Die Lehrkraft als Arzt – von Taschentüchern, Spritzen und Schokoriegeln

Zur Herbstzeit wird Maximilian Lämpel praktisch täglich dramatisch angehustet. Grund genug, sich Gedanken über das Thema Gesundheit in der Schule zu machen.

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Herbsthusten

Es ist Herbst, Wind und Lungen pfeifen um die Wette. Zumindest husten gerade alle durcheinander – egal, ob im Klassenraum oder Lehrerzimmer, und ich fürchte stündlich, mich anzustecken. Aber weil es komisch wäre, immer mit Mundschutz rumzulaufen, muss ich da irgendwie durch. Ich wasche mir ständig die Hände und frage mich heimlich, ab wann man das eigentlich zwanghaft nennt. Gestern kam ein Schüler aus einer sechsten Klasse zu mir, der mehr hustete, als atmete, und fragte keuchend, ob es sein könne, dass er eine Lungenentzündung oder Keuchhusten habe. Ja, meine Güte, woher soll ich das denn wissen, hab ich gesagt, er möge bitte zum Arzt gehen, und dann noch: „Geh weg!“ Na ja, hab ich natürlich nicht, aber hätte ich gern.
Ich finde es grundsätzlich schwierig, um Rat in Gesundheitsfragen gefragt zu werden, passiert aber nicht selten. Je jünger die Klassen, desto häufiger, manchmal irritierend präzise („Guck mal, ich bin auf dem Schulhof hingeknallt und hier ist Blut und das hier ist aber doch Eiter, oder?“), noch häufiger schrullig bis skurril („Immer wenn ich laufe, sticht es hier so seitlich dreimal, ja, und dann hab ich immer Hunger, warum ist das so?“) .

Schokoriegel mit Nuss

In fast jeder Klasse gibt es ein Kind, das an Asthma leidet und an fast jeder Schule gibt es einen Trottel-Kollegen, der das nicht ernst nimmt und ständig Simulantentum wittert. Gibt zwar tatsächlich Kinder mit Asthma, die ihr Leiden ausnutzen und sich verdächtig oft in allen möglichen Situationen darauf berufen, aber lieber zu vorsichtig sein als andersrum, ist doch klar.
Ähnlich verhält es sich mit Allergien. In der 5c sitzt ein Schüler, der an einer schweren Nussallergie leidet, keine Schule ohne einen Nussallergiker. Wenn er Nüsse isst, wird es ernst, dann muss sofort der Magen ausgepumpt werden. Deshalb gibt es die Vereinbarung, dass in der 5c auch für alle anderen Nüsse tabu sind, sicher ist sicher. Null-Promille-Regelung sozusagen. Neulich war dann ein Schüler einer anderen Schule für einen Schnuppertag bei uns, der sich mal anschauen wollte, wie das so läuft. Er bzw. seine Eltern spielen mit dem Gedanken eines Schulwechsels. Weil er die Nuss-Regel nicht kannte, öffnete er nach dem letzten Klingeln einen Schokoriegel, woraufhin der unterrichtende Kollege brüllte: „SNICKERS WEEEG!!“ und zwar in einer solchen Lautstärke, so wurde später im Lehrerzimmer erzählt, dass das auch in den Nachbarräumen zu hören war und man außerdem den Eindruck bekam, der Kollege habe sich gleichzeitig schützend vor den Allergiker geworfen. Das war auch deshalb pikant, weil Mutter und Vater des jungen Hospitanten vor der Tür auf dem Flur standen und auf ihren Sprössling warteten und sich gut daran erinnerten, was sie ihm am Morgen in den Ranzen gepackt hatten. Die müssen irre irritiert gewesen sein. Egal, der Schüler hat trotzdem zu uns gewechselt.

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Hausmeister

Es war vor meiner Zeit an dieser Schule, als eine Mutter von der Lehrerschaft verlangte sich ausbilden zu lassen, wie man eine Spritze setzt, ihr Sohn, ein Diabetiker, sei in solchen Situationen überfordert. Wollte niemand. Einmal nur kam es zu diesem Notfall: Eine Spritze musste gesetzt werden, das hat dann der Hausmeister gemacht, der kennt da nix. Es ist nicht so, dass er eine Ausbildung hätte und ihn irgendetwas für diese Tätigkeit qualifizieren würde, er ist nur nicht besonders zimperlich. Einen Nagel in die Wand zu hauen, sei im Prinzip auch nichts anderes, hat er mir mal erklärt.

Klettergerüst

Und oft genug weiß ich nicht: Darf oder muss ich jetzt anfassen? Man versucht das, wenn irgend möglich zu vermeiden, aber man hat ja eine Fürsorgepflicht und ein Herz. Letztes Jahr war ich mit einer siebten Klasse anlässlich eines Wandertags auf einer Art Abenteuerspielplatz, da hing dann irgendwann eine Schülerin, dreizehn Jahre alt, so kompliziert in einem Klettergerüst, dass sie sich nicht mehr befreien konnte. Ihre Beine hatten sich irgendwie verkeilt und sie geriet in Panik. Der Kollege, der mich begleitete, stand neben ihr und wusste sich bzw. ihr nicht zu helfen. Umständlich versuchte er ihr zu erklären, welches Bein und welche Hand nun am besten an welchen Stelle gehörten. Sie war aber längst nicht mehr aufnahmefähig, weinte nur noch, die Erklärungsversuche des Kollegen erwiesen sich als ein vollkommen hoffnungsloses Unterfangen. Als ich das Mädchen dann packte und aus dem schrägen Stahlseilnetz zog, schaute der Kollege mich entgeistert an und fragte gleich, ob ich mich nicht sorge, dass das ein Nachspiel haben könnte.

Aufhören

Blieb aber ohne Nachspiel, ebenso die Begebenheit am Tag eines weiteren Wandertages. Meine Klasse hatte sich gewünscht, in diese Halle zu gehen, die man sich letztlich wie ein einziges riesiges Trampolin vorstellen muss. Meine Schülerinnen und Schüler hüpften dann also wie wild durch die Gegend, das sah nach Spaß und Schwindel aus. Und nach Gefahr. Felix sprang so temperamentvoll durch die Gegend, dass ich eigentlich sekündlich mit einem Unfall rechnete. Kam dann aber zum Glück anders. Nach einem besonders spektakulären Salto sagte er trocken und sehr weise, wie ich finde: „Man soll aufhören, wenn’s es am schönsten ist.“

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Titelbild: © Virales/shutterstock.com