Was ich als Lehrkraft während der Corona-Krise gelernt habe

In den vergangenen Wochen mussten alle ihren bisherigen Alltag gehörig umstellen. Frau mit Klasse berichtet von eigenen und gesammelten Erfahrungen aus der Schulwelt. Sie zeigt, wie unterschiedlich Schule in der letzten Zeit ablief und äußert ihre Bedenken hinsichtlich des zeitnahen Schulstarts.

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Wie ich mein Homeoffice gestaltete

Seit Mitte März bin ich im Homeoffice und habe mir hier zuerst eine Dienst-Mail eingerichtet. Tatsächlich gab es an meiner Schule vorher keine E-Mail-Adressen für Lehrkräfte. Stattdessen hatten wir regelmäßigen telefonischen Kontakt mit den Eltern. Jetzt versorge ich meine Klasse per Post oder E-Mail mit neuem Material. Zudem hatte meine Kollegin die Idee, die Klasse bei einer Lern-App anzumelden. Da dies auch für uns neu ist und durch unsere Eigeninitiative geschah, arbeiten wir uns aber gerade noch ein.

Ansonsten habe ich die Zeit zu Hause genutzt, um potenzielles Material für zukünftigen Unterricht zu sichten, meine Dokumente zu sortieren und am schulinternen Curriculum zu schreiben. Zudem sollte die digitale Erreichbarkeit der Schülerinnen und Schüler abgefragt werden, um manche von ihnen bei Bedarf mit Tablets oder Laptops zu versorgen.

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Die Schulschließungen aus Sicht anderer Kolleginnen und Kollegen

Aber ich möchte dieses Mal nicht nur meine Erfahrungen während der Schulschließungen einbringen. Da ich eine Menge Lehrerinnen und Lehrer im Bekannten- und Freundeskreis habe, beschloss ich, mich umzuhören:

Digitales Lernen als neue Erfahrung

Plattformen, wie Google Classroom oder auch der Lernraum Berlin, stehen im Berliner Freundeskreis aktuell hoch im Kurs. Die erstgenannte Plattform ermöglicht das Hochladen von Aufgaben durch Lehrkräfte für ihre Schülerinnen und Schüler, die zweite das Angebot von Kursen als digitales Lernmanagementsystem. Für viele Schülerinnen und Schüler sei das digitale Arbeiten eine angenehme Art zu lernen, berichtete eine befreundete Lehrerin. Einige Schülerinnen und Schüler wünschten sich sogar, dass diese Vorgehensweise ausgebaut wird. Manche Lehrerinnen und Lehrer, die nicht so technikaffin sind, überforderte es bisher eher.

Doch die Jugend hatte ihren Spaß. So wurde in einer Videokonferenz via Zoom das Gesicht gerne mal vor der Lehrkraft in Form einer Kartoffel oder Wurst dargestellt. Eine befreundete Berliner Deutschlehrerin fand, dass besonders introvertierte Schülerinnen und Schüler gut mit dieser neuen Form des Unterrichts zurechtkamen. Sie befanden sich zu Hause in einer geschützten und bekannten Umgebung und konnten sich so besser konzentrieren. Generell hatten beide Seiten mehr Freiraum darin, wie man das Erledigen der Arbeit strukturierte und organisierte, resümierte sie ihre Erfahrungen mit dem Fernunterricht.

Doch es gab auch Probleme, wie ich persönlich feststellte: Nicht alle Elternhäuser hatten die Möglichkeit, einen Blick auf die erledigten Aufgaben zu werfen und diese zu kontrollieren. Dafür gab es verschiedene Gründe: Entweder weil die Eltern selbst viel zu tun haben – meinen Respekt an dieser Stelle an alle, die gerade Arbeit und Kinderbetreuung unter einen Hut kriegen müssen – oder weil sie in einem systemrelevanten Beruf arbeiten und nicht zu Hause bleiben konnten. Manche hatten leider aber auch einfach wenig Interesse.

Überquellende Postfächer und permanente Erreichbarkeit

Es gab noch weitere Kehrseiten. An einem Gymnasium wurde das Material über eine Schul-Cloud ins Netz gestellt. Die Schülerinnen und Schüler sollten in der Zeit, in der der Fachunterricht auch regulär stattfinden würde, die Aufgaben erledigen. Die Lehrkräfte sollten ihnen währenddessen virtuell für Rückfragen zur Verfügung stehen, sich die Aufgaben danach per E-Mail schicken lassen und sie korrigieren. Dies führte zum einen zu einer Flut von Mails und einem permanent überfüllten Posteingang, der nicht erweitert werden konnte. Zum anderen waren viele Arbeitsergebnisse, vor allem aus der Sekundarstufe I, eher schlecht als recht und man bemerkte schnell, dass diese kein Arbeitsaufwand einer 90-minütigen Stunde waren. Es gab natürlich auch positive Arbeitsergebnisse. Aber alle Kinder und Jugendlichen einer Klasse zum Arbeiten zu animieren, war aus der Ferne schwer, da man sie nicht sehen konnte und die Kinder kaum einen geregelten Tagesablauf hatten, sagte meine an dieser Schule tätige Kollegin. Eine weitere Schwierigkeit bestand in der permanenten Erreichbarkeit. Während mir eine Kernarbeitszeit vorgegeben wurde, schlug man dort regelmäßige Videokonferenzen bis in die späten Abendstunden vor, weil ja eh alle zu Hause seien.

