übernehme ich, ganz klassisch nach Knigge, die Initiative und sage den Heranwachsenden, dass sie mich gerne weiterhin duzen können – aber das täte ich auch, ohne von der Existenz irgendwelcher Benimmregeln zu wissen.
Und nun wünsche ich Ihnen nach der Lektüre dieser Kolumne einen schönen Tag, danke fürs Lesen, bis nächsten Monat!
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