Überbiete sich, wer kann

Da Lehrerinnen und Lehrer keiner ständigen Kontrolle unterliegen, läuft der Unterricht durchaus sehr verschieden ab. Dies zeigt sich im normalen Schulalltag, aber auch in Zeiten von Corona. So hörte ich auch von einem gewissen Druck, der durch die unterschiedlichen Arbeitsweisen entsteht. Da gab es einige Kolleginnen und Kollegen, die Lernvideos für ihre Schülerinnen und Schüler erstellten und andere, die einfach Arbeitsblätter schickten. Und natürlich schaute man dann, was die anderen machten und fragte sich, ob das Eigene genug ist. Doch war es nicht wichtiger, dass Kinder und Jugendliche merkten, dass wir für sie da waren? Dass sie bei Fragen auf uns zukommen konnten und wir auch ein offenes Ohr hatten?

Wochenpläne

Vor allen Dingen Grundschullehrkräfte schrieben Wochenpläne für ihre Schülerinnen und Schüler und stellten diese zum Runterladen auf der Schulhomepage zur Verfügung. Die Wochenpläne sollen ein selbstständiges Arbeiten ermöglichen, was wohl dankbar angenommen wurde, berichtete mir eine Grundschullehrerin. Teilweise wurden auch Lösungen zur Selbstkontrolle mitgeschickt, jedoch waren wir beide der Meinung, dass die Arbeitsergebnisse an den Schulen nochmal gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern besprochen werden müssen, sobald wieder die Gelegenheit dazu besteht.

Schule nach Corona und meine Bedenken

Wie soll es nun weitergehen? Die Politik hat sich darauf geeinigt, die Schulen ab dem 4. Mai schrittweise zu öffnen. Voraussetzungen seien reduzierte Klassengrößen, um den Mindestabstand zu wahren sowie ein Fokus auf den Unterricht in den Hauptfächern und eine Grundreinigung der Schulen. Ganz ehrlich? Ich stehe dem Ganzen sehr skeptisch gegenüber. Das hat verschiedene Gründe:

  1. Steht denn schon fest, ob die Maßnahmen, die im Zuge der Krise für die Allgemeinheit festgelegt wurden, ab Anfang Mai auch gelockert werden? Nein. Vielleicht darf man sich weiterhin nur zu zweit draußen aufhalten, während die Kinder in der Schule in einer Vielzahl zusammenkommen werden.
  2. Wie soll die Reduzierung der Klassengröße gewährleistet werden?
  3. Wer gibt die Organisation vor?
  4. Wird in den Schulen an einem Strang gezogen oder kocht jeder sein eigenes Süppchen?
  5. Und die größte Hürde: Eine Grundreinigung der Schule. Bei mir soll es in wenigen Tagen mit dem Schulbetrieb weitergehen. Ich hörte zwar, dass vom Senat Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt wurde. Seife haben aber wohl die Kolleginnen und Kollegen selbst besorgt. Das regelmäßige Putzen und Schülerinnen und Schüler zum ständigen Händewaschen zu animieren, wird ebenfalls unsere Aufgabe sein.
  6. Zudem kenne ich meine Schülerklientel. Abstand und sich an Regeln halten? Bei vielen leider Fehlanzeige. Wie wir den Unterricht genau umsetzen sollen und gleichzeitig verhindern, dass sich die Schülerinnen und Schüler zu nahekommen, steht noch in den Sternen. Auch wir im Kollegium dürfen uns ja nicht nähern, allein das Lehrerzimmer bietet schon kaum eine Gelegenheit, Abstand zu wahren. Es sind einfach noch so viele Fragen in Bezug auf das Miteinander auf Distanz ungeklärt.
  7. Auch der Lernstand wird ein völlig unterschiedlicher sein. Manche werden viel gearbeitet haben, andere wenig. Wie regele ich da die Notengebung?
  8. Ein weiteres Problem der Öffnung sehe ich für Lehrerinnen und Lehrer, die einer Risikogruppe angehören, auch für solche, die anfällige Familienangehörige haben. Man kann zwar mit einer Maske unterrichten, schützt damit aber nur andere und nicht sich selbst. Unter dem Teil bekomme ich schon während des Einkaufs kaum Luft, wie soll ich so mit Schülerinnen und Schülern über Stunden hinweg kommunizieren? Das wird noch sehr interessant.
  9. Wer kontrolliert die Maskenpflicht der Jugend in den öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Weg zur Schule?
  10. Wie sieht es mit Pausen auf dem Hof aus, um für einen Ausgleich zu sorgen? Diese werden wohl nicht möglich sein.
  11. Es gibt zwar einen Musterhygieneplan, der aber auch noch einige Fragen offenlässt und dessen Umsetzung nicht so einfach sein wird.

Guten Morgen, liebe Sorgen!

Zudem ändern sich (bildungs-)politische Aussagen regelmäßig. Gerade erst wurde der Mittlere Schulabschluss (MSA) für die zehnten Klassen nun doch abgesagt. Natürlich muss Schule weitergehen und man kann den Eltern nicht zumuten, das ewig allein zu stemmen. Doch ist eine vorzeitige Öffnung der Schulen unsere Gesundheit wert? Eine Schule in NRW musste direkt nach der Öffnung gleich wieder schließen. Warum bauen wir nicht den digitalen Unterricht weiter aus? Richtig oder falsch gibt es wahrscheinlich nicht und solche wichtigen Entscheidungen zu treffen, ist sicher schwer. Ich hoffe sehr, dass alles gutgeht. Am Ende wird es wohl die kommende Zeit zeigen, auf die ich leider mit Sorge blicke.  

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Titelbild: ©ws_photos/shutterstock.